Wir alle (oder zumindest die meisten von uns) freuen uns auf die Bundestagswahl im Februar. Demokratien leben auch von großen rituellen Inszenierungen und dazu gehört natürlich auch der Wahlakt. Was ein höfisches Fest oder die Aufführung einer glanzvollen Hofoper in der Monarchie ist, das ist eine Wahl in der Demokratie.
Die Frage ist freilich, ob die Bedeutung immer über den Akt der symbolisch-affirmativen Darstellung politischer Ordnung hinausgeht. Das ist eigentlich nur der Fall, wenn sich nach Wahlen wirklich etwas verändert. Wird das diesmal der Fall sein? Daran sind Zweifel erlaubt. Gerade für die CDU als größte Oppositionspartei wird es schwierig sein, nach der Wahl eigene Vorstellungen durchzusetzen (soweit sie denn solche hat – nicht jeder glaubt das), da sie nun mal auf einen linken Koalitionspartner angewiesen sein wird.
Es geht bergab, das aber immerhin nachhaltig
Die Probleme, mit denen eine neue Regierung nach den Wahlen konfrontiert sein wird, sind gewaltig. Wirtschaftlich befindet sich Deutschland in einer schweren Strukturkrise, alte Schlüsselindustrien wie die Autoindustrie, aber auch die Chemiebranche und andere Teile des verarbeitenden Gewerbes zeigen Anzeichen eines dauerhaften Niedergangs, für den zahlreiche Faktoren, angefangen von der Konkurrenz aus China über die relativ hohen Energiepreise bis hin zu Managementfehlern in den scheinbar guten Jahren zwischen 2012-18, als der für Deutschland zu schwache Euro Produktivitätssteigerungen und Anpassungen an neue Herausforderungen scheinbar überflüssig machte, verantwortlich sind. Aber die Überregulierung der Wirtschaft sowohl durch Berlin wie auch durch die EU ist natürlich auch ein ganz wesentlicher Faktor, auch wenn das wohl bei mittelständischen Unternehmen und im Baugewerbe noch stärker zu Buche schlägt als bei den großen Konzernen der Industrie.
Auf nationaler Ebene wäre ein Kurswechsel theoretisch denkbar, mit den Grünen als Koalitionspartner aber wohl gar nicht und mit der SPD nur sehr schwer durchsetzbar. Auf europäischer Ebene kann die EU-Kommission, die von der machtbesessenen Ursula v. d. Leyen geführt wird, hingegen alle Versuche, Bürokratie abzubauen, vollständig blockieren, und höchstwahrscheinlich wird sie das auch tun, weil weniger Regulierung eben immer auch weniger Macht für die Kommission bedeutet.
Diese Schlacht dürfte Deutschland also verloren haben, bevor sie überhaupt begonnen hat, zumal es im EU-Parlament kaum noch Kräfte gibt, die für eine dezidiert marktwirtschaftliche Politik eintreten, seitdem die französischen Macronisten die früher liberale Fraktion (jetzt Renew) dominieren. Auf die EVP ist hier wenig Verlass.
Es bliebe die Möglichkeit von Steuersenkungen auf nationaler Ebne, wie sie namentlich CDU und FDP auch vorschlagen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Aber um solche Maßnahmen gegenzufinanzieren, müssten Ausgaben deutlich gesenkt werden, etwa bei den Subventionen. Das gilt selbst dann, wenn die Schuldenbremse gelockert wird. Zu solchen Kürzungen, die natürlich auf enorme Widerstände stoßen würden, wird aber wohl auch der CDU der Mut fehlen, und die FDP wird, selbst wenn sie es noch mal über die 5 %-Hürde schafft, kaum noch Einfluss auf das politische Geschehen haben. Sie hatte drei Jahre lang ihre Chance und hat sie weitgehend verspielt, indem sie viel zu lange eine Politik mitgetragen hat, und das nicht nur im Bereich der Wirtschaft, die mit liberalen Prinzipien kaum vereinbar war und auch auf Kosten ihrer eigenen mittelständischen Klientel ging. Wer im Februar dennoch FDP wählt, gleicht einem Mann, der einem Alkoholiker die Aufsicht über seinen Weinkeller anvertraut, weil der sich ja mit alkoholischen Getränken gut auskennt, es sei denn, er lässt sich von der reinen Verzweiflung über alle konkurrierenden politischen Angebote leiten.
Fortschritte sind von einer neuen CDU-geführten Regierung am ehesten in zwei Bereichen zu erwarten. Man wird beim sog. Bürgergeld doch ein etwas strafferes Regiment einführen und manche Leistungen kürzen, wenn Karlsruhe in seiner unendlichen Weisheit und seiner Neigung, aus dem Nichts immer wieder neues Recht zu schaffen, das nicht verhindert, und man wird die Schuldenbremse wohl lockern. Beides sind vernünftige Maßnahmen, auch die Modifikation der Schuldenbremse, denn im Euroraum zu sparen, ist sinnlos, solange die Partnerländer Deutschlands, für die wir im Ernstfall ohne Einschränkung mit haften, das nicht wirksam tun, und das wird nie geschehen. Ein starker Wertverlust des Euro als Währung ist ohnehin alternativlos, weil der Euro nun mal eine Fehlkonstruktion ist, die eine verantwortungslose Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten ermutigt und verhindert, dass es dafür irgendwelche Sanktionen gibt. Ändern lässt sich das nicht mehr.
Migration und Meinungsfreiheit: Zwei große Baustellen
Eine zweite große Baustelle ist die Migrationspolitik. Hier verspricht zumindest die CDU deutliche Veränderungen im Sinne einer restriktiveren Politik. Die SPD äußert sich ausweichend mit der Tendenz am status quo festzuhalten, während die Grünen die Zuwanderung jeder Art eher noch steigern wollen; mit ihnen gäbe es also mit Sicherheit kein Mehr an Kontrolle.
Aber auch, was die CDU verspricht, ist kaum sehr glaubwürdig. Zurückweisungen an den deutschen Grenzen werden einerseits am Europarecht scheitern, auf dessen Einhaltung Nachbarn wie Österreich und Polen eisenhart bestehen werden, notfalls auf dem Rechtswege, und sind überdies ohne eine Art Militarisierung der gesamten Grenze – immerhin fast 4000 (!) km – auch gar nicht umsetzbar.
Freilich gäbe es schon noch andere Methoden, um unkontrollierte Migration zu begrenzen, etwa die Einschränkung des Familiennachzugs, die sehr viel sparsamere Gewährung eines subsidiären Schutzstatus und eine Reduktion der Sozialleistungen namentlich bei abgelehnten Asylbewerbern auf das wirklich Unentbehrliche, die freilich zum Konflikt mit der Rechtsprechung Karlsruhes führen könnte.
Allerdings wird die deutsche Politik auch viel engmaschiger von den Gerichten kontrolliert als anderswo, und deutsche Richter glauben einerseits extrem naiv an den absoluten Vorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht und sind sich andererseits oft gar nicht mehr bewusst, dass ein funktionierender Rechtsstaat immer auch eine basale Handlungsfähigkeit des Staates an sich voraussetzt.
Unterminiert man diese, indem man das Gemeinwesen mit nicht mehr lösbaren Problemen konfrontiert, die den Staat auch finanziell und logistisch überfordern, wird auch die Herrschaft des Rechts am Ende erodieren, aber das scheint vielen deutschen Juristen nicht mehr bewusst zu sein. Jedenfalls werden die Probleme an dieser Front nach der nächsten Wahl eher noch zunehmen und damit auch eine entsprechende Unruhe in die Gesellschaft tragen, ja den Verlust an Vertrauen in die Politik noch einmal deutlich steigern, das ist zu befürchten.
Eine letzte große Baustelle ist der Kampf um die Meinungsfreiheit und damit die Verteidigung der Demokratie selbst, denn um nichts Geringeres geht es.
Zur Zeit verbreitet sich in unserem Land eine groß angelegt Denunziationskultur, die von staatlicher Stelle auch oft bewusst gefördert wird. Weil der „Herr Omnes“, das wilde Wählervolk, so aufsässig ist, müssen ihm Zügel angelegt werden. Wie will man demokratische Entscheidungen sonst in die „richtige“ Richtung lenken? Und wie will man sonst sogenannte „Desinformation“ – womit zum Teil nichts anderes gemeint ist als der Hinweis auf Daten und Fakten, die nicht zum obrigkeitlich approbierten Weltbild passen – bekämpfen. Ein Anliegen, das den Grünen, die ihre eigentliche Aufgabe in der paternalistischen Volkserziehung sehen, besonders am Herzen liegt.
Überall sprießen daher die Meldestellen aus dem Boden und nicht zuletzt viele Politiker beteiligen sich selbst an dem Versuch, polemisch zugespitzte Kritik an der hohen Obrigkeit zu kriminalisieren, ein Versuch, bei dem sie oft auf die Unterstützung durch – weisungsgebundene – Staatsanwaltschaften und theoretisch unabhängige Gerichte rechnen können.
Überdies gibt es eine klar erkennbare Tendenz, jede kritische Bemerkung über Angehörige „schützenswerter“ Minderheiten etwa sexueller oder ethnischer, aber auch religiöser Art (solange es keine Christen sind), zum Anlass für Sanktionen zu nehmen. Bezeichnend ist hier der aktuelle Entwurf eines neuen „Hochschulstärkungsgesetzes“ in NRW, das jede Verletzung des „sozialen Geltungsanspruches“ von Hochschulangehörigen zu einem Fall für das Disziplinarrecht machen könnte, namentlich wenn Dozenten der Universität die vermeintlichen „Täter“ sind. Faktisch hieße das, dass das rein subjektive Gefühl, verbal diskriminiert worden zu sein – etwa, im Falle einer muslimischen Studentin, weil ein Dozent sich kritisch über antiliberale Tendenzen im Islam äußert, oder im Fall einer Transperson, deren bevorzugte „Neopronomen“ nicht berücksichtigt wurden – ausreichen würde, um entsprechende Maßnahmen einzuleiten, mit denen solche „verletzenden“ Äußerungen unterbunden werden können. Dieser Gesetzentwurf wurde im Übrigen von einer CDU-Ministerin, einer gewissen Frau Brandes eingebracht.
Das allein zeigt schon, dass man sich auf die CDU, wenn es um die Verteidigung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit geht, nicht einmal ansatzweise verlassen kann.
Dass dieselbe CDU dann einen Herrn Haldenwang, der als Präsident des Verfassungsschutzes bekanntlich allzu laute Kritik an der Regierung als „Delegitimation des Staates“ eingeordnet und damit als verfassungsfeindlich gebrandmarkt hat, als Bundestagskandidaten aufstellt, ergänzt dieses Bild nur. Hier, bei der Verteidigung der Meinungsfreiheit hätte die FDP zumindest unter den traditionellen, für staatstragend gehaltenen Parteien, würde sie sich wirklich als liberale Partei verstehen, fast ein Alleinstellungsmerkmal, wenn sie unsere an sich recht freiheitsfreundliche Verfassung energisch verteidigen würde. Aber viel Hoffnung auf die sogenannten Liberalen besteht auch an dieser Front nicht, das muss man gar nicht erst im Einzelnen darlegen.
2029 könnte Deutschland dort stehen, wo Frankreich schon heute steht
Was also kann man von der nächsten Regierung und der nächsten Legislaturperiode des Bundestages überhaupt erwarten? Im besten Fall ein klein wenig mehr an Pragmatismus und etwas weniger Ideologie als bisher, sehr viel mehr nicht. Das wird nicht reichen. Die Lage des Landes wird sich vermutlich weiter auf breiter Front verschlechtern: Der Lebensstandard vieler Menschen wird sinken, die Konflikte, auch in Form von Verteilungskonflikten zwischen Zuwanderern und Eingesessenen etwa beim Wohnraum werden zunehmen, die Sicherheit im öffentlichen Raum wird weiter erodierten und das nicht nur auf Weihnachtsmärkten, und dem Staat wird es bei stagnierenden oder sogar real sinkenden Steuereinnahmen immer schwerer fallen, seine zentralen Aufgaben zu erfüllen.
Wie das in der Praxis aussieht, kann man in bestimmten Bundesländern wie in dem eigentlich hochsubventionierten Berlin schon heute sehen. Damit wird aber auch das politische Vertrauen weiter abnehmen und vieles spricht dafür, dass Deutschland 2029 dort stehen wird, wo Frankreich schon heute steht. Die Fragmentierung der Parteienlandschaft und die politische Polarisierung, aber auch das abgrundtriefe Misstrauen vieler Franzosen gegenüber der eigenen politischen Elite lähmen das Land mittlerweile komplett. Es geht weder vorwärts noch zurück, und das Land, das immer noch über eine gute Infrastruktur – besser als die deutsche – und eine relativ durchsetzungsfähige, wenn auch zu kostspielige und bürokratische Verwaltung verfügt, taumelt der vollständigen Unregierbarkeit entgegen.
Damit wird man die eigentlichen Probleme freilich nur in die Zukunft verschieben. Aber vielleicht erfüllt sich ja dann am Ende der Traum vieler deutscher Politiker, dass Brüssel uns rettet, und die EU eine Art Staatskommissar als Konkursverwalter für die sieche Bundesrepublik einsetzt, so dass wir uns zumindest nicht mehr selbst mit den leidigen Problemen unseres Landes beschäftigen müssen und uns ganz den Freuden der politischen Unmündigkeit hingeben können, nach denen sich viele Bundesbürger wohl schon immer aus ganzem Herzen gesehnt haben.
Am 23. Februar ist die Urnenwahl zum Bundestag. Liegen Sie mit Ihrer Prognose besser als die Demoskopen? Machen Sie mit bei der TE-Wahlwette!