Tichys Einblick
Migration steuern, Pluralität gestalten (1)

Eine Zeitenwende bald auch in der Migrationspolitik

Die Migrations-Konferenz an der Universität Frankfurt macht deutlich, wie dringend eine migrationspolitische Kurskorrektur ist. Je länger sie ausbleibt, desto unumgänglicher wird auch hier die Einleitung einer Zeitenwende, die sich nicht nur auf eine bessere Steuerung von Migration beschränkt.

IMAGO / Fotostand

TE beginnt heute eine Dokumentationsserie von Roland Springer, worum es in der Sache bei der Migrations-Konferenz an der Universität Frankfurt ging, die mit dem Eklat um Boris Palmer Wellen warf, die in der Kolumne von Amina Aziz in der TAZ Auskunft über die Dialogbereitschaft der Sozialisten unserer Tage gibt (Hervorhebung Redaktion):

Seien es Schröter, Faeser, Scholz oder Uni- und Redaktionsleitungen. Anlässlich drängender Fragen in der Asylpolitik, zu Antisemitismus und Rassismus hat reden bislang nicht viel gebracht. Egal, wie sachlich argumentiert wurde. Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen greifen deswegen zu radikaleren Maßnahmen, trotzdem mauert die Politik. Scheinbar können wir Änderungen erst erreichen, wenn diese rechten Boomer ausgestorben sind. Oder wir radikalisieren uns auch.


Die Folgen der Migration werden jetzt an den Schulen deutlich: Die Integration von Kindern in das deutsche Schulwesen ist weitgehend misslungen – den Schaden haben auch deutsche Kinder, deren Lernleistung massiv eingebrochen ist. Darüber berichtete der Präsident des deutschen Lehrerverbandes (DL), Hans-Peter Meininger, und sprach von mittlerweile schon katastrophal zu nennenden Zuständen an zahlreichen deutschen Schulen, in denen der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund, wie etwa an der Gräfenauschule in Ludwigshafen, schon fast die 100-Prozent-Marke erreicht. Deren Schulleiterin hat vor kurzem öffentlich gemacht, dass zum Ende des laufenden Schuljahres im Sommer voraussichtlich 40 Erstklässler das Schuljahr wiederholen müssen. Von den 450 Schülern an dieser Grundschule können trotz spezieller Fördermaßnahmen viele schlecht Deutsch oder kommen aus bildungsfernen Familien. Manche der Sitzenbleiber wurden ohne jegliche Deutschkenntnisse eingeschult.

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Meininger ist überzeugt, dass es in Deutschland inzwischen viele solcher Schulen gibt und verweist auf die jährlich erstellte Studie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen mit dem Titel IQB-Bildungstrend. Laut dieser Studie verfehlten im Jahr 2021 rund 19 Prozent aller Viertklässler die für das Lesen und rund 30 Prozent die für die Orthographie festgelegten Mindeststandards. Ähnlich düster sieht es bei den Mindeststandards im Fach Mathematik aus, die bundesweit fast 22 Prozent aller Viertklässler verfehlten. Einzelne Bundesländer übertrafen dabei diese bundesweiten Zahlen deutlich, allen voran die Bundesländer Bremen, Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.

Recht eindeutig ist dabei, wie Meininger betonte, durchweg der statistische Zusammenhang zwischen dem Leistungsniveau der Schüler und der Zusammensetzung der Schülerschaft. Je höher der Anteil der migrantischen Schüler, desto schlechter das Leistungsniveau. Bildungs- und leistungsorientierte Eltern deutscher wie auch ausländischer Herkunft schicken ihre Kinder deswegen vermehrt auf Privatschulen, sofern sie sich dies leisten können. In Berlin liegt der Migrantenanteil der Privatschulen bei nur drei Prozent. Diese Entwicklung führt, so Meininger, zu einer zunehmenden Segregation der schulischen Bildung, mit den leistungsschwachen staatlichen Schulen auf der einen und den leistungsstarken Privatschulen auf der anderen Seite.

Dass der dramatische Leistungsverfall nicht nur an den Grund- und Hauptschulen, sondern auch an den integrierten Gesamtschulen um sich greift, berichtete höchst anschaulich die Lehrerin an einer solchen Schule in Herford, Birgit Ebel. Die Gesamtschulen gleichen sich ihrer Erfahrung nach angesichts des auch dort stark wachsenden Anteils von Schülern mit Migrationshintergrund immer mehr den Hauptschulen an. Dass sich dies nicht nur auf das Leistungsniveau der Schüler, sondern darüber hinaus auch auf das Zusammenleben zwischen Schülern sowie zwischen Schülern und Lehrern negativ auswirkt, erfährt die ebenso engagierte wie streitbare Lehrerin für Deutsch und Geschichte an einer Brennpunktschule tagtäglich.

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An ihr werden sowohl zahlreiche Kinder jesidischer Kurden wie auch sunnitischer Türken unterrichtet, die die Konflikte in ihren Herkunftsländern auch in ihrer Schule austragen. Ebel berichtet von religiös motivierten und ethnisch bedingten Konflikten, Prügeleien, Beleidigungen für „Ungläubige“, Bedrohungen, Konflikte ums Beten, ums Fasten in der Ramadanzeit. Schüler und Schülerinnen verlangen Gebetsräume, Extrapausen für ihre Gebete, Mädchen, die sich modisch kleiden, werden als „Schlampen“ und „Huren“ oder „Nutten“ diffamiert. Brüder kontrollieren ihre Schwestern, Cousins ihre Cousinen wegen ihrer Kleidung und mit wem sie befreundet sind. Messer gehörten mittlerweile zur Standardausrüstung männlicher Schüler.

Derlei Zustände sind für deutsche Schulen zwar zum Glück noch nicht so charakteristisch wie der von der IQB-Studie beschriebene Verfall des Leistungsniveaus; gleichwohl greifen auch sie in dem Maße um sich, wie die Zuwanderung von Migranten weiter zunimmt, die die religiösen, ethnischen und politischen Konflikte aus ihren Herkunftsländern mit nach Deutschland importieren. Dort wo die Herkunftsdeutschen, wie an vielen Schulen und Kitas oder auch in ganzen Stadteilen, inzwischen in der Minderheit sind, besteht für die verschiedenen Migrantengruppen kaum noch ein Grund, sich an die bisherigen Verhältnisse in ihrem Aufnahmeland unter anderem dadurch anzupassen, dass sie sich sowohl untereinander wie gegenüber den Herkunftsdeutschen überwiegend still und friedfertig verhalten. Die bislang große Aufnahme- und Integrationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft beginnt zu erodieren. An ihre Stelle treten Ressentiments zwischen den Migranten und den Einheimischen, die sich gegenseitig aufschaukeln.

Wegen der Einwanderung und mangelnden Integration drohen immer mehr gesellschaftliche Einrichtungen zu kippen. Darauf hatte der englische Migrationsforscher Paul Collier schon im Jahr 2014 in einer Studie mit dem Titel „Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“
hingewiesen. Mit Blick auf die Frage, „welche Folgen es für die einheimischen Bevölkerungen hätte, wenn die Einwanderung in ihre Länder beträchtlich zunähme“ kommt er dabei zu dem Schluss, dass sie „etwa eine umgekehrte U-Kurve bilden, mit Gewinnen bei mäßiger Migration und Verlusten bei massiver Migration.“ Ausschlaggebend sei in diesem Zusammenhang, neben der Frage ihres Ausmaßes, die Frage, „wie schnell die Einwanderer mit der Aufnahmegesellschaft verschmelzen.“ Wo das Ausmaß zu groß wird und die Verschmelzung zu gering ist, gerät die Migration an einen Kipppunkt, ab dem die Funktionsfähigkeit und der soziale Zusammenhalt der Aufnahmegesellschaften erheblichen Schaden nimmt.

Solche Kipppunkte sind in EU-Ländern wie Italien, Frankreich, Dänemark und Schweden inzwischen erkennbar erreicht oder auch schon überschritten. Sie haben in diesen Ländern inzwischen dazu geführt, dass unter dem Eindruck des Erstarkens einwanderungskritischer Einstellungen in den einheimischen Bevölkerungen sowie dem Einfluss erstarkter einwanderungskritischer Parteien mehr oder weniger weitreichende Maßnahmen insbesondere zur Eindämmung der massenhaften Zuwanderung über den Asylweg ergriffen worden sind.

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Einzig die deutsche Regierung hält bislang noch weitgehend ungebrochen an der Vorstellung fest, für die Asylzuwanderung dürfe es keine Obergrenzen geben, die durch geeignete Maßnahmen eingehalten werden. Folgerichtig tut sie sich mit allen Maßnahmen schwer, die genau darauf abzielen und verweigert jede weitergehende Kurskorrektur. Stattdessen wird in Kauf genommen, dass sich aufgrund überforderter Arbeits- und Wohnungsmärkte, kommunaler Infrastrukturen und einer erodierenden inneren Sicherheit die Lebensverhältnisse in Deutschland für Einheimische wie gut integrierte Migranten zusehends verschlechtern.

Vor diesem Hintergrund war es höchste Zeit, als das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) zusammen mit der Hertie Stiftung für Ende April zu einer Konferenz an die Universität Frankfurt einlud, um dort mit Teilnehmern aus Wissenschaft und Praxis unter dem Titel „Migration steuern, Pluralität planen“ über die Folgen dieser Migrationspolitik für die deutsche Gesellschaft und Möglichkeiten einer Kurskorrektur zu debattieren. Wie dringend eine solche Korrektur inzwischen auch in Deutschland geboten ist, belegten die Beiträge aller Referenten. Sie zeigten, dass auch in Deutschland in vielen Bereichen die Kipppunkte schon erreicht oder auch überschritten sind.

Diese Entwicklung droht sich inzwischen nicht nur an den Schulen, sondern auch in anderen kommunalen Bereichen Bahn zu brechen, wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer nach seinem überflüssigen Wortgefecht mit studentischen Gegnern der Veranstaltung berichtete, die die Veranstaltung zu stören versuchten.

Nicht nur der Wohnungsmarkt ist laut Palmer durch den massiven Zuzug von Flüchtlingen inzwischen in seiner und anderen Kommunen völlig überlastet, sondern auch die Kindertagesstätten sowie die Arztpraxen. Die kommunalen Hilfssysteme hätten ihre Leistungsgrenzen erreicht und teilweise auch schon überschritten, so dass die einheimische Bevölkerung nicht mehr wie gewohnt versorgt werden kann. Neu gebaute kommunale Wohnungen werden in Tübingen und anderen Kommunen inzwischen vorrangig an Flüchtlinge vergeben, ebenso Kita- und Schulplätze.

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Palmer warnte angesichts dieser Entwicklung in seinem Vortrag vor einer Protesthaltung, die sich in der einheimischen Bevölkerung erkennbar verstärkt und das Meinungsklima sowie die soziopolitischen Kräfteverhältnisse noch mehr verändert und destabilisiert, als es seit der Flüchtlingskrise der Jahre 2015/2016 ohnehin schon geschehen ist. Er hat daher zusammen mit einigen Mitgliedern und Funktionären der grünen Partei, aus der er inzwischen wegen seines Wortgefechts austreten musste, ein „Memorandum für eine andere Migrationspolitik“ verfasst. Darin wird eine deutliche Reduzierung der „irregulären Migration“ gefordert, womit diejenigen Einwanderer gemeint sind, die als Asylbewerber ohne Aussicht auf Anerkennung ins Land kommen.

Sie machen laut Palmer rund die Hälfte aller Asylbewerber aus und sollten von den Kommunen ferngehalten werden, indem sie während ihres Asylverfahrens in den zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben, um nach der Ablehnung ihrer Asylanträge wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeführt zu werden. Während ihres Aufenthalts sollten sie nur mit Sachleistungen versorgt werden und auch keine Arbeitserlaubnis erhalten. In die Kommunen dürften stattdessen nur diejenigen Asylbewerber gelangen, deren Asylanträge eine gute Aussicht auf Anerkennung haben.

Wenn inzwischen selbst von Mitgliedern und Funktionären der grünen Partei derlei Vorschläge und Forderungen vorgebracht werden, die von anderen Parteien schon 2015/2016 ins Spiel gebracht worden sind, dann zeigt dies, wie groß der Druck inzwischen (wieder) geworden ist, das Ausmaß der Einwanderung über den Asylweg deutlich zu begrenzen. Als Oberbürgermeister einer überlasteten Kommune geht es Palmer dabei vor allem darum, den Zuzug von Flüchtlingen in seinen Verantwortungsbereich mit Hilfe zentraler Ersteinrichtungen einzudämmen. Mit dieser Form der Externalisierung werden die Probleme, wie Palmer selbst betonte, jedoch nur von der kommunalen auf die Landesebene verschoben und das Ausmaß der Asyleinwanderung nach Deutschland insgesamt nicht reduziert.

Wie dies geschehen könnte, stellten auf der Veranstaltung der Kodirektor des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA), Daniel Thym, und der Direktor der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Ruud Koopmans, vor. Beide plädierten für eine strikte Trennung von Asyleinwanderung und Arbeitsmigration sowie den Ausbau legaler, kontingentierter Zugangswege nach Deutschland für Bürger aus den Ländern, aus denen heute die meisten Asylbewerber mit guter Aussicht auf Anerkennung nach Deutschland kommen. Dies bewirkt laut Thym allerdings noch keine automatische Eindämmung der Einwanderung über den Asylweg. Um dies zu erreichen, sollten Flüchtlinge mit geringen Anerkennungschancen, wie Koopmans ausführte, in Aufnahmelagern sicherer Drittstaaten verbleiben, mit denen Deutschland entsprechende Abkommen abschließen müsste. Dort könnten sie ihre Asylanträge stellen, die dann gemäß der für Deutschland geltenden Asylgesetze bearbeitet werden.

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Auch diese Vorschläge gehen in die Richtung einer Externalisierung des Flüchtlingszustroms, wie sie schon von anderen EU-Ländern mit mehr oder weniger Erfolg betrieben wird. Dass inzwischen selbst in der Ampelregierung darüber gestritten wird, ob solche Wege beschritten werden sollten, zeigt, dass auch in Deutschland die Asyleinwanderung mittlerweile ein Ausmaß erreicht hat, welches das Land an einen gesellschaftspolitischen Kipppunkt bringt. Ob die deswegen erforderliche migrationspolitische Kurskorrektur, wie in anderen EU-Ländern, von der Ampelregierung eingeleitet und vollzogen wird, ist jedoch fraglich. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich die drei Ampelparteien eher auf den weiteren Ausbau einer überaus liberalen Migrationspolitik geeinigt, die schon von der Großen Koalition (GroKo) betrieben wurde und vor allem auf den Schutz der Flüchtlinge ausgerichtet ist.

Die Maßnahmen der anderen EU-Länder und die auf der Frankfurter Konferenz vorgestellten Konzepte weisen stattdessen in die Richtung eines rigideren, stärker auf den Schutz der Aufnahmeländer und ihrer Bürger ausgerichteten Vorgehens, das nicht dem migrationspolitischen Geist des Koalitionsvertrags entspricht. Dass Koalitionsverträge manchmal das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind, wenn die Verhältnisse dies erzwingen, wissen wir jedoch spätestens seit der von Kanzler Scholz verkündeten verteidigungspolitischen Zeitenwende.

Eine solche Verkündung kann bald auch migrationspolitisch unumgänglich werden, wenn die Flüchtlingsströme in die EU und dort vor allem nach Deutschland nicht deutlich abnehmen, sondern noch weiter zunehmen. Von wem sie dann erfolgt und was sie beinhaltet, wird man sehen. Nicht auszuschließen ist, dass dann neben migrationspolitischen Steuerungsmaßnahmen auch Änderungen des bestehenden Asylrechts verkündet werden, um so nicht nur den Zustrom über den Asylweg, sondern auch den rechtlichen Anspruch auf Asyl zu begrenzen. Für Deutschland wäre dies ein zweiter Versuch dieser Art nach der im Jahr 1993 erfolgten Ergänzung des Artikels 16 des Grundgesetzes durch den Artikel 16a, der inzwischen aber so gut keine Anwendung mehr findet.

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