Wem die tägliche Krisenberichterstattung aus Energie, Krieg und Klima nicht genügt, der kann immer noch auf das Thema Migration zurückfallen. Ein kurzer Abriss der Nachrichten allein aus dem Monat November: Das Sozialamt in Berlin Neukölln schließt für zwei Wochen seine Pforten, da es dem enormen Ansturm nicht mehr gewachsen ist, seitdem sich zusätzlich zu den üblichen Verdächtigen aus Syrien, Afghanistan und Co. nun auch Ukrainer dort anstellen. Die FAZ wiederum berichtet, dass die Migration nach Deutschland durch Asylsuchende und Flüchtlinge aus der Ukraine sich auf einem Höchststand seit 2016 befindet.
Wohlgemerkt: Diese Zahlen beinhalten also nicht die knappe Million ukrainischer Flüchtlinge, die seit Jahresanfang im deutschen Sozialsystem Unterschlupf gefunden haben. Apropos Sozialsystem: Im Zuge der Debatte um das Bürgergeld musste der SPD-Politiker Ralf Stegner in einem Interview darauf hingewiesen werden, dass seine Schätzung, 20 bis 25 Prozent der Hartz-IV-Empfänger seien Ausländer, empfindlich daneben lag. Der Anteil liegt bei mittlerweile 38 Prozent.
Dabei ausgeklammert sind aktuelle Kriminalitätsstatistiken und die berufliche Erfolgsquote der einst ausgelobten Syrer der Jahrgänge 2015/16. Dennoch mutet die kernige Aussage des österreichischen FPÖ-Chefs Herbert Kickl, der vor einigen Tagen der Regierung der Alpenrepublik angesichts der „Völkerwanderung“ Totalversagen vorwarf, fast schon wie ein Relikt aus der glorreichen Vergangenheit des Rechtspopulismus der 2010er Jahre an. Obwohl die Migrationsproblematik seit 2015 nie wirklich verschwand, geriet sie im Dauerfeuer permanenter Aufregung über das jeweilige nächste aktuelle Thema, „the current thing“, spätestens seit Corona in Vergessenheit.
Die berüchtigte Aussage von Kanzlerin Merkel im September 2015, nun seien die Flüchtlinge halt da, beendete damals zwar nicht jegliche Kritik an der Politik der offenen Grenzen, sie kann aber retrospektiv – mit den Worten Hunter S. Thompsons – dennoch als eine Hochwassermarke gesehen werden, jenen Ort, an dem die Welle der Empörung schließlich brach und zurückrollte.
Seitdem verebbte die Diskussion um Migration tatsächlich zunehmend. Politik und Gesellschaft haben gelernt, mit der obligaten Empörung, die bei jeder Messerstecherei, jedem Clan-Krieg, oder jedem Terroranschlag emporwallt, zu leben. Mehr als sieben Jahre, nachdem die Dämme des Grenzschutzes brachen, sind es nur noch Politiker der AfD, hartgesottene „Wutbürger“ und einige Journalisten, die sich verpflichtet fühlen, bei jedem „Einzelfall“ auf die offensichtlichen Verfehlungen des Staates hinzuweisen. Man müsse „endlich handeln“, heißt es dann, und man kaschiert damit mehr schlecht als recht, dass ein solches Handeln von der Regierung niemals beabsichtigt war.
Mittlerweile bedarf es kaum noch Kampagnen, um Gewehr bei Fuß stets das Gute zu tun und Vertriebenen aus nah und fern Obdach zu gewähren. Ein prinzipielles Hinterfragen der Flüchtlingspolitik ist nur mehr ein Markenzeichen jener Kräfte, die sich schon längst aus der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ verabschiedet haben. „Nun sind sie halt da“ hingegen ist tief in das Bewusstsein der Zivilgesellschaft eingedrungen.
Bemerkenswert ist dabei, dass mit dieser Abhängigkeit vom moralischen Imperativ, der seit 2015 jedwede Form der Immigration gebietet, die Abschaffung der letzten Reste realpolitischer Empirie einherging. Ähnlich wie die vielzitierte Wissenschaft begab sich die Politik auf einen Pfad, der sich weniger auf die Auswertung von Erfahrungswerten konzentrierte als vielmehr auf die Entwicklung von Prognosen. Das liebste Steckenpferd der Politik, die Klimawissenschaft, orakelt bereits seit mehreren Jahrzehnten über den bevorstehenden Klimakollaps, nur um letztlich immer wieder von der Natur eines Besseren belehrt zu werden. Früher hätte dies zu einer Hinterfragung der Hypothese geführt, nun aber bedeutet es lediglich, dass Computermodelle mit anderen Zahlen gefüttert werden, sodass andere möglichst verheerende Szenarien errechnet werden.
Ähnlich verhält sich die Politik im Fall der Migration. Die Tatsache, dass zwei Drittel der als Syrer eingereisten Männer bis heute Hartz IV beziehen, ist kein Grund, die ursprünglichen Erwartungshaltungen zu hinterfragen, sondern höchstens, Einheimische mangelnder Integrationshilfe zu beschuldigen, oder – momentan besonders populär – es einfach gar nicht erst zu thematisieren. Einmal gemachte Fehler dürfen nicht hinterfragt oder gar revidiert werden, so gilt auch heute wieder: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“.
Dieses Mantra haben Politik und jene Bundesbürger, die bis heute brav bei Wahlen die immer gleichen Parteien an die Macht hieven, vollkommen verinnerlicht. Doch wo beim Bürger tatsächlich noch die Hoffnung auf eine sinnstiftende Absolution von einer vagen Schuld (ob nun der als Deutscher, als Weißer, als Mann oder als Klimasünder) im Vordergrund stehen könnte, treibt die Parteien und das politische Vorfeld der NGOs vor allem Kalkül an.
Denn nichts wäre naiver, als lediglich an eine unglückliche Verkettung von Zufällen zu glauben, die zu diversen Migrationsbewegungen führten. Sei es die gezielte Destabilisierung des Nahen Ostens, die Schaffung sogenannter Push-/Pull-Faktoren, die mediale Propagierung einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft, die Finanzierung von Schleppern, sowie die vielen politischen Initiativen zur rechtlichen Legitimierung der demographischen Umgestaltung Europas im Allgemeinen, und Deutschlands im Speziellen, die sich nirgendwo deutlicher widerspiegelt als in der Agenda 2030 der UNO – all diese Elemente verdeutlichen, dass Migration als zentraler Baustein des gesellschaftlichen Umbaus von langer Hand geplant und somit politischer Wille ist. Dies kommt auch in der kürzlich verabschiedeten Resolution der EU, den Begriff des „Großen Austauschs“ als „rassistisch“ einzustufen und zu bekämpfen, zum Ausdruck.
In der gegenwärtigen Berichterstattung überwuchern einzelne Themenbereiche und Agenden so lange die gesamte gesellschaftliche Wahrnehmung, bis diese Agenden nahezu als Selbstverständlichkeit erscheinen. So geschehen in der Flüchtlingskrise 2015, so geschehen in der Ausmerzung jeglichen Zweifels an der Klimakatastrophe, so geschehen bei Corona, und so geschieht es nun auch beim Krieg in der Ukraine. Ist ein Thema erst ad acta gelegt, bleibt, trotz ungelöster Konflikte, keineswegs ein komplexes Bild der Unvollständigkeit zurück, sondern lediglich ein Referenzrahmen ideologischer Doktrin, auf den man sich medial und politisch in Zukunft immer wieder berufen kann.
Dass viele Behauptungen aus 2015 sich als plumpe Lügen entpuppt haben und dass zahlreiche Warner wieder mal als Nazis diffamiert wurden, weil sie vor der Einschleusung von Terroristen nach Europa warnten, all das ist im Nachhinein geschenkt. Zurück bleibt nur das Echo von Kampagnen, mit Hilfe derer den Bürgern eingebläut wurde, dass bedingungslose Hilfe das Mindeste ist, was man von ihnen verlangen könnte. Gleiches gilt für das Klimageschrei der Greta-Jahre und den krankhaften Gesundheitswahn der beiden letzten Jahre, der die Maske und gesundheitspolitische Restriktionen salonfähig machte, sodass die angelernten Reflexe bei zukünftigem Bedarf mit minimalstem Aufwand wieder abrufbar sind.
Der spätestens seit Corona exponentiell erhöhte gesellschaftliche und wirtschaftliche Druck trägt das Seinige zu der Situation bei. Wo früher noch Pegida vor der „Islamisierung des Abendlandes“ warnte und selbst noch vor einem Jahr die Spaziergänger ihrem Unmut gegen die Corona-Politik Ausdruck verliehen, blieben größere Demonstrationen ob des energiewirtschaftlichen Harakiri-Kurses in Deutschland bisher aus. Demonstrieren schön und gut, so scheint es, doch die Rechnungen müssen auch bezahlt werden. Mehr noch als in den letzten Jahren sind viele Deutsche mittlerweile dazu gezwungen, Zweitjobs anzunehmen, um angesichts der gestiegenen Kosten über die Runden zu kommen. Das begrenzt nicht nur die Möglichkeiten zum zivilen Ungehorsam, sondern auch die Fähigkeit, in der Fülle an Krisenherden die Übersicht zu behalten. Die gegenwärtige Beschäftigungstherapie bildet somit den optimalen Nährboden für eine demokratische Entmündigung der Bürger, denn eine umfassende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Brandherden wird für Otto Normaldemokrat irgendwann nicht mehr stemmbar.
Altbekannt ist auch, dass Migration im großen Stil meist zur Ghettoisierung und zu Parallelgesellschaften führt. Die Grundversorgung durch den Sozialstaat setzt dabei wenige Anreize für eine Einbindung in den Produktionskreislauf, stattdessen führt der Weg in Ermangelung sozialer Aufstiegschancen (bzw. mangelnden Aufstiegswillens) häufig in die Kriminalität. Ausländische Clans bekriegen sich bereits seit Jahren auf offener Straße in deutschen Großstädten, und in Schulen mit hohem Ausländeranteil haben deutsche Schüler die besten Überlebenschancen, wenn sie nicht auf eine Integration ihrer ausländischen Mitschüler hoffen, sondern sich stattdessen selbst in die jeweilige Kultur der dominierenden Migrantengruppe einfügen.
Doch die Dinge müssen nicht hoffnungslos erscheinen. Italien und Polen zeigen Wege auf, wie Migration sinnvoll begrenzt und gefiltert werden kann. Die monarchistische Partei „Konföderation der polnischen Krone“ reichte kürzlich einen Gesetzesentwurf ein, der von ukrainischen Flüchtlingen ein Bekenntnis zu Polen sowie die Anerkennung der Verbrechen von Stepan Bandera einfordert. Italien, andererseits, möchte dem Schleppertum über das Mittelmeer ein Ende setzen, wird dabei aber von Frankreich, das Meloni in dieser Frage in Europa „isolieren“ möchte, sowie von Deutschland, das Schlepperboote finanziert, unterwandert. Trotz dieser Hürden verdeutlichen die Regierungen in Warschau, Rom und Budapest aber, dass Veränderung möglich ist, wenn der politische Wille gegeben ist. Der erste Schritt dazu in Deutschland wäre die Einsicht, dass keine der im Parlament vertretenen Systemparteien diesen Willen besitzt. Alles weitere folgt konsequent aus dieser Erkenntnis.
David Boos ist Organist, Dokumentarfilmer und Journalist für den European Conservative und andere Magazine.