Tichys Einblick
Goldgräberstimmung im Schleuser-Gewerbe

Angebliche Zuwanderungsbremse Tunesien könnte für noch mehr Migration sorgen

Die Bevölkerung in Deutschland hat, bis auf diese unseligen 20 Prozent, die laut der Wirtschaftsweisen Ulrike Malmendier mit ihrer Wahl abseits der etablierten Parteien die dringend benötigten Fachkräfte abschrecken, gelernt, dieses regelmäßig wiederkehrende Hintergrundrauschen zur Migration zu überhören.

IMAGO / ZUMA Wire

Der Druck im Schmelztiegel steigt. In Schwimmbecken, Aufnahmezentrum und Schule brodelt es. Das einst überstrapazierte, schon von der neuen Modernität verdrängte Bild vom „Boot, das voll ist“, erhält auf vielfältige Weise neue Bedeutungen. Was die FAZ in ihrem Kommentar zur Flüchtlingskrise von 2015 noch mit der Überschrift „Dass Deutschland in der Welt so beliebt ist, kann man nur begrüßen“ bejubelte, beklagt heute in einem Kommentar an gleicher Stelle Reinhard Müller: „So kann es nicht weitergehen“.

Aber keiner hört auf die Mahnungen. Die Migranten strömen weiter in Richtung des Landes, das ihnen am attraktivsten erscheint (Matthias Nikolaidis berichtete für TE).

Täglich machen sich Nachahmer auf den beschwerlichen und teuren Weg. Ihnen ist es egal, ob ein paar Besorgte hierzulande wieder mal Bedenken haben. Und wie ein Geburtstagskind, dass sich plötzlich wegen eines Fehlers in der Facebook-Einladung hunderten feierwütigen Partygästen gegenübersieht, muss die Bundesregierung die Zuströmenden für die Bequemlichkeit neuerdings auf Biertragel und Bananenkisten verweisen, bald auf den nackten Boden. Der Sekt ist schon lange ausgetrunken, es gibt Wasser aus dem Hahn und Pappbecher.

Die Bevölkerung in Deutschland hat, bis auf diese unseligen 20 Prozent, die laut der Wirtschaftsweisen Ulrike Malmendier mit ihrer Wahl abseits der etablierten Parteien die dringend benötigten Fachkräfte abschrecken, gelernt, dieses regelmäßig wiederkehrende Hintergrundrauschen zur Migration zu überhören. Überwältigt von der Anziehungskraft, die das Land trotz AfD-Umfragehochs offenbar noch auf weniger fachlich geeignete Personen ausübt, lassen sie der Politik freie Hand.

Freilich nicht ganz ohne ein mulmiges Gefühl, beim Anblick der Kevins, der Olafs und der Nancys, die „das Problem“ wie 2015 weder überblicken noch „in den Griff“ zu bekommen scheinen. Die ganze Wucht ministerialer, behördlicher Entschlossenheit kann doch nicht an der Aufgabe „Begrenzung der illegalen Einreise“, sofern die wirklich gewollt ist, scheitern? Die Bude einfach verrammeln, jemandem die Türe zeigen? Keinesfalls. So ernst kann die Lage doch längst noch nicht sein. Und bei allen Beobachtern wächst die Überzeugung, dass hier wohl demnächst nichts Entscheidendes zu erwarten sein wird.

Bei den Profiteuren

In Nordafrika und auf dem Balkan, in den Villen der Schleuser und bei den Inhabern von Schmugglerbuden am Mittelmeer herrscht freudige Betriebsamkeit. Es findet derzeit sicher ein radikaler Preisanstieg statt: Nutzen Sie jetzt noch Ihre Chance, Morgen kann es schon zu spät sein! Das „Fenster der Gelegenheit“ (aus dem Englischen) könnte sich schnell schließen. Bei den Italienern, bei den Franzosen, den Briten und selbst den Deutschen wird es demnächst eventuell schwer werden, Fuß zu fassen. Vielleicht wird man an der Grenze zu Tunesien schon festgehalten, vielleicht auf ein Hotelschiff oder in eine Herberge nach Ruanda gesteckt. Bei diesen Aussichten darf man sicher sein, dass die Schlauchboote, die Schlepperkonvois auf der Balkanroute und die dunklen Ecken in vielen Containern noch einmal richtig voll gepackt werden.

Wäre der Markt für illegale Einwanderung eine Showverkaufsveranstaltung wie der Hamburger Fischmarkt, europäische Politiker könnten einem genialen Verkäufer wie Aale-Dieter locker die Kundschaft abspenstig machen. Die Art und Weise, wie sie sich nun seit Monaten in Richtung einer möglichen, denkbaren, verantwortbaren eventuellen „Lösung“ des Migrationsproblems vortasten, sich zieren und winden, ist Marketing vom Feinsten. Die Spannung steigt mit jedem „Migrationsgipfel“, der wieder kein Ergebnis erzielt, und jedem Prozentpünktchen, das eine als „rechts“ ausgemachte Partei hinzugewinnt. Beste Konjunkturaussichten für die Menschenschmuggler, denn noch besser als ein knappes Gut zu verkaufen, ist es, wenn man mit der Drohung verkauft, demnächst werde das Angebot ganz gestrichen. Die Verkäufer von Öl- und Gasheizungen können ein Lied davon singen.

Bei den Migranten

Ist man immer noch hypnotisch von dem Glitzern angezogen, das wie ein Leuchtfeuer den Weg nach Westen weist. Die drei F (Finanzen, Freie Heilfürsorge und Familiennachzug) tun ein Übriges, um immer neue Einwanderer anzuziehen (auszuwandern ist in der Einschätzung von Ex-Kanzlerin Merkel angeblich eine Entscheidung, die man „nicht leichtfertig“ treffe). Die paar Misstöne, die nun wieder durch die deutsche Presse flattern, über Ärger im Freibad, übervolle Unterkünfte und überforderte Lehrer nimmt man über sein Smartphone zum Beispiel im afghanischen Kandahar (hier beworben bei „Connecting Afghanistan“) oder Herat (Liste der Internetprovider bei ISP) gar nicht erst zur Kenntnis. Zwar präsentieren viele Mittelmeer-Schleuser den Passagieren vor Abfahrt eine Schwimmweste, aber der Gedanke ans Ertrinken scheint vielen Migranten, trotz vieler drastischer kürzlicher Beispiele, ganz fremd zu sein. Die Boote sind brechend voll, die Geschäfte mit den halsbrecherischen Überfahrten brummen.

Diese blindwütige Goldgräberstimmung wird auch unter der Überschrift „Willkommen in Deutschland“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge trotz des Bekenntnisses, doch „schützen, fördern, vernetzen“ zu wollen, nicht weiter getrübt. Keine einzige der in 13 Sprachen zum Herunterladen angebotenen Broschüren enthält eine Warnung vor den möglicherweise drohenden Gefahren auf dem langen Weg ins „gelobte Land“, oder den dort für Neuankömmlinge immer prekärer werdenden Umständen. Was diesen Ratgebern außer drastischen Warnungen vor abenteuerlichen Schlepperangeboten fehlt, ist die Vermittlung einer angemessenen Portion Skepsis.

Es gibt nirgendwo Texte „zu Risiken und Nebenwirkungen“ eines Lebens in der kaum vertrauten Umgebung, auch nicht auf der Migrations-Seite des Webauftritts des Bundesinnenministeriums, welches sich damit begnügt, vor einer bunten Collage aus hübschen Passfotos allgemeine Informationen zu den Einreiseformalitäten zu geben. Eindringlich, wie US-Vizepräsidentin Kamala Harris (bei youtube, 2021 vom Guardian) zu warnen, käme wohl in Deutschland niemandem in den Sinn: „Kommen Sie nicht, kommen Sie nicht … wir werden weiterhin unsere Grenzen schützen, und wir werden Sie zurückschicken …!“

Lange vergangen scheinen die Zeiten, in denen die Deutsche Botschaft in Kabul 2015 auf großen Plakatwänden (zu sehen bei Stars & Stripes News) die Menschen zweisprachig in Pashtu und Dari aufforderte, sich doch „zweimal zu überlegen, ob sie die Reise wirklich antreten wollen“ (Bericht von Radio Free Europe). Die Kampagne, so Radio Free Europe, habe zum Ziel gehabt, „Mythen über garantierte Arbeitsplätze und großzügige Zahlungen bei der Ankunft in Deutschland zu entlarven…“

Die Botschaft, die auch über den Twitter-Hashtag #RumoursAboutGermany übermittelt wurde, sei „…dass die Geschichten, die Afghanen über das gute Leben in Deutschland hörten, zu schön seien, um der Wahrheit zu entsprechen…“, „glauben Sie nicht den Gerüchten und Falschinformationen, die von Menschenhändlern absichtlich verbreitet werden, über die vermeintlich leichte Reise und das leichte Leben in Deutschland“, heißt es laut RFE in einem Facebook-Post. „Setzen Sie nicht Ihr Leben aufs Spiel, indem Sie versuchen, nach Europa zu fliehen. Menschenhändler sind Kriminelle, die nur an Geld interessiert sind. Sie sagen nicht die Wahrheit und kümmern sich nicht um Menschenleben.“

Bei den Willkommenden

Gewinner des Preises für das am längsten laufende Drama der Welt wären zweifellos die ansonsten weniger schauspielbegabten deutschen Politiker. Seit gut dreißig Jahren geben sie mit Inbrunst das Volkstheaterstück „Zorn und Demut der Hochmütigen“. Im ersten Akt werden die Nachteile der Zuwanderung in die Sozialsysteme (Günther Beckstein 2000: „Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen.“) so augenfällig, dass die CDU sogar eigens zu einem Symposium Jugendgewalt einlädt (2008).

Daraufhin entlädt sich eine Fülle von markigen Forderungen (wie oft hat man Rufe wie den des neuen CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann nach „sofortiger Aburteilung“ schon gehört?), die sofort in Akt 2 auf planmäßige Entrüstung von links und „juristische Bedenken“ stoßen. In Akt 3 greift dann eine Sprach-Feuerwehr ein, beruhigt mit dem bekannten Dreiklang „Beschönigen, Besprechen, Vertagen“ und erstickt den Schwelbrand in einer Flut von Geld und Sozialprogrammen (siehe den Fall der berühmten Berliner „Rütlischule“, bevor der Kreislauf dann etwas später von neuem beginnt.

So ist es jetzt mit den Zugangskontrollen zu den Berliner Schwimmbädern, den Clanunruhen im Ruhrgebiet oder den Angriffen auf Einsatzfahrzeuge an Silvester, und so wird es anlässlich der schon absehbaren nächsten und übernächsten Zwischenfälle weitergehen. Frei nach Helmut Kohl 1982: „Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.“

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