Tichys Einblick
Der Anti-Musk

Merz kann es nicht

Die bittere politische Wahrheit ist: Keine der Parteien im Bundestag will ein Misstrauensvotum. Trotz Minderheitsregierung. Schlüsselfigur ist Friedrich Merz. Der Zauderer verspielt seine Chance, indem er aus Rücksicht auf die Brandmauer lieber mit Scholz paktiert, statt Geschichte zu machen.

picture alliance / dts-Agentur | -

Friedrich Merz steht am Rubikon und scheut das Wasser. Nichts, das den politischen Beobachter überrascht. Er ist ein Anti-Musk. Jemand, der Risiko als Gefahr denn Chance begreift. Wenn Bedächtigkeit die Tatkraft frisst, dann bleibt der Zauderer übrig. Selbst wenn ihm Fortuna auf dem Silbertablett einmalige Möglichkeiten serviert.

Olaf Scholz hat sich in den letzten Tagen desavouiert. Eine Minderheitsregierung hat ihre Berechtigung. Sie braucht aber dennoch eine Basis, etwa durch wohlwollende Tolerierung einer weiteren Partei, die nicht Teil der Koalition ist. Diese Legitimität besitzt die zur Fußgängerampel degradierte Scholz-Koalition mit zwei Farben nicht. Und weil Scholz weiß, dass diese Regierung weder im Parlament noch in den Augen der Mehrheitsbevölkerung Legitimität besitzt, versucht er das unvermeidliche Ende hinauszuzögern.

Dieser schäbige Versuch des eigenen Machterhalts unter der heuchlerischen Phrase staatlicher Verantwortung haben nicht nur Konservative und Liberale längst durchschaut. Wäre Olaf Scholz ein populärer Kanzler, der durch Führungskraft und Überzeugungsarbeit eine breite Unterstützung in der Bevölkerung hätte, dann würde ein solcher Modus funktionieren. Das tut er aber nicht. Neben Scholz erscheinen selbst Kiesinger und Merkel charismatisch.

Der zwingende historische Schluss wäre demnach ein konstruktives Misstrauensvotum. Nicht nur CDU/CSU, FDP und AfD müssten daran ein Interesse haben. Auch das BSW könnte bei einer Neuwahl auf starke Gewinne hoffen und den zügigen Umbau von einer Gruppe zur Fraktion im Bundestag.

Scholz hat am Freitag wahrgenommen, dass er nicht durchregieren kann, wenn mindestens die Union sich unkooperativ zeigt. Aus Ungarn sendete der Kanzler das deutliche Signal, dass er möglicherweise nicht beim 15. Januar als Tag der Vertrauensfrage bleibt.

Für jede Führungsfigur wäre das der Moment, um die Gelegenheit am Schopf zu packen. Etwa, indem er (oder sie) den Kanzler mit Anträgen unter Druck setzt, die eine Mehrheit des Bundestages gewinnen. Merz könnte schon nächste Woche einen Antrag einbringen, der vielleicht politisch kühn wäre, aber eine demonstrative Mehrheit finden würde. Etwa ein provokativer Antrag zum Wiedereinstieg in die Atomkraft. Er würde außerdem zeigen, wie ernst die Ampel-Gegner ihre Wahlversprechen meinen.

So unangenehm diese Wahrheit ist, aber in diesem Moment wäre ein Opportunist wie Markus Söder hilfreicher als ein Zauderer wie Merz. Und wenn es nur darum geht, gemäß Machiavelli Fortuna zu schlagen und zu stoßen und dieser Rest-Ampel die letzte Kraft zu rauben. Wer auch immer jetzt Scholz entthront, wird bei der wahlentscheidenden Klientel als Retter wahrgenommen. Das sollte es eigentlich wert sein. Helmut Kohls Erfolgsrezept bestand darin, den Wind der Geschichte zu riechen; aber Kleinkariertheit und Borniertheit verstopfen die Nasen des gegenwärtigen politischen Personals.

Das ist auch der Grund, warum es in Deutschland keine Giorgia Meloni, keinen Donald Trump, keinen Javier Milei gibt – sie alle haben risikoreiche Positionen eingenommen. Das deutsche Establishment hofft dagegen auf eine politische Vollkasko-Versicherung. Die besteht aus Pfründen, nicht aus Willen zur Macht. Angela Merkel hat in Deutschland so lange regieren können, weil sie den richtigen Moment erkannte, um ihre Rivalen abzusägen. Sie hat aber aus diesem machtpolitischen Kapital niemals staatsmännisches Erbe geformt.

Friedrich Merz hält sich an diese eiserne Regel. Statt die Minderheitsregierung vor sich herzutreiben, kommt er ihr entgegen. Er hat angekündigt, keine Anträge mehr zu stellen, um eine Mehrheit mit der AfD zu vermeiden. Damit hat die CDU sich ins Knie geschossen. Denn damit schließt Merz de facto auch ein konstruktives Misstrauensvotum aus.

Die politische Wahrheit ist aber noch bitterer. Denn es liegt nicht nur an CDU/CSU. Bei einem konstruktiven Misstrauensvotum würde die Union Merz aufstellen. Das BSW würde sich mit großer Wahrscheinlichkeit eher enthalten, um sich nicht nachsagen zu lassen, Blackrock-Merz ins Amt gehoben zu haben.

Die AfD befindet sich in einer ähnlichen Zwickmühle. Intern dürfte die Angst bestehen, bei einer Wahl des CDU-Anführers in den Ruch der CDU-Unterstützung zu kommen. Bei vielen ideologisch strammen Politikern wie Wählern dürfte das als unverzeihlich goutiert werden – und wenn es nur darum ginge, dass Merz seinerseits die Vertrauensfrage stellte, um das Parlament aufzulösen. Die AfD dürfte sich in der konkreten Situation innerlich nicht weniger entzweien als das BSW.

Um diesen Zwiespalt zu vermeiden, müsste Merz das konkrete Angebot machen, dass die Brandmauer eingebrochen wird. Dass ein AfD-Verbot nicht kommt. Die Union hat sich aber zu sehr auf die AfD als eigentlichen politischen Gegner eingeschossen, um hier zurückzurudern. Zumindest unter einem Parteiführer Merz wäre das nicht möglich.

Merz degradiert sich demnach schon heute zum Wasserträger von Olaf Scholz. Und ist dafür verantwortlich, dass Deutschland nach einer Wirtschaftskrise in eine politische Krise schlittert. Denn ein konstruktives Misstrauensvotum will außer vielleicht der FDP, die dadurch ihre letzten Stammwähler überzeugen möchte, niemand. Und das trotz Mehrheit im Bundestag. Nur in der Stagnation ist sich die Mehrheit der Parteien einig. Bekanntlich stehen Tod und Stagnation in engem Zusammenhang. Die Kakistokratie hat die Republik beerdigt.

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