Tichys Einblick
Entrüstete Reaktionen von SPD & Grünen

Vernünftiger „Populismus“: Merz will doppelter Staatsbürgerschaft an den Kragen

Einem Straftäter mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche aberkennen? Friedrich Merz möchte darüber zumindest nachdenken, und thematisiert damit ein Grundproblem der deutschen Migrationspolitik. Von links kommt – wenig überraschend – überzogene Kritik an dem Vorstoß.

picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Viele Deutsche haben den Eiertanz in Sachen Migration satt. Nicht erst seit Angela Merkels verfehlter Politik hat sich in Deutschland in diesem Bereich ein gigantischer Reformstau aufgebaut, der durch laufende Fehlentscheidungen immer schwerer zu korrigieren ist.

Der Unmut darüber wurde, ebenfalls nicht erst seit 2015, durch politische Sprachregelungen in Schach gehalten: Jede kritische Auseinandersetzung mit der Frage, was Ausländer, die in Deutschland leben wollen, zu tun und zu lassen haben, wurde der Einfachheit halber als ausländerfeindlich gebrandmarkt. Dringend notwendige Diskussionen wurden verhindert – jahrzehntelang. Jahrzehnte, in denen sich Parallelgesellschaften entwickelten, und in denen ein maßvolles Gespür dafür, dass beide Seiten etwas zum gedeihlichen Zusammenleben beitragen müssen, vollkommen verloren gegangen ist. Dies äußert sich links der Mitte in blauäugiger Naivität, und rechts davon in immer unverhohlenerer Xenophobie. Kein Wunder. Der einfache Bürger wurde mit Nachdruck nach „rechts“ geschoben, seine Sorgen wurden ignoriert und dämonisiert, und die spürbaren Veränderungen im öffentlichen Raum als Einbildung abgetan.

Wenn nun Friedrich Merz‘ Aussagen in einem Interview mit der Welt für heftige Abwehrreaktionen sorgen, dann zeigt das nur, wie weit sich der Diskurs von rationalen Überlegungen verabschiedet hat: Merz hatte unter anderem gefordert, dass ausländische Straftäter ausgewiesen werden müssten. Spätestens nach der zweiten Straftat. Das ist nicht nur keine neue Forderung, das ist einigermaßen nachsichtig und keineswegs radikal. Zudem nahm er die doppelte Staatsbürgerschaft ins Visier: Straftätern mit doppelter Staatsangehörigkeit solle die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt werden können; generell zieht Merz eine Beschränkung der doppelten Staatsbürgerschaft auf Ausnahmefälle in Betracht.

Das ist vernünftig und einleuchtend, sorgt aber natürlich für Entrüstung von links. Nancy Faeser warf Merz vor, in einen „populistischen Überbietungswettbewerb“ einzutreten, und Fakten zu „ignorieren“. Das entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, ist es doch gerade Faesers Ministerium, das stur die Augen vor der Gefährdung der Inneren Sicherheit durch islamistische Gewalttäter und solche mit Migrationshintergrund verschließt. Es ist nicht Friedrich Merz, der hier Fakten leugnet.

Kosten explodieren
Immer mehr Bürgergeld für immer mehr Nicht-Bürger
Beinahe schon rührend sind Faesers Einlassungen, die ihn des Populismus überführen sollen: Die Anforderungen, um deutscher Staatsbürger zu werden, seien im Gegenteil durch das neue Staatsbürgerschaftsrecht erhöht worden: „Kein deutscher Pass für Kriminelle, keiner für Antisemiten, keiner für Menschen, die nicht glasklar zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, keiner für Männer, die die Gleichberechtigung von Frauen missachten (…)“, so Nancy Faeser, die sich offenbar nicht vorstellen kann, dass ein Mensch für die Annehmlichkeiten, die ihm ein deutscher Pass bietet, womöglich schlicht und einfach lügen könnte. „Und“, so fährt sie fort, „kein deutscher Pass für Menschen, die nicht selbst für sich und ihre Familie sorgen können.“ Dabei haben beinahe die Hälfte der Bürgergeldempfänger keinen deutschen Pass, versorgen ihre Familien aber trotzdem über den deutschen Sozialstaat.

Auch von den Grünen kommt Kritik: Die Landesvorsitzende der Grünen in NRW, Yazgülü Zeybek, versucht es auf der persönlichen Ebene: Sie selbst habe die doppelte Staatsbürgerschaft, Merz‘ Forderung sei „integrationspolitischer Wahnsinn“, der „Menschen die hier leben und arbeiten, zu Staatsbürgern zweiter Klasse (…),“ mache.

Die Betroffenheitsrhetorik mag über Inhalte hinwegtäuschen, aber in Wirklichkeit ist das Gegenteil wahr: Zum Staatsbürger zweiter Klasse macht sich, wer zu Deutschland nicht unumwunden „Ja“ sagen möchte, wer sich nicht tatsächlich ganz und gar als deutscher Bürger empfinden will oder kann. Das ist erst einmal völlig legitim: Heimat finden und Wurzeln schlagen sind keine kurzfristigen Prozesse, und sie lassen sich nicht erzwingen. Es mag Menschen geben, die aus guten Gründen viele Jahrzehnte in einem fremden Land verbringen, sich produktiv und konstruktiv einbringen, und die dennoch niemals ihre Staatsbürgerschaft zugunsten der Wahlheimat aufgeben wollen. Staatsbürger sollte man nur werden, wenn man sich tatsächlich in einem Land derart heimisch fühlt, dass man dessen Geschichte, Bräuche, Eigenarten und Lebensart so sehr schätzt und sich so zu eigen gemacht hat, dass man ganz darin aufgeht.

Soll Einbürgerung gelingen, so folgt sie der Integrationsleistung – eine so richtige wie unspektakuläre Einsicht von Friedrich Merz. Sie ist kein Mittel zur Integration, wie es sich linke Kreise offensichtlich wünschen, so als könne man Fremdheit beheben, indem man Fremde nicht mehr fremd nennt.

Wer sich nicht mit dem Land, in dem er lebt, voll identifizieren kann, kann auch nicht Bürger dieses Landes werden. Wird er es, ist er lediglich Bürger „zweiter Klasse“, weil er sich eben nicht voll als Bürger dieses Landes empfindet. Dafür sind aber nicht etwa einheimische Ausländerfeinde verantwortlich, und auch Friedrich Merz spricht lediglich die Tatsache aus, die verschleiert und verschwiegen wird: Wenn die Identifikation mit Deutschland nicht so weit geht, dass man auf eine zweite Staatsbürgerschaft verzichten will, sollte man die deutsche nicht zuerkannt bekommen – von Ausnahmefällen abgesehen. Denn es ist offensichtlich, dass viele lediglich die Vorteile abgreifen, nicht aber die Verpflichtungen und die Verantwortung dem – nun eigenen – Land gegenüber wahrnehmen wollen.

Merz zitiert die vorläufige Einbürgerungsbilanz von 2024, der gemäß rund 80 Prozent der Anstragsteller ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten wollen: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein doppelter Boden, ein Annehmen der neuen Heimat unter Vorbehalt. Wenn also Zeybek behauptet, Merz mache Doppelstaatler zu Bürgern „auf Bewährung“, dann ist auch hier das Gegenteil der Fall: Diese begreifen Deutschland als Heimat „auf Bewährung“, und das, obwohl sie es sind, die sich einfügen und integrieren müssten. Bringen sie durch ihr Verhalten dann auch noch ihre Verachtung gegenüber Deutschland zum Ausdruck, ist die Frage berechtigt, warum sie beanspruchen, Bürger dieses Landes zu sein.

Der integrationspolitische Wahnsinn liegt also in der unkritischen Zuerkennung, ja, der richtiggehenden „Verramschung“ der deutschen Staatsbürgerschaft, und darin, zuzulassen, dass sich ein Neubürger eben doch nicht so ganz auf Deutschland einlassen muss, weil er sich immer auf seinen Herkunftsstaat zurückziehen kann.

Obwohl die Frage nach der doppelten Staatsbürgerschaft nur einen kleinen Teil der Migrationsproblematik umfasst, ist sie daher von größter Bedeutung: Würde Deutschland lediglich aus humanitären Gründen Flüchtlingen Obdach bieten, bis die Gefahr in ihren Heimatländern gebannt ist, politisch Verfolgten Asyl gewähren, und hochqualifizierten Fachkräften geregelte Einwanderung ermöglichen, so würde Migration kein „Problem“ darstellen, sondern lediglich eine Herausforderung, die man pragmatisch angehen kann. Sie wurde nur deshalb zu einem gravierenden Problem, weil man krampfhaft versucht hat, die Frage nach Integration zu bewältigen, ohne die Frage nach Identifikation zu stellen. Der Grund dafür ist zwar komplex, liegt aber auf der Hand: Es ist die mangelnde Identifikation eines großen Teils der Deutschen mit ihrem eigenen Land. Wer dem eigenen Land gegenüber nicht loyal ist, wird auch nicht einsehen, warum andere es sein sollten, und ist auch nicht dazu in der Lage, glaubwürdig Loyalität einzufordern.

Wenn Friedrich Merz also „etwas sehr Grundsätzliches“ an der Migrationspolitik verändern will, wird man der unbequemen Auseinandersetzung mit der deutschen Haltung zur eigenen Heimat mittel- und langfristig nicht ausweichen können.

Die laxe und achtlose Einstellung zur Staatsbürgerschaft und zum deutschen Pass ist lediglich Symptom dieser Haltung, und muss so oder so in der einheimischen Bevölkerung überwunden werden, wenn die Migrationspolitik sich nachhaltig verbessern soll. Dennoch wäre es zumindest ein erster Schritt, die fatalen politischen Entscheidungen in diesem Bereich rückabzuwickeln, und wenigstens rechtlich die Bedeutung der deutschen Staatsangehörigkeit aufzuwerten.

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