Geradezu gönnerhaft hatte Friedrich Merz am Mittwoch der Rest-Ampel angeboten, bis zum Neuwahl-Termin am 23. Februar 2025 im Bundestag nur noch solche Themen auf die Tagesordnung zu setzen, auf die sich seine Union, SPD und Grüne vorab geeinigt haben.
Inhaltlich offenbarte der CDU-Chef damit ein verstörend verächtliches Verständnis vom Parlament und von der repräsentativen Demokratie. Medial wollte sich der 69-Jährige damit als der Mann inszenieren, der für die verbleibenden knapp 100 Tage dieser Legislaturperiode darüber entscheidet, wie der Hase läuft.
Doch der Hase hat andere Pläne.
Der Schuss zielt direkt ins Herz von CDU und CSU: Nachdem unter Angela Merkel die Wehrpflicht abgeschafft, aus der Atomkraft ausgestiegen und die Ehe für alle eingeführt wurde, ist der Schutz des ungeborenen Lebens praktisch der letzte verbliebene konservative Markenkern der Union. Doch ohne den § 218 kann die Union da nichts mehr schützen.
Der Antrag im Bundestag stellt Merz gleich vor mehrere Probleme.
Erstens verhagelt es ihm den Plan, sich bis zur Neuwahl sozusagen schon als Kanzler im Wartestand zu präsentieren. SPD und Grüne zeigen, dass sie durchaus eigene Vorstellungen davon haben, was bis zum 23. Februar 2025 noch so alles im Parlament diskutiert und abgestimmt werden soll. Nach seinem vollmundigen Angebot zur Bildung eines politischen Kartells am Mittwoch steht Merz jetzt relativ blöd da.
Zweitens könnte der Union bei einer Abstimmung im Januar ein bisher immer recht wichtiges Wahlkampfthema verloren gehen. Geht der Gesetzentwurf mit Mehrheit durch, ist der diesbezügliche Kulturkampf für CDU und CSU verloren. Dann lassen sich mit dem Thema auch kaum noch Wähler mobilisieren.
Dann allerdings könnten SPD und Grüne im Wahlkampf ihre Anhänger mit der Erzählung mobilisieren, die Union habe im Gleichschritt mit der AfD eine „Ausweitung von Frauenrechten“ verhindert. Oder so ähnlich. Inhaltlich ist das natürlich dramatischer Quatsch, weil es – entgegen den Behauptungen der Abtreibungslobby – gar nicht um Frauenrechte geht, sondern um Lebensschutz.
Aber das von Merz so sorgsam gepflegte Bild einer „Brandmauer“ zur AfD würde wohl trotzdem schon mehr als nur ein paar Kratzer abbekommen.
Das sieht offenbar auch Olaf Scholz so, der es sich nicht hat nehmen lassen, den Gesetzentwurf mit als Erster zu unterschreiben. Der amtierende Bundeskanzler führt den Oppositionsführer da gerade am Nasenring durch die Manege. Die wütende Reaktion von Merz („Affront“, „skandalös“) zeigt ganz gut, wie hilflos der CDU-Chef in Wahrheit ist.
Ihren Vorstoß begründen SPD und Grüne übrigens völlig unverblümt damit, dass sie nach der Neuwahl nicht mehr mit einer „progressiven Mehrheit“ im Parlament rechnen. Heißt: Die gescheiterte Ampel will jetzt noch schnell Fakten schaffen, bevor der Wählerwille sie aufhält.
Im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland 106.218 Schwangerschaften durch eine Abtreibung abgebrochen worden. Das ist eine Großstadt mit so vielen Einwohnern wie Cottbus oder Gütersloh oder Hanau oder Hildesheim oder Kaiserslautern oder Salzgitter oder Siegen.
Manchmal wünscht man sich, die Abtreibungsfans in allen Parteien würden sich mit derselben Energie, mit der sie Schwangerschaftsabbrüche bewerben, auch dafür einsetzen, dass Frauen in Deutschland zuversichtlich Kinder bekommen können.