Tichys Einblick
Andere stehen zusammen, Deutsche nicht

Merkwürdige deutsche Lust an der Unterwerfung

Als die USA an 9/11 von Terroristen angegriffen wurden, rückten die USA zusammen. Wenn Deutschland von Irren angegriffen wird, nutzen Politiker, Journalisten und diverse selbsterklärte Migrantensprecher die »Gelegenheit«, um Deutschland zu spalten.

© Getty Images

Wir lesen: »ihre rechte Hand spielte mit einer Peitsche, während ihr bloßer Fuß sich nachlässig auf den Mann stützte, der vor ihr lag wie ein Sklave, wie ein Hund, und dieser Mann, mit den scharfen, aber wohlgebildeten Zügen« — und dann unterbrechen wir die Lektüre. Wir wundern uns, was es ist, das wir da lesen. Wir schauen nochmal auf den Einband. Da steht: »Venus im Pelz«. – Da steht auch der Name des Autors, und der erklärt einiges, selbst wenn wir ihn bis zu diesem Punkt noch nicht gehört hätten. Es ist »Leopold von Sacher-Masoch«. – Ja, auch wenn es dem Autor später nicht gefiel, das »Masoch« wurde zur Wurzel des Wortes »Masochismus«.

Ich selbst verstehe nicht, warum Männer sich auspeitschen lassen – doch ich muss es auch nicht verstehen. Wenn zwei Erwachsene es aus freien Stücken tun (und es nicht Kindern oder Unbeteiligten aufzwingen), dann sollen sie doch.

Etwas kniffeliger wird die Sache, wenn ganze Nationen geradezu Lust daran empfinden, sich zu demütigen.

Rauchwolken über Paris, Hetze in Hanau

TRT (kurz für »Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu«, eine Art »türkische ARD«) verbreitete vorgestern Videoaufnahmen aus Istanbul, von jungen Männern, die sich in einen Bus drängten, der sie nach Griechenland bringen sollte, in die EU, nach Deutschland (@trtworld, 28.2.2020).

Der türkische Sender spricht von »Refugees« – »Flüchtlingen«. Wir sehen auf dem Video keine Frauen, keine Kinder. Wir sehen junge, starke Männer im wehrfähigen Alter – und diese Männer sind wütend. Die jungen Männer wollen nach Griechenland, aber wirklich nach Zentraleuropa, in die EU, in die Metropolen, viele wollen nach Deutschland.

Wie läuft es derzeit in Zentraleuropa? Nun, unser aller alte Liebe, Paris, die Stadt des Lichtes (ich höre Serge Gainsbourg, während ich dies schreibe), sie brennt länger schon im übertragenen Sinne, in bildlicher Sprache, gestern brannte es in Paris wieder ganz buchstäblich. Am Gare de Lyon (gebaut für die Weltausstellung 1900, Heimat des Restaurants Le Train Bleu) stiegen am Freitag schwarze Rauchwolken in die Luft. Es wurde sogar vom »ersten deutschen Fernsehen« in den Abendnachrichten erwähnt (tagesschau.de, 28.2.2020) – doch es wurde doppelt geframed: Mit dem Merkel-Trick »reductio ad emotum« wurde es auf die Emotion der Betrachter reduziert (»haben für Aufregung gesorgt«), man sagt, dass der »Hintergrund« »offenbar« »Demonstrationen gegen die politischen Einstellungen aus dem Kongo« gewesen seien, die im Internet kursierenden Aufnahmen wurden vom »ersten deutschen Fernsehen« so zurechtgeschnitten, dass man die randalierenden Herrschaften nicht sah. So wie die Tagesschau es berichtete, könnte man fast »Rechte« dahinter vermuten. Unter anderem in Sozialen Medien und ausländischen Medien erfuhr und sah man dann, dass es sich bei den Demonstrierenden zumeist um junge Männer handelte, Exil-Kongolesen, welche in ihrer politischen Wut nicht nur Brände legten (siehe etwa dailymail.co.uk, 28.2.2020), sondern dann auch noch die Feuerwehr angriffen . (Gainsbourg singt: »J’en ai marre j’en ai ma claque, de ce cloaque…«)

Jedoch, es sind nicht die einzigen Bilder, die wir dieser Tage aus Europas Metropolen und den Provinzen an den Grenzen sehen. Letzte Woche fand in Hanau ein sogenanntes Gedenken anlässlich der Mordtat eines Irren statt, dessen Tat zur Waffe im Kampf gegen die Opposition umfunktioniert wird (Video von RT, gewissermaßen dem russischen Gegenstück zur Deutschen Welle). Im Publikum sah man viele Fahnen von Linken bis Linksextremen, etwa der IG Metall (im Video bei 30:53), Fridays for Future und der linksextremen DIDF-Jugend (beide im Video an 30:57). Immer wieder erschallt der kommunistische Schlachtruf: »Hoch die internationale Solidarität!« (Details zu diesem Kampfruf finden sich auf der Themenseite bei mlpd.de). – Eine Rednerin liest einen Text vor, der sich aus linken Schlagworten und Anti-Oppositions-Rhetorik zusammensetzt, und es erweckt den Eindruck, als läse sie den gedruckten Text zum ersten Mal. Eine andere Rednerin, immerhin frei redend, beschimpft das Publikum, unterscheidet immerzu zwischen »wir« und »ihr/euch«. Und sie sagt Sätze wie: »Deutschland, du hast in Bezug auf Rassismus versagt« (ca. 42:50), und: »Wenn ihr von uns Integration fordert, dann geht ihr jetzt als Deutsche in die Shishabar und legt eure deutschen Ausweise nieder. Keine Kerzen! Wenn ihr Integration wollt, beherrscht ihr erst einmal unsere Namen und unsere Geschichten, vorher seid ihr keine Deutschen.« (43:46)

Es ist wirr, was sie sagt. Die Dame fordert, dass Deutsche ihre Identität ablegen und sich in türkische bzw. kurdische Identität integrieren – vorher seien sie »keine Deutschen«.

Wir kennen Erdogans Mahnung aus der Kölnarena: »Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit« (welt.de, 10.2.2008). Wir kennen diese Art von Denken, sie ist nicht neu.

Schockierender als die Forderung selbst ist die Reaktion des Publikums: Man applaudiert. Deutsche applaudieren, wenn Bürger mit Migrationshintergrund fordern, dass sie ihre deutschen Ausweise ablegen und sich in die fremde Kultur integrieren.

Die junge Rednerin ist vermutlich vom Applaus ermutigt, und sie legt nach: »Bevor ihr euch mit den politischen Auseinandersetzungen außerhalb Deutschlands beschäftigt, macht erstmal eure eigene Toilette sauber und nennt eure Kinder endlich beim Namen: Die Nazischweine, die Missgeburten sollt ihr beim Namen nennen und sie nicht als Kranke und psychisch gestörte Menschen behandeln, es sind Nazis.« (ca. 44:16)

Man könnte die Hetze dieser Dame einzeln analysieren – man muss es nicht. Vom Applaus und den vielen roten Fahnen ermutigt erklärt sie erst und führt dann ganz praktisch vor, was sie unter »Integration« versteht. Es ist nicht überraschend, es ist nicht einmal schockierend. Um Björn Höcke zu zitieren: »Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!« (Sagte ich »Björn Höcke«? Pardon, ich meinte »Angela Merkel«, siehe etwa spiegel.de, 16.10.2010.)

Dass die Dame in einem emotionalen Moment zeigt, wie sie wirklich denkt ist es nicht, das mich schockiert – es ist das Johlen der Menge, als die Dame ihre vulgäre Hetze ins Mikrofon ruft, der mich ratlos hinterlässt.

Zurück in die Realität

Der spielerische, erotische Masochismus von Erwachsenen und der zerstörerische, doch bisweilen ähnlich erotisch aufgeladene Masochismus von Nationen haben gemeinsam, dass ich selbst mit beiden nichts anfangen kann – doch sie unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Private Hobby-Masochisten schaden sich selbst, nationale Masochisten schaden der Nation, und selbst entziehen sie sich nicht selten den Folgen ihres nationalen Masochismus. (Einige denken hier an eine gewisse Kapitänin, die Migranten nach Europa brachte, selbst aber »langfristig« nicht in Deutschland leben will, denn dort seien »zu viele Menschen auf zu engem Raum«.) Nationaler Masochismus wirkt, wenn man ihn näher betrachtet, wie ein Sadismus der sozial stärkeren gegenüber den eigenen Schwächeren. (Wenn es sie selbst betrifft, werden aus Gutmenschen ja bekanntlich sehr schnell »Bösmenschen«.)

Der systematisch größte Unterschied zwischen privatem und nationalen Masochismus ist aber: Das private masochistische Spiel kennt »Safewords« (laut bustle.com, 18.1.2018 sind die drei häufigsten Safewords, aus dem Englischen übersetzt: »Rot«, »Ananas« und »Banane«). Privater Masochismus ist ein Spiel, und wenn man genug davon hat, ausgepeitscht zu werden, ruft man das vereinbarte Wort, das Spiel wird abgebrochen und man tritt zurück in die Realität. Nationen, die sich als Kollektiv am Masochismus ergötzen, befinden sich nicht im Spiel, es ist die Realität und es gibt also keine Safewords, die einen zurück in eben diese holen könnten. Dies ist kein Spiel, dies ist die Realität, wie irreal es sich auch anfühlen mag. (Dies ist kein Spiel, nein, und doch will man uns mit politischer Korrektheit knebeln – zur Sicherheit.)

Wer sich peitschen lässt …

Der vorletzte Absatz der Novelle »Venus im Pelz lautet:

Jetzt haben wir nur die Wahl, Hammer oder Amboß zu sein, und ich war der Esel, aus mir den Sklaven eines Weibes zu machen, verstehst du? Daher die Moral der Geschichte: Wer sich peitschen läßt, verdient, gepeitscht zu werden.
(Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz.)

Ach, es ist doch schön, wenn sich Akkorde wiederholen: Ich bezog mich schon kurz vorm letzten Jahreswechsel auf Goethes »Amboss oder Hammer sein« (Essay vom 29.12.2019) – und ich wusste schon damals, dass ich weder noch sein will.

Die Lust des Masochisten ist die Lust daran, Amboss zu sein – der, auf den draufgeschlagen wird.

Ein bekanntes Sprichwort sagt: Mitleid gibt es gratis, Neid muss man sich verdienen. Ich fürchte, dass Deutschland – wenn es so weitermacht – weder Neid noch Mitleid entgegenschlagen wird. Ach, wenn da wenigstens Dankbarkeit wäre – doch, wir haben es gehört, die dankbaren Ausländer, wie ich, sind selbst bald Ausgestoßene, und statt Dankbarkeit schallt einem entgegen: »Deutschland, du hast in Bezug auf Rassismus versagt!« – Nein, es ist weder Neid noch Mitleid, dass sich Deutschland und der selbsterklärt »tolerante« Westen verdienen werden, es ist ein Schulterzucken: »Wer sich peitschen läßt, verdient, gepeitscht zu werden.«

Altmodisch, spießig, okay

Als die USA an 9/11 von Terroristen angegriffen wurden, rückten die USA zusammen. Wenn Deutschland von Irren angegriffen wird, nutzen Politiker, Journalisten und diverse selbsterklärte Migrantensprecher die »Gelegenheit«, um Deutschland zu spalten, um die Deutschen übelst zu beschimpfen – und um die ans Erotische grenzende Lust am Nationalen Masochismus zu bedienen.

Dies ist mein letzter Text im Februar des Schaltjahres 2020 – mich schaudert schon, wenn ich in die Zukunft blinzele, was der dritte Monat uns bescheren wird.

Ich will nicht gepeitscht werden, nicht als Individuum, und nicht als Gesellschaft.

Nennt mich von mir aus rechts, kommunistisch oder außerirdisch. Ich bin nicht links, und das heißt auch: Ich empfinde weder Lust daran, andere zu demütigen, noch Lust daran, selbst gedemütigt zu werden.

Es ist mir recht gleichgültig, wie man mich dafür nennt, doch ich will »einfach nur« »meine Kreise ordnen«, in einem klugen und wehrhaften Land, wo gute Gesetze und das Recht gelten. Nennt mich spießig, konservativ oder altmodisch – das ist absolut okay. Wenn Leute im Privaten einander auspeitschen wollen, sollen sie es von mir aus tun, doch denen, die das Land hassen und auspeitschen wollen, denen sollten wir die politische Peitsche aus der Hand nehmen – bald!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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