Es wird immer besser: Merkels „Wir packen das!“ soll jetzt auf dem diplomatischen Wege gemeinsam mit dem syrischen Präsidenten untermauert werden. Die Fluchtbewegungen aus Syrien, weg von Assad, weg von der ISIS, weg von möglichen russischen Fliegerbomben, soll jetzt mit Hilfe des vom Westen längst kategorisch zum Ultimate Evil erklärten Bashar al-Assad gestoppt werden.
Was muss das zunächst für den von den Medien und der Politik verlachten und zum politischen Hasardeur und notorischen Selbstdarsteller heruntergespielten Jürgen Todenhöfer für eine Genugtuung sein! Schrieb er doch schon im Januar 2014 für die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift „Verhandelt mit Assad!“: „Der Westen muss diese absurde Politik beenden. Er muss hierzu, ob es ihm gefällt oder nicht, auch direkt mit dem syrischen Präsidenten verhandeln.“
Jürgen Todenhöfers Genugtuung
Und weil der Westen nun offenbar noch einmal über eineinhalb Jahre später wieder Erwarten doch bereit ist, Gespräche aufzunehmen – man muss davon ausgehen, das Merkel sich eng mit Washington, London und Paris abgestimmt hat – darf automatisch auch Todenhöfers damalige Anschluss-Analyse als stimmig angesehen werden, jene, in der feststellte, dass das Ansehen der syrische Exil-Opposition in Syrien gering ist. „Sie gilt als Erfindung des Westens – auch bei der überwältigenden Mehrheit der syrischen Rebellen“
Jetzt muss man sich einmal die Bilder der letzten Wochen vor Augen führen, hunderttausende vorwiegend männliche Syrer, die nicht nur vor Gewalt und Zerstörung fliehen, sondern natürlich auch vor einem möglichen Kriegseinsatz. Hunderttausende Syrer, die an den europäischen Grenzen Merkelplakate über die Zäune und in die Kameras halten und „We love you!“ skandieren, als wäre die mild lächelnde Dame ein arabischer Popstar. Merkel, die Madonna des Wohlstands und der sicheren Arbeitsplätze. Was werden diese Menschen wohl über die neue Assad-Gesprächsbereitschaft der Bundeskanzlerin zu sagen haben? Wie stehen die Flüchtlinge überhaupt zu Assad? Sind sie auf der Flucht vor der ISIS oder vor Assad oder vor beiden? Oder vor etwas ganz anderem? Oder allem zusammen?
Nun behauptete der syrische Präsident jüngst in einem Interview mit dem russischen Fernsehen – quasi die Kick-Off-Veranstaltung zum verstärkten Engagement Putins in Syrien – der Westen unterstütze den „Terrorismus“ in Syrien. Deswegen würden die Syrer fliehen. Und bestätigte damit die Beobachtung Todenhöfers, der festgetellt haben wollte, dass die syrische Exil-Opposition in Syrien als Erfindung des Westens gilt.
Wer in Syrien gegen wen?
Natürlich sind die alten Anti-Assad-Reflexe im Westen, in der westlichen Presse, heute nicht verschwunden. Sofort nachdem Merkels Überlegungen bekannt wurden, war auch die Rede vom unbelehrbaren Diktator, der sein Volk mit Fassbomben vertreibt, der foltert, mordet und brandschatzt. Das alles darf als wahr angenommen werden. Aber ebenso wahr ist auch, was schon vor einem, vor zwei, drei und mittlerweile vier Jahren wahr war: Assad befindet sich im Krieg. Im Krieg mit einer vom Westen und den arabischen Verbündeten hochgerüsteten Opposition, im Krieg mit dem sich immer weiter ausdehnenden Kalifat und nun auch im Krieg mit der eigenen Bevölkerung; im Krieg mit Hunderttausenden wehrfähigen Männern, die nicht bereits sind, für Assad und seinen ungewinnbaren Kampf zu den Waffen greifen, also ihr Heil in der Massenflucht suchen.
Wollen wir gar nicht damit anfangen, dass Assad möglicherweise durchaus reformbereit war. Der vereinte Wille des Westens ihn zu brechen hat ebenso dafür gesorgt, dass die Vorstellung eines reformwilligen Assads Artikel für Artikel, politische Verlautbarung um Verlautbarung, unisono zum großen Täuschungsmanöver des Präsidenten erklärt wurde. Die Wahrheit ist also längst unter einer unübersehbaren Zahl unterschiedlichster „embedded“-Haltungen beerdigt worden. Wahrscheinlich ist beides wahr: Assad mag durchaus eine positive Vorstellung von Veränderungen gehabt haben, aber von solchen, die streng gedeckelt waren von Macht erhaltenden Bedingungen, die als Nährboden für Reformen nun mal völlig untauglich waren.
Befeuert wurde sein Rückzug von allen Zugeständnissen dann auch von ausländischen – nennen wir sie mal: – Contra-Aktivitäten, wie besagter auch vom Westen finanzierten Opposition. So wusste die „Washington Post“ schon lange vor dem Aufflammen dieses furchtbaren Konfliktes zu berichten, dass das State Department bereits ab 2006 „mindestens sechs Millionen Dollar an syrische Oppositionsgruppen“ zahlte.
Was nach der Apokalypse 2.0?
„Apokalypse Now 2.0. Die Schande ist gesellschaftsfähig geworden. Verrohung von Mitgefühl. Freiwillige Reduktion des gesunden Menschenverstandes. Selbstindiziertes Irrsein.“, so schrieb der Autor schon im Juni 2012 empört über die Haltung des Westen, als das hunderttausendfache gegenseitige Töten begann. Viele schrieben irgendwas, aber nichts änderte sich. Todenhöfer schrieb noch zwei oder drei Bücher mehr, die Bundeskanzlerin war nach Fukushima zu sehr damit beschäftigt, den Grünen ihren Atomkraft-Nein-Danke-Bypass aus dem Herzen zu reißen, und in der Syrienfrage geschah weiter nichts. Ach doch, es starben eine Viertelmillion Menschen. Frauen, Kinder, Alte und auch Männer.
Eine Viertelmillion, die nicht mehr aus irgendeinem der hinreichenden Gründe aus Syrien nach Deutschland flüchten konnten. Und wenn wir noch länger abwarten, sind es vielleicht bald eine halbe oder gar eine ganze Million. Richtig, so könnte man das Problem auch lösen. Wenn man Zyniker ist. Wenn man sich aus der Weltgemeinschaft sang- und klanglos verabschieden will.
Oder man sucht endlich Lösungen um dieses massenmordende Patt endlich aufzubrechen. Putin hatte eine Idee (militärische Übermacht für Assad/ Kriegsende). Merkel hatte eine Idee (Sprechen mit Assad/Kriegsende). Entscheiden Sie selbst, was mehr Hoffnung in sich trägt. Entscheiden Sie auch darüber, was in der Flüchtlingsfrage die bessere Lösung ist. Entscheiden Sie selbst, was möglicherweise besser ins 21. Jahrhundert passt. Entscheiden Sie und unterstützen Sie die Akteure: Sie packen das!