Nachdem bei den Landtagswahlen in Thüringen das von Bodo Ramelow angeführte Bündnis aus Linken, SPD und Grünen keine Mehrheit mehr erhielt und die AfD hinter der Linken zur zweitstärksten Kraft avancierte, formierte sich bundesweit recht schnell eine partei- und medienübergreifende Einheitsfront für die Fortsetzung des rot-rot-grünen Bündnisses als eine von Union und FDP unterstützte Minderheitsregierung.
Ins Spiel gebracht wurde vom ehemaligen thüringischen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus in diesem Zusammenhang zuletzt eine von Ramelow geführte rot-rot-grüne „Projektregierung“ unter Beteiligung der CDU. Andere CDU-Politiker, allen voran der schleswig-holsteinsche Ministerpräsident Daniel Günther, plädierten sogar offen für eine Koalition der Union mit der Linken, die von der CDU-Führung im Bund aus Angst vor weiteren Stimmenverlusten Richtung AfD allerdings abgelehnt wurde. Präferiert wurde von ihr stattdessen die Duldung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung und damit die Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten durch die Abgeordneten der CDU.
Im Konrad Adenauer Haus ist man angesichts dieser Zwickmühle offenbar der Meinung, dass eine weitere Stärkung der AfD einer weiteren Stärkung der Grünen vorzuziehen sei und plädierte deswegen für die Duldung und Unterstützung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung in Thüringen. Das mag aus der Sicht der West-CDU nachvollziehbar sein, drohen ihr dort derzeit doch vor allem die Grünen den Rang als stärkste Partei abzulaufen. In Thüringen und einigen anderen neuen Bundesländern liegen die Dinge aber anders. Dort ist die AfD inzwischen stärker als die CDU und auf dem besten Weg, der Union nicht nur bei den konservativen Wählern den bisherigen ersten Rang streitig zu machen. Mike Mohring und seine Landtags-Kollegen handelten daher ebenso rational wie im gesunden Eigeninteresse, den von der Bundes-CDU favorisierten Linksruck nicht zu vollziehen und anstelle von Ramelow Kemmerich zum Ministerpräsidenten zu wählen.
Die AfD um Björn Höcke scheint diese insbesondere für die CDU höchst vertrackte Sachlage weit besser durchschaut und verstanden zu haben als die Matadore des rot-rot-grünen Bündnisses von Ramelow, die auf einige CDU-Überläufer in den ersten beiden Wahlgängen bzw. die Wahlenthaltung der CDU-Abgeordneten im dritten Wahlgang setzten. Der AfD ging es in erster Linie um den Vollzug des Wählerwillens der zurückliegenden Landtagswahl, bei der Rot-Rot-Grün keine Mehrheit mehr erhielt, sowie um die Demonstration ihrer numerischen Stärke im Landtag. Da weder die Union noch die FDP sich dazu bereit erklärten, über eine Koalition mit der AfD zu reden, blieb ihr nur noch der Weg, den Kandidaten einer dieser beiden Parteien zum Ministerpräsidenten zu wählen, um so die Wiederwahl Ramelows zu verhindern. Da die CDU sich weigerte, selbst einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken, fiel die Wahl schließlich auf den Kandidaten der FDP, die mit der Kandidatur von Kemmerich verhinderte, dass gegen den Kandidaten der Linken und den Kandidaten der AfD gar kein Vertreter der liberal-konservativen Abgeordneten im Thüringer Landtag antrat.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist in Thüringen mit der Wahl von Thomas Kemmerich geschehen. Was daraus in Thüringen konkret wird, muss man erst noch sehen. Inzwischen hat der neu gekürte Ministerpräsident Kemmerich wohl auf Druck aus Berlin angekündigt, den Landtag auflösen zu wollen und Neuwahlen anzustreben, für die er im Landtag allerdings eine Antragsmehrheit von einem Drittel und eine Beschlussmehrheit von Zwei Drittel benötigt. Erneut steht damit in Frage, ob die Mehrheit der Thüringer Abgeordneten, allen voran der CDU, diesem Druck seitens der Bundes-Partei nachgeben werden.
Was auch immer in Thüringen die nächsten Tage und Wochen geschieht: Der Kampf um die zukünftige politische Ausrichtung der Union ist mit der Wahl von Kemmerich in die Phase einer offenen Feldschlacht getreten und alles andere als entschieden. Am Beispiel Thüringen zeigt sich, wie gespalten die CDU mittlerweile zwischen den Kräften ist, die ihre politischen Koordinaten weiter Richtung SPD, Grüne und mittlerweile sogar Linke verschieben, und denjenigen Kräften, die das liberal-konservative Profil ihrer Partei wieder schärfen möchten. Es wird immer wahrscheinlicher, dass dies die CDU über kurz oder lang zerreißen wird. Neuwahlen in Thüringen werden diesen Prozess voraussichtlich eher beschleunigen als verlangsamen.