Anfang März berichtete der Spiegel, einige EU-Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, weigerten sich, die zweite Hälfte der im Rahmen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei vereinbarten sechs Milliarden EURO an die Türkei zu überweisen. Die ersten drei Milliarden sind inzwischen überwiesen. Sie wurden zu einem Drittel aus dem EU-Haushalt und zu zwei Dritteln direkt von den Mitgliedsländern getragen. Von den zwei Milliarden Direktzahlungen hat Deutschland rund eine halbe Milliarde übernommen. Die EU-Kommission möchte, dass bei der zweiten Tranche in derselben Weise verfahren wird, während Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden, Dänemark und Finnland nunmehr fordern, dass diese komplett aus dem EU-Haushalt beglichen wird.
Direkt beteiligt war an den Verhandlungen, wie wir seit Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ wissen, von EU-Seite lediglich noch Ministerpräsident Rutte aus den Niederlanden, die zum damaligen Zeitpunkt turnusgemäß den EU-Ratsvorsitz innehatten. Der gewählte EU-Ratspräsident Tusk war hingegen weder an dem Gespräch beteiligt noch von Merkel darüber informiert.
Beide drückten daher aufs Tempo und präsentierten den EU-Ratsmitgliedern ein im gemeinsamen Alleingang ausgearbeitetes Konzept, das diese auf ihrer Ratssitzung am 8. März 2016 zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. Ein von Tusk und dem zuständigen EU-Kommissar Timmermanns mit den Türken ausgearbeitetes Abkommen, das laut Standard die EU-Mitglieder weit billiger gekommen wäre, wurde so geschreddert, wobei nicht klar ist, warum die anderen Länderchefs die von Merkel und Davutoglu ausgehandelte teurere Lösung einfach akzeptierten. Möglicherweise gingen die Teilnehmer der Sitzung schon damals davon aus, dass Deutschland die Kosten des von seiner Regierungschefin ausgehandelten Deals weitgehend selbst übernehmen würde, ohne dass Merkel dieser Annahme ausdrücklich widersprochen hat.
Wie dem auch sei, inzwischen mehren sich in der EU wohl die Stimmen, die fordern, dass Deutschland den Großteil der (Rest-)Kosten für einen Deal übernehmen soll, den es im Alleingang mit der Türkei eingefädelt hat. Solche Forderungen sind durchaus naheliegend, wenn man berücksichtigt, dass die Kosten der Begrenzung der Massenzuwanderung über die Türkei wahrscheinlich weit geringer ausgefallen wären, hätte man zunächst die Balkanroute geschlossen und abgewartet, wie sich dies auf den Zustrom nach Griechenland auswirkt. Bestenfalls hätte man auf Erdogans Rolle als bezahlten Türsteher der EU komplett verzichten und die Grenzen zur Türkei mit eigenen EU-Kräften sichern können. Daran war aber im März 2016 im Ministerrat der EU offenbar niemandem ernsthaft gelegen.
Wurde im September 2015 die schon vorbereitete Grenzschließung von Merkel abgelehnt, um „schlimme Bilder“ an der deutsch-österreichischen Grenze zu vermeiden, betrieb sie mit ihrem Türkei-Deal im März 2016 eine Art Outsourcing der Grenzsicherung an die Türkei, um so die von ihr kategorisch abgelehnte Schließung der Balkanroute zu unterlaufen. Letzteres ist ihr bekanntlich nicht gelungen. Wäre es ihr gelungen, ist davon auszugehen, dass der Zustrom von der Türkei über Griechenland und die Balkanstaaten nach Deutschland trotz EU-Türkei Deal bis heute weitgehend unvermindert anhalten würde. Zu den Kosten des Deals kämen die zusätzlichen Kosten einer anhaltenden Massenzuwanderung über die Balkanroute noch hinzu. Dass wenigstens diese Kosten sich verringert haben, verdankt die deutsche Bevölkerung nicht Merkel, sondern Kurz und Orban.
Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop