Es braucht keine prophetische Gabe. Viele Delegierte auf dem CDU-Parteitag mit der Faust in der Tasche, aber zu feige zum Widerstand, sagen am 26. Februar Ja. Ja, zum Koalitionsvertrag mit der SPD. Ja zu vier weiteren bleiernen Merkel-Jahren, die allenfalls anreichert sind mit den „verqueeren“ Vorstellungen eines postmodernen Social Engineering im Sinne der Genderideologie und anderer Beglückungsfantasien [siehe Alexander Wallasch, TE vom 14. Februar 2018].
Der Demokratische Zentralismus war das verbindliche Organisations- und Leitungsprinzip der untergegangenen SED. Kern dieses Prinzips: Die Leitung der Partei und ihrer Politik von der Führungsspitze aus. Im Mittelpunkt die Kaderpolitik, wie es damals hieß, also Personalpolitik von oben. „Parteiauftrag“ (SED-Jargon) der nachgeordneten Mandatsträger und Delegierten: die von oben empfohlenen Personalvorschläge durch Wahl bestätigen und die Politik der Parteispitze nach unten vermitteln. [vgl. auch: DDR-Handbuch. Band 1, A-L. Köln 1985]
Nein, Frau Merkel ist beileibe keine Kommunistin, wie ihr manche Wutbürger zornig vorwerfen. Sie ist nicht einmal eine verkappte Sozialistin oder Sozialdemokratin. Merkel ist Opportunistin, eine Frau ohne Grundüberzeugungen. Ihr politisches Programm ist inhaltliche Beliebigkeit, ihr politisches Ziel persönlicher Machterhalt. Sie handelt nicht aus Werten und Prinzipien heraus, ihr Handeln ist rein taktisch. Ihr taktisches Meisterstück im Dienste der Machterhaltung lieferte Merkel im August ’17 kurz vor der Bundestagswahl in der Frage der „Ehe für alle“ ab. Merkel hat sich nie als ausgesprochene Verteidigerin herkömmlicher Vorstellungen von Ehe und Familie hervorgetan. Es bleibt deshalb zu vermuten, dass ihr auch in diesem Punkt wirkliche Überzeugungen abgehen. Aber die „Ehe für alle“ ist ein konservatives Herzensthema. Eine potentielle Tretmine in künftigen Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl.
Doch im Konflikt Werte gegen Machterhalt weiß die Kanzlerin allemal, wo sie steht. Deshalb erklärt sie die Abstimmung bauernschlau zur Gewissenfrage und gibt die Abstimmung frei. Aber was heißt da überhaupt „Abstimmung freigeben“? In Artikel 38 Abs.1 GG steht doch ohnehin: „Sie (die Parlamentarier) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Um Kanzlerin zu bleiben scheut sie kein Opfer. Auch nicht den Ruin der eigenen Partei. Die CDU ist entleert, quasi dehydriert, inhaltlich und personell. Im Vorhof der Macht sitzen zwar schon einige Vertreter der nächsten Generation. Aber „junge Wilde“ sind sie nicht. Wirkliche Kritik an Merkel kommt ihnen schon gar nicht über die Lippen. Es sind karrierebewusste junge Leute, vermutlich bereit, für einen Ruf aus Merkels Politbüro alle Kritik, alle Überzeugungen und alle politische Haltung fahren zu lassen.
Deshalb ist Merkels Partei keineswegs Opfer von Merkels Politik. Die CDU ist selber schuld an ihrem Elend. Ihre Mitglieder und Funktionäre verhalten sich nicht weniger willfährig wie die Mitglieder und Funktionäre der SED im letzten Jahrzehnt des beschleunigten Niedergangs der DDR. Und Merkels Demokratischer Zentralismus wird auch am 26. Februar siegen, selbst wenn ein paar Parteifreunde ein wenig stänkern sollten. Der Preis dafür ist ein weiterer Verlust politischer Glaubwürdigkeit.
Das aber ist häufig der Anfang vom Ende.
Prof. Dr. Berthold Löffler, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Hochschule Ravensburg-Weingarten