Tichys Einblick
Demokratie steht Kopf

Merkel und der Demokratische Zentralismus

Um Kanzlerin zu bleiben scheut Merkel kein Opfer. Auch nicht den Ruin der eigenen Partei. Die CDU ist entleert, quasi dehydriert, inhaltlich und personell. Im Vorhof der Macht sitzen zwar einige Vertreter der nächsten Generation. "Junge Wilde" sind sie nicht.

© JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

Es braucht keine prophetische Gabe. Viele Delegierte auf dem CDU-Parteitag mit der Faust in der Tasche, aber zu feige zum Widerstand, sagen am 26. Februar Ja. Ja, zum Koalitionsvertrag mit der SPD. Ja zu vier weiteren bleiernen Merkel-Jahren, die allenfalls anreichert sind mit den „verqueeren“ Vorstellungen eines postmodernen Social Engineering im Sinne der Genderideologie und anderer Beglückungsfantasien [siehe Alexander Wallasch, TE vom 14. Februar 2018].

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Der Preis, den die CDU bezahlt: vier weitere Jahre politischer Selbstverleugnung. Wie keinem ihrer Vorgänger ist es Merkel in ihrer Zeit als Vorsitzende gelungen, der Partei eine Führungspraxis zu verpassen, die wie eine Kopie des Demokratischen Zentralismus der SED wirkt. Zufall oder nicht. Jedenfalls dürfte Angela Merkel das Prinzip des Demokratischen Zentralismus schon aus biographischen Gründen nicht unbekannt sein. Bloß in der Merkel-Sprache wurde daraus das berüchtigte „Durchregieren“.

Der Demokratische Zentralismus war das verbindliche Organisations- und Leitungsprinzip der untergegangenen SED. Kern dieses Prinzips: Die Leitung der Partei und ihrer Politik von der Führungsspitze aus. Im Mittelpunkt die Kaderpolitik, wie es damals hieß, also Personalpolitik von oben. „Parteiauftrag“ (SED-Jargon) der nachgeordneten Mandatsträger und Delegierten: die von oben empfohlenen Personalvorschläge durch Wahl bestätigen und die Politik der Parteispitze nach unten vermitteln. [vgl. auch: DDR-Handbuch. Band 1, A-L. Köln 1985]

Unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats war der Demokratische Zentralismus der SED eine historische Notwendigkeit. Unter den Verhältnissen einer parlamentarischen Demokratie ist der Demokratische Zentralismus der CDU aber nichts anderes als die frei gewählte Selbstunterwerfung der Partei unter das autoritäre Führungsmodell der Großen Vorsitzenden. Nichts beschreibt den Zustand der innerparteilichen Demokratie in der CDU treffender. Abweichendes Verhalten vielleicht noch auf Orts- und Kreisebene. Auf den Ebenen darüber bleibt kaum mehr etwas dem Zufall überlassen. Ab da zählen vor allem persönliche Gefolgschaftstreue und Loyalitätsbekundungen für die Kanzlerin statt innere Überzeugung und politische Grundhaltung.

Nein, Frau Merkel ist beileibe keine Kommunistin, wie ihr manche Wutbürger zornig vorwerfen. Sie ist nicht einmal eine verkappte Sozialistin oder Sozialdemokratin. Merkel ist Opportunistin, eine Frau ohne Grundüberzeugungen. Ihr politisches Programm ist inhaltliche Beliebigkeit, ihr politisches Ziel persönlicher Machterhalt. Sie handelt nicht aus Werten und Prinzipien heraus, ihr Handeln ist rein taktisch. Ihr taktisches Meisterstück im Dienste der Machterhaltung lieferte Merkel im August ’17 kurz vor der Bundestagswahl in der Frage der „Ehe für alle“ ab. Merkel hat sich nie als ausgesprochene Verteidigerin herkömmlicher Vorstellungen von Ehe und Familie hervorgetan. Es bleibt deshalb zu vermuten, dass ihr auch in diesem Punkt wirkliche Überzeugungen abgehen. Aber die „Ehe für alle“ ist ein konservatives Herzensthema. Eine potentielle Tretmine in künftigen Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl.

Doch im Konflikt Werte gegen Machterhalt weiß die Kanzlerin allemal, wo sie steht. Deshalb erklärt sie die Abstimmung bauernschlau zur Gewissenfrage und gibt die Abstimmung frei. Aber was heißt da überhaupt „Abstimmung freigeben“? In Artikel 38 Abs.1 GG steht doch ohnehin: „Sie (die Parlamentarier) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

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Merkel weiß natürlich, dass sich eine Mehrheit im Bundestag für die „Ehe für alle“ entscheiden wird. Sie selbst stimmt publikumswirksam dagegen, gedacht als Bonbon für die Konservativen in der Partei. In der Tat, ein gerissenes Kalkül. Denn die Parteikonservativen mosern jetzt höchstens noch hinter vorgehaltener Hand und „Jamaika“ konnte, wie wir heute wissen, jedenfalls an dieser Frage nicht scheitern. In den seltenen Momenten aber, in denen die Kanzlerin auf Widerspruch stößt, zeigt sie, wie sehr sie das Prinzip des Demokratischen Zentralismus verinnerlicht hat. Als der CDU-Parteitag im Dezember 2016 beschließt, die Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen, um damit eine mit der SPD vereinbarte Regelung aus dem Jahre 2014 zu beenden, die die doppelte Staatsangehörigkeit faktisch zum Regelfall gemacht hatte, lässt Merkel schlicht verlauten, dass sie sich an diesen Beschluss nicht gebunden fühle. Merkel legitimiert sich durch Merkel. Ein Fall von souveräner Willkür, sozusagen. Große Vorsitzende eben. Und am vergangenen Sonntag hat sie sich im ZDF-Interview „für weitere vier Jahre das Vertrauen ausgesprochen.“ [Matthias Matussek. Hamburg: Bericht aus einer verwunschenen Welt. TE vom 13. Februar 2018]

Um Kanzlerin zu bleiben scheut sie kein Opfer. Auch nicht den Ruin der eigenen Partei. Die CDU ist entleert, quasi dehydriert, inhaltlich und personell. Im Vorhof der Macht sitzen zwar schon einige Vertreter der nächsten Generation. Aber „junge Wilde“ sind sie nicht. Wirkliche Kritik an Merkel kommt ihnen schon gar nicht über die Lippen. Es sind karrierebewusste junge Leute, vermutlich bereit, für einen Ruf aus Merkels Politbüro alle Kritik, alle Überzeugungen und alle politische Haltung fahren zu lassen.

Deshalb ist Merkels Partei keineswegs Opfer von Merkels Politik. Die CDU ist selber schuld an ihrem Elend. Ihre Mitglieder und Funktionäre verhalten sich nicht weniger willfährig wie die Mitglieder und Funktionäre der SED im letzten Jahrzehnt des beschleunigten Niedergangs der DDR. Und Merkels Demokratischer Zentralismus wird auch am 26. Februar siegen, selbst wenn ein paar Parteifreunde ein wenig stänkern sollten. Der Preis dafür ist ein weiterer Verlust politischer Glaubwürdigkeit.

Das aber ist häufig der Anfang vom Ende.


Prof. Dr. Berthold Löffler, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Hochschule Ravensburg-Weingarten


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