Tichys Einblick
Erkenntnisgewinn: gegen Null

Merkel gibt dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss die Ehre

Zwischen zwei Buch-PR-Aktionen in Washington und London nimmt sich Angela Merkel gerade noch Zeit, um im Afghanistan-Untersuchungsausschuss auszusagen. Wie bereits aus ihrer Biografie ersichtlich wird: Von Selbstkritik und ehrlicher Analyse eigener Fehler hält Merkel nichts.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr

Ein vom Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzter Untersuchungsausschuss befasst sich seither mit dem reichlich chaotischen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, sowie mit der Evakuierung des deutschen Personals und afghanischer Ortskräfte. Die Bundeswehr hatte urplötzlich vom 16. bis zum 26. August 2021 mit Maschinen vom Typ A400M und A310 insgesamt 5.347 Personen aus mindestens 45 Nationen ausgeflogen.

Betrachtet wird im Untersuchungsausschuss der Zeitraum vom 29. Februar 2020 – dem Abschluss des sogenannten Doha-Abkommens zwischen der US-Regierung unter dem damaligen US-Präsident Trump und Vertretern der Taliban – bis zum Ende des Mandats zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.

Das nach der Hauptstadt Katars benannte sog. Doha-Abkommen war von den USA und den Taliban unterzeichnet worden. Es regelte den Rückzug der US-Truppen und ihrer Verbündeten aus Afghanistan. Im Gegenzug sollten die Taliban zusagen, dass Afghanistan kein Rückzugsort für terroristische Gruppen werde. Ziel war es, den seit 2001 andauernden Krieg zu beenden. Umstritten war „Doha“ allerdings deshalb, weil die gewählte afghanische Regierung nicht beteiligt war.

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Auf den Prüfstand des Untersuchungsausschusses sollte auch kommen, warum die Warnungen, die Taliban könnten alsbald die Macht übernehmen, in Berlin verhallten und die deutschen Diplomaten in Kabul beauftragt waren, ihre Stellung zu halten, obwohl die Taliban bereits eine afghanische Provinz nach der anderen übernommen hatten und auf Kabul vorrückten. Das Botschaftspersonal setzte sich aber über die Direktiven aus Berlin hinweg: Es verbrannte im Garten Akten und zerschlug Computer, damit sie den Taliban nicht in die Hände fielen. In Berlin hoffte man währenddessen immer noch, dass es schon nicht so schlimm kommen würde.

All das sollte in den vergangenen beinahe zweieinhalb Jahren parlamentarisch geklärt werden. Der Ausschuss ist mittlerweile bei der 97. Sitzung angekommen. Im Januar 2025 – noch kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl – soll es eine abschließende Debatte der Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses im Bundestag geben.

Am 28. November 2024 war der ehemalige Außenminister Heiko Maas (SPD) befragt worden. Er gab an, noch bei einem Besuch in Kabul Ende April 2021 „nicht den Eindruck eines zusammenbrechenden Regimes“ gehabt zu haben. Ebenfalls am 28. November hatte der damalige Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) die aus seiner Sicht gute Zusammenarbeit der Ressorts in der Afghanistanpolitik betont.

Merkels Auftritt

Am 5. Dezember nun stand die Befragung zweier zentraler Zeugen an: die Befragung des damaligen Kanzleramtsministers Helge Braun (CDU), der zugleich für den Bundesnachrichtendienst BND zuständig war; und die Befragung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die während der überstürzten Kabuler Evakuierungsmaßnahmen im Urlaub war. Helge Braun räumte am 5. Dezember ab 12 Uhr ein, dass es wohl besser gewesen wäre, sich auf das Szenario einer direkten Machtübernahme durch die Taliban vorzubereiten. Die Behörden hatten dafür sogar schon einen Namen: Unter dem Begriff „Emirat 2.0“ wurden unterschiedliche denkbare Szenarien durchgespielt. „Durchgespielt“!

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Um 15 Uhr trat dann Merkel an. Sie hatte um den Nachmittagstermin gebeten, da sie tags zuvor von der Vorstellung ihrer Memoiren mit Moderator und US-Ex-Präsident Barack Obama von Washington nach London gereist war, um ihr Werk „Freiheit“ am Abend in der Royal Albert Hall vorzustellen.

Über 30 Minuten lang nahm sich Merkel erst einmal Zeit mit einer umfassenden Einführung. Zum Schluss kam Merkel zum Urteil: „Die internationale Gemeinschaft hatte ihre Ziele in Afghanistan zu hoch gesteckt.“ Merkel hält die Entscheidung, die USA nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 mit der ersten NATO-Mission zu unterstützen, nach wie vor für richtig. „Es gab die begründete Hoffnung, dass es nach dem Ende des Einsatzes keine terroristischen Angriffe mehr von Afghanistan aus geben würde.“

Bei allen anderen Zielen – von der Rechtsstaatlichkeit bis zu den Frauenrechten – sei die internationale Gemeinschaft dagegen gescheitert. Als Ursachen dafür nannte sie unter anderem mangelndes kulturelles Verständnis der westlichen Verbündeten, Vetternwirtschaft und Rauschgifthandel. Was die Entwicklung einer echten Demokratie, die Schaffung von Rechten für Frauen und Sicherheit für Journalisten, Künstler, Unternehmer betreffe, müsse sie, Merkel, feststellen: „Da sind wir gescheitert.“ Über das Doha-Abkommen sagte Merkel: „Dass mich das jetzt beglückt hätte, könnte ich nicht sagen.“

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Bis zum 13. August 2021 war Merkel zwar davon ausgegangen, dass die afghanische Regierung schon bald durch die Taliban gestürzt werde. Es kam allerdings schnell ganz anders: Zwei Tage später nahmen die Taliban Kabul ein. Merkel behauptete indes, beim Abzug der Bundeswehr und der Räumung von Camp Marmal im Norden Afghanistans sei 2021 alles gut gelaufen. Merkel wörtlich: „Der Zeitplan wurde eingehalten. Ich war darüber sehr erleichtert.“ Ob Merkel in der aktuellen Lage damals wusste, wie brisant die Lage in Kabul geworden war? Wohl schon, denn sonst hätte sie nicht sogar Wladimir Putin um Hilfe gebeten. Er sollte seine Kontakte zu den Taliban nutzen, um den Ortskräften freies Geleit zu ermöglichen.

Merkel wollte jedenfalls keine Bilder wie in Saigon sehen, hatte der letzte Kommandeur der Bundeswehr in Afghanistan, Brigadegeneral Ansgar Meyer, bei seiner Vernehmung im vergangenen Jahr berichtet. Zur Erinnerung: Die chaotische Evakuierung von US-Truppen im Frühjahr 1975 aus Saigon markierte das Ende des Vietnamkriegs. Der Brigadegeneral weiter: „Und das haben wir, was den militärischen Teil angeht, auch geschafft.“ Wenige Wochen später habe er, Meyer, „Saigon“ dann aber doch im Fernsehen gesehen.

Selbstkritik äußert Merkel bei ihrer Aussage – wie schon bei ihren Memoiren – nur äußerst dosiert. Wenn sie etwa verschwurbelt sagt: „Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein, von außen zu versuchen, den Weg eines Landes entscheidend beeinflussen zu wollen. Es geht viel weniger, als wir uns wünschen.“ Im Falle Thüringens schien das für sie allerdings nicht zu gelten…

Zu der wegen regierungsinterner Diskussionen zu lange herausgezögerten Evakuierung der Ortskräfte aus Afghanistan sagte sie: „Es ist nicht gelungen, was intendiert war. Damit müssen wir leben.“ Merkels Aussagen offenbaren eine fatalistische, an Fehleranalyse und Selbstkritik desinteressierte Haltung, die sie bereits angesichts ihrer Grenzöffnung 2015 an den Tag legte: „Nun sind sie halt da.“ Der „Stern“ beschreibt Merkels Auftritt wohl richtig: „Von Selbstkritik keine Spur. Man hätte nur ihr Buch lesen müssen.“ Also: Außer Spesen auch in diesem Untersuchungsausschuss nichts gewesen. Vielleicht hätten sich die Ausschussmitglieder Merkels Buch „Freiheit“, die neue Merkel-Bibel, kaufen sollen, dann hätten sie sich die 97. Sitzung sparen können.

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Und: Eigentlich gehört in den Untersuchungsausschuss auch die Frage, wie Außenministerin Baerbock (Grüne) bei der Visa-Vergabe verfuhr, als sie bis 2023 monatlich eintausend afghanische Kräfte nach Deutschland einflog, weil diese bis 2021 angeblich oder tatsächlich für Deutschland gearbeitet hatten. TE hat diese Sache wiederholt aufgegriffen. Es ist jedenfalls zu befürchten, dass über die nächste Bundestagswahl hinaus viel im Nebel bleibt.

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