Tichys Einblick
Nur noch Orthodoxe und Ketzer

Merkel: Chronik einer angekündigten Niederlage

Angela Merkel wird als Kanzlerin der Dekonstruktion des Werkes von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen.

Angela Merkel

IMAGO / Achille Abboud

Wenn Angela Merkel gehofft hat, als Große Kanzlerin aus dem Amt zu scheiden, die mit dem Desaster der Nach-Merkel-Zeit nicht das geringste zu tun hat, so irrt sie in mehrfacher Hinsicht. Sie hinterlässt ein hochverschuldetes, mit sich selbst verfeindetes Land, ein Land, in dem ihre durch die Medien willig transportierte Politik des „Teile und herrsche“, des ungehemmten Ausspielens der Vor-kurzem-dazu-Gekommenen gegen die Schon-länger-hier-Lebenden, der Frauen gegen die Männer, der Jungen gegen die Alten, der Homosexuellen oder Diversen gegen die Heterosexuellen, der Familienlosen gegen die Familien, der Befürworter gegen die Kritiker der Willkommenskultur, der Klimaapokalyptiker gegen die Realisten, der Gläubigen der Maßnahmen gegen die Pandemie gegen das breite Spektrum der Ungläubigen, zu einem traurigen Erfolg führte.

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Angela Merkel hat das Argument gegen das Glaubensdogma ersetzt, die Diskussion durch Akklamation ihrer Vorstellungen, die gesellschaftliche Debatte durch die Alternativlosigkeit ihrer linksliberalen Ideologie. Und umso stärker sie linksliberale Ideen vertrat und Projekte durchsetzte, um so stärker wurde ihre Abneigung gegen „Diskussionsorgien“, gegen Wahlausgänge, die ihrer Meinung nach der Korrektur bedurften – und, was der eigentliche Skandal ist, auch erfuhren. Angela Merkel und ihre Entourage haben den notwendigen Streit auf nahezu allen Feldern der Politik zur Glaubenssache erhoben, in dem es nicht mehr verschiedene Standpunkte gilt, argumentativ zu gewichten, sondern in dem es nur noch nur noch Orthodoxe und Ketzer gibt. Damit trägt sie eine große Schuld an dem Klima der Verdächtigung und moralischen Aburteilung, der Bigotterie und doppelten Standards, der Auflösung des Rechts und auch der Gerechtigkeit, des Abschieds von der Zukunft, denn nach ihr wird aller Voraussicht nach die Reaktion, das Gestern an die Macht kommen. Sollte Rotrotgrün dank der Hilfe der Bundeskanzlerin nach dem 26.09. die Regierung bilden, wäre das nicht weniger als die Annullierung der Friedlichen Revolution, das roll back von 1989/90.

So durchregieren wie Angela Merkel seit 2015 konnten nicht einmal die beiden deutschen Kaiser zwischen 1871 und 1918. Angela Merkel hinterlässt ein Land, in dem aufgrund ihrer Politik des Ausspielens, ihres Hanges zu Verschwörungstheorien, die von den Medien willig transportiert werden, sich der Freund mit dem Freund, Geschwister sich untereinander und sich Eltern mit ihren Kinder verstritten haben und zerstritten sind.

Bereits Anfang 2018 schrieb ich auf TE:

„Für die CDU ist der Tag der Entscheidung gekommen. Es reicht bei weitem nicht, heute für die Zeit nach Merkel zu planen, die Zeit nach Merkel muss heute beginnen. Geschieht das nicht, wird es nach Merkel keine CDU als Volkspartei mehr geben. Die Idee, die von der Bundeskanzlerin nicht allzu euphorisch im Interview vorgetragen wurde, dass in den nächsten vier Jahren sich ihr Nachfolger profilieren könne, kommt eine Amtszeit zu spät. Dieser Zug ist abgefahren.

Aus der Geschichte kennen wir den Moment, in dem die Destabilisierung, die Krise, der Autoritätsverlust der Regierungen dazu führt, dass die Regierenden nicht mehr agieren, sondern nur noch reagieren, weil die Veränderung der Wirklichkeit schneller vorangeht, als sie in der Lage sind, damit umzugehen. Frei nach Franz Kafka: Sie laufen den Ereignissen hinter her, wie ein Anfänger im Eislaufen, der an einer Stelle übt, an der es verboten ist. Kafkaesk ist im Übrigen auch die Situation der CDU. Nur sie kann Änderung bewirken, doch dass muss die Partei auch wollen. Die Flammenschrift jedenfalls leuchtet von der Wand.“

Sendung 09.09.2021
Tichys Ausblick Talk: „Umbruch nach der Wahl oder wird einfach weiter gemerkelt?“
Nun hat Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Tagesspiegel den Text der Flammenschrift vorgetragen. So berichtet der Tagesspiegel: „Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) macht Kanzlerin Angela Merkel indirekt für den schweren Stand der Union im Bundestags-Wahlkampf verantwortlich. Schäuble führt das „enge Rennen“ zwischen CDU/CSU und SPD auf Merkels Entscheidung im Oktober 2018 zurück, den CDU-Vorsitz abzugeben, als Regierungschefin aber bis zum Ende der Wahlperiode im Amt zu bleiben.“ Wörtlich sagte Schäuble: „„Ich bin fest davon überzeugt, dass beides in eine Hand gehört: Parteivorsitz und Kanzleramt. Das war jetzt über fast drei Jahre nicht der Fall, und deshalb gibt es auch keinen Amtsbonus. Im Gegenteil“.“ Und begründete seine These damit, dass „neben der langjährigen erfolgreichen Bundeskanzlerin“ Armin Laschet „im Wahlkampf weder sagen“ könne, „wir machen alles neu“ noch „wir machen einfach weiter so“. Dies sei nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel „ein Problem“ für seine Partei und werde „vielleicht nicht von allen verstanden.““

Man könnte Wolfgang Schäuble, der Angela Merkel früh gefördert und schließlich zu ihrem treuen Gefolgsmann wurde, unterstellen, sich aus der Verantwortung für das Desaster ziehen zu wollen, denn schließlich hat er nicht nur Angela Merkels Politik mitgetragen, er hat den entscheidenden Anteil daran, dass nicht Markus Söder, sondern Armin Laschet Kanzlerkandidat der Union geworden ist. Man könnte das Interview maliziös nennen, doch man kann ihm nicht vorwerfen, dass er nicht die Situation, das Resultat von Merkels Politik klar erkennen würde. Wie sollte er auch die Augen vor einer Politik verschließen, die er maßgeblich mitgetragen hat?

Die Rückkehr der Inquisition
Linksliberalismus ist Liberalismus ohne Freiheit
Zuweilen ist die Geschichte konsequent, sie wird die Verantwortlichen für den Niedergang der Union, für Deutschlands desaströsen Zustand, für den Verlust an Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten, an Föderalismus und Gewaltenteilung, an innerer Sicherheit, wirtschaftlicher Stabilität und Energiesicherheit benennen. Möglich und angesichts der Alternativen wünschenswert, dass es für die Union noch einmal glimpflich ausgeht, dennoch sitzt das Problem für die Union tief, die Unionsparteien sind Parteien ohne Identität geworden, Transmissionsriemen zu einer Gemeinwohldiktatur, einem neuen Sozialismus, der unter dem unsinnigen Lable „klimaneutrale Gesellschaft“ versteckt wird. Zwischen welchen außer ihm liegenden Positionen soll sich das vermenschlichte Klima denn neutral verhalten? Das Etikett ist deshalb so nichtssagend, so bunt, weil es ganz die graue Realität der Oligarchie, der grünsozialistischen Kommandowirtschaft verdecken soll.

Wolfgang Schäuble hat recht, die Union hat versagt, doch nicht erst seit 2018, sondern bereits seit 2011, seit der sogenannten „Energiewende“. Merkels Programm der Zerstörung der Union trug den Titel „asymmetrische Demobilisierung“, es war das Programm zur Schleifung konservativer und auch liberaler Vorstellungen in der Union und der Übernahme einer roten und grünen Einheitsdoktrin.

Sollte eine Regierung nach dem 26.09. ohne Beteiligung der Union zustande kommen, dann wird diese Regierung die Verantwortung für das Desaster, für das der CDU/CSU, aber auch der SPD in der Großen Koalition, aber auch die Fehler der neuen Regierung möglichst bis zum nächsten Wahlkampf hin bei der CDU, zuvörderst bei Angela Merkel verorten. Aus der strahlenden Kanzlerin wird der Sündenbock, der in diesem Fall auch eigene Sünden trägt. Sie hat im Spiel mit der Geschichte versagt, sie hat nicht vorgesorgt für ihren Platz in den Geschichtsbüchern, so wie sie für ihre Nachfolge nicht beizeiten Vorkehrungen getroffen hat. Welches Bild auch immer in den Medien von Angela Merkel gezeichnet wurde, Strategie scheint ihr vollkommen fremd zu sein, sie ist eine zutiefst taktisch, geradezu situationistisch agierende Politikerin. Wie sehr man zurecht Helmut Kohl kritisieren kann, wird er der Kanzler der Einheit bleiben, so wie Angela Merkel als Kanzlerin der Dekonstruktion des Werkes von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen wird.

Man kann Politik nicht „vom Ende“ her denken. Man kann Politik gestalten, indem man sein Handeln aus eigenen Werten und der Erkenntnis der Realität, sprich aus der Machbarkeit des Wünschbaren, heraus entwickelt. Dazu bedarf es zweierlei, eigener Werte und die Erkenntnis der Realität. Die Realität ist nicht identisch mit den medialen Bildern selbiger, schon gar nicht im Zeitalter des aktivistischen, also parteilichen Journalismus.

Angela Merkel hat ein sich selbst bestätigendes System von Politik und Medien geschaffen, in dem die Wirklichkeit nicht vorkommt.

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