Der Mensch ist eine Röhre. Wir nennen uns in Sonntagsreden die Krone der Schöpfung, und in anderen Sonntagsreden sehen wir uns als mit Wert und Würde ausgestattet, als das eine Wesen, das nicht zum Zweck werden darf (gewisse Einschränkungen sind möglich und also alltäglich) – doch tatsächlich sind wir eine Röhre.
Am einen Ende der Röhre kommt Nahrung hinein, und am anderen Ende kommt die Nahrung wieder heraus (hoffentlich, sonst platzt man, und zwar nach innen).
Wenn Ihnen diese biologische Beschreibung zu simpel erscheint, können wir sie gern ergänzen – um weitere Röhren. Da wäre natürlich die Luftröhre, die am gleichen Mund ansetzt wie der Verdauungsapparat, sich dann aber in die vielen kleinen Röhren des Bronchialsystems verzweigt.
Auch das Essen wird nicht nur aufgenommen und ausgeschieden, sondern zwischendurch auch verwertet, und die Nährstoffe werden im Körper verteilt, im Blut, und das fließt bekanntlich in Adern, und das sind – richtig! – Röhren.
Der Mensch ist eine Röhre mit Nebenröhren und Hilfsfunktionen – und da, wo er nicht geometrisch und biologisch eine Röhre ist, da ist er es doch metaphorisch. (Was ist unser Geist denn anderes, als eine Röhre, in welche Informationen von verschiedenem Nährwert eingespeist werden, um dann als mehr-oder-weniger-brillante Geistesblitze oder Lebensentscheidungen wieder ausgeschieden zu werden?)
Entscheidungen sind getroffen
Ich schrieb vom Rätsel, warum einige Menschen mit »Metall in der Nase« in der Welt herumlaufen wollen. Ein Leser korrigierte mich, ich stelle die falsche Frage. Er sagte in etwa: Die große Frage ist doch, warum so viele Menschen sich gar nicht darum kümmern, was sie in ihren Körper tun!
Natürlich meinte er die »Impfung«. An diesem Punkt unserer kollektiven Geschichte sind eigentlich alle Debatten müßig. Die Meinungen sind gebildet, die persönlichen Entscheidungen sind getroffen, ab hier und heute geht es nur noch um Unterwerfung der Unwilligen.
Warum ist es so vielen Menschen egal, was sie in ihren Körper tun? Ich wäre kein tauglicher Berufsdenker, wenn ich die Frage nicht gleich erweiterte: Warum ist es so vielen Menschen egal, was sie in ihren Kopf tun?
Chemisch induziert
Nicht der einzige, aber doch ein zentraler Grund, warum uns manchmal egal ist, was die Konsequenzen unseres Tuns sind, hat mit unserem »Ich in der Zukunft« zu tun. Wir betrachten unbewusst unsere eigene Zukunft wie eine fremde Person, deren Wohlgefühl uns weniger wichtig ist als das, was wir heute erleben.
Jemand hat einmal gesagt, starkes Getränk zu trinken, das sei wie Glück auf Kredit, und es ist ein denkbar präziser Vergleich: Man erlebt jetzt etwa chemisch induziertes Glück, im mehr-oder-weniger bewussten Wissen, dass man es morgen früh etwa via Kater oder allgemeine Mattheit abbezahlen wird.
Übers Essen allzu energiereicher Speisen kennen wir die Redensart: »Eine Sekunde im Mund, ein Leben lang auf der Hüfte.« Und, im Gegenzug hat ein Model einmal gesagt, ihr Geheimnis fürs Schlankbleiben sei das Bewusstsein, dass kein Kuchen und keine Schokolade einen so großen Genuss darstellen, wie es für sie ein Genuss sei, schlank zu sein.
Zur Nahrung des Körpers kommt ja die Nahrung des Geistes! Wir wissen, dass wir andere, bessere Menschen wären, wenn wir unseren geistigen Input nicht nur nach Spaß- und Skandalwert auswählten, sondern uns auch mal Grundlagen erarbeiten würden – warum tun wir es nicht? Weil uns der Spaß im Moment wichtiger ist als die, ja, geistige Qualität des Menschen, der wir in einigen Jahren sein werden.
Was wir warum tun
Der Mensch ist eine Röhre, genauer: ein Röhrensystem. – Der Mensch ist ein Röhrensystem, das mitbestimmen kann in der Frage, was in diese Röhren eingespeist wird, sei dies Nahrung, seien dies Inhalte, oder sei dies neuerdings auch künstliche mRNA.
Ich sage, dass wir unsere Entscheidungen bewusst treffen sollen, dass wir nicht leugnen sollen, was wir warum tun. Wenn einer sagt, dass er sich heute mRNA injizieren lässt, weil ihm die Teilnahme an Beruf und öffentlichem Leben wichtiger ist als das Risiko, Blutgerinnsel oder andere sogenannten »Nebenwirkungen« zu erleiden, dann ist das eine Entscheidung, eine Abwägung mit Konsequenzen, selbst wenn man sich belügt, sie sei »alternativlos« gewesen.
Ich sage an dieser Stelle nicht, dass Sie unbedingt Ihr »Ich der Zukunft« stets wichtiger nehmen sollten als das »Ich in diesem Augenblick«. Das Leben besteht doch aus den Jetzt-Momenten, und es gibt Menschen, die ihre lebenslange Gegenwart vergeuden, indem sie immer nur für ein zukünftiges Ich aufsparen.
Seid freundlich zu eurem jetzigen Ich, seid gut zu eurem zukünftigen Ich – und, wenn ihr Eltern seid, seid extra gut zum zukünftigen Ich eurer Kinder.
Vor allem aber: Seid ehrlich in der Frage, warum ihr tut, was ihr tut. Am Ende gewinnt die Realität, und nur wer ehrlich zu sich selbst ist, kann die Realität auf seiner Seite haben.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.