Nicht einmal Grünen-Politiker wollen noch Grünen-Politik: Die Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen aus Mannheim verlässt die Fraktion und Partei der Grünen. Dafür wechselt sie zur CDU. Sie wolle nun mit den Christdemokraten in Mannheim und im Bund weiterarbeiten, erzählte die 30-Jährige am gestrigen Montag in einem Video auf Instagram.
Das ist eine Backpfeife für Wirtschaftsminister Robert Habeck. Immerhin war Sekmen seit 2021 Obfrau der Grünen im Wirtschaftsausschuss. Außerdem arbeitete sie seit 2022 als Vorsitzende des Parlamentskreises „Gründungen und Start-ups“. Dieser Schritt ist aber auch eine Backpfeife für die gesamte Grünen-Führungsetage: Sekman begründet ihre Entscheidung damit, dass sich ihre Vorstellungen, wie und mit welchem Stil Politik gemacht wird, weiterentwickelt hat. Für sie ist ihre Entscheidung „ein Schritt nach vorne“:
Diesen Geist habe Sekmen im neuen Grundsatzprogramm der CDU wiedergefunden, sagt sie. Die Christdemokraten haben dieses Programm mit dem Titel „In Freiheit leben“ in diesem Jahr veröffentlicht – und Sekmen scheint davon angetan. Also wechselt sie zur Opposition. Mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz habe sie bereits ein „sehr gutes Gespräch“ geführt und wolle nun gemeinsam mit ihm das CDU-Grundsatzprogramm mit Leben füllen. Die CDU empfängt Sekmen mit offenen Armen – natürlich: Immerhin kommt es selten vor, dass Politiker zwischen zwei Fraktionen wechseln. Und dann auch noch von der Grünen zur Union. Das kam zuletzt 1996 vor, als die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld von den Grünen zu den Christdemokraten wechselte. So sagte Merz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, die Fraktion freue sich auf Sekmen als neues Mitglied. „Mit ihrer Familiengeschichte und ihren Themen verbindet Frau Sekmen vieles, wofür auch die CDU steht. Wir machen Politik für die fleißigen Menschen in unserem Land.“
Allerdings hatte sich bereits bemerkbar gemacht, dass Sekmen nicht mehr allzu zufrieden mit der Politik der Grünen ist: Kurz nach der EU-Wahl und den überraschend vielen Stimmen junger Wähler für konservative Parteien sagte Sekmen gegenüber dem RNF, dass sich junge Leute eben nicht nur mit dem Klimawandel oder gestiegenen Dönerpreisen beschäftigten. Sie fragten sich stattdessen, ob sie noch ein Ausbildungsplatz finden, ob sie eine Wohnung finden, ob sie sich ein Haus leisten können und ob sie überhaupt in der Gesellschaft aufsteigen können. In einem Instagram-Beitrag fügte sie noch hinzu, dass sich junge Leute mit dem Sicherheitsempfinden in unserem Land beschäftigten. „Das sollten wir als Partei ernst nehmen und klare Antworten darauf geben.“ Darum wünsche sie sich Debatten in der Fraktion der Grünen. Und außerdem forderte sie eine ehrliche Aufarbeitung des Politstils der letzten Jahre.
Aber in den Wochen nach der Wahl wurde deutlich, dass genau diese Aufarbeitung bei den Grünen ausbleibt: Die Ampel – und vor allem die Grünen – machen einfach weiter wie zuvor. Das kritisiert auch Grünen-Kommunalpolitiker Kai Nielsen aus Schleswig-Flensburg in einem Beitrag bei Cicero: „Statt einer selbstkritischen Aufarbeitung der Stimmenverluste wird der Schaden für die Partei extern attribuiert, was bedeutet, dass der Wähler die Verantwortung für den Stimmenverlust trägt, hat er doch die Politik nicht richtig verstanden. Ein Psychologe würde hier wahrscheinlich von Projektion sprechen.“ Bähm – Eine weitere Backpfeife aus den eigenen Reihen der Grünen.
Nielsen wünscht sich eine „offene und wertschätzende Diskussionskultur“ innerhalb der Grünen. Aber vor allem auch den Bürgern wieder auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Anliegen und Lebensrealitäten zu erfassen – statt sie „vom Elfenbeinturm herab, von Ideologie und Moral betrieben, zu belehren“. Er betont: „Wir haben es mit erwachsenen Menschen zu tun.“
Auch Sekmen scheint den Deutschen (wieder) auf Augenhöhe begegnen zu wollen: „Es braucht eine Debattenkultur, die auch unbequeme Realitäten benennen kann und in denen Menschen für ihre Meinungen und ihre Sorgen nicht in Schubladen gesteckt werden“, sagt sie in ihrem Instagram-Statement. Die Art und Weise, wie die Grünen Politik betreiben und ihre Fehler ständig anderen Parteien oder angeblich nicht verstehenden Bürgern in die Schuhe schieben, wird also sogar Politikern der Grünen zu viel. Da machen sie lieber Oppositionspolitik: Bereits an diesem Dienstag wird Sekmen bei der Sitzung der Unionsfraktion erwartet und werde künftig als Gast an ihren Beratungen teilnehmen. Es wirkt so, als wolle sie ihr Bundestagsmandat behalten; laut Tagesschau hat der Mannheimer Kreisverband der Grünen allerdings ein Mandatsverzicht gefordert.