Die Zerstörung familiärer Strukturen und die Rückkehr des Denunziantentums
David Boos
Kaum eine Woche vergeht ohne die Eröffnung eines neuen Meldeportals in Deutschland. Das Denunziantentum blüht wieder auf und nährt primitivste Gefühle. Der neuen Loyalität gegenüber dem Staat geht die Schwächung der klassischen Familie voraus.
„Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Dieses, wohl fälschlicherweise, Hoffmann von Fallersleben zugeschriebene Zitat fasste seit mehr als 100 Jahren zusammen, wie viele Menschen instinktiv über das Denunziantentum dachten. Das freiwillige Anschwärzen von Mitbürgern galt mit gutem Recht lange Zeit als eine Erscheinung totalitärer Systeme. Doch in letzter Zeit wird es in Deutschland wieder salonfähig gemacht.
Corona war ein wichtiger Schritt zur Wiederbelebung dieser unschönen Tradition. Bereits 2020 konnte man in Essen unliebsame Mitbürger für Verstöße gegen die Corona-Regeln melden, ein voller Erfolg für die Wirkmächtigkeit von Hysterie! Doch so wie die Auswüchse der Corona-Regeln und die Ausgrenzung Ungeimpfter nachträglich als unliebsames Detail vom Tisch gewischt werden sollen, so soll auch diese Wiederbelebung des Denunziantentums bestenfalls als Fehleinschätzung der Lage bagatellisiert werden.
Stattdessen müssen die Präzedenzfälle der Corona-Krise als Startschuss einer groß angelegten Denunziationsoffensive gesehen werden, deren neueste Blüten pünktlich zum Frühlingsbeginn fast wöchentlich sprießen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), bekannt durch ihren im Rekordtempo Flugmeilen sammelnden Chef Jürgen Resch, ruft neuerdings zur Anzeige von Falschparkern auf, durch die angeblich 10.000 Menschen pro Jahr in Deutschland verunglückten. Wer dachte, dafür gäbe es doch bereits Parkwächter und Polizei, übersieht dabei wahrscheinlich den Kostenfaktor Exekutive, statt hierin eine großartige Gelegenheit zu erkennen, den Bürger „mitzunehmen“, wie es neudeutsch so schön heißt.
Dass ausgerechnet die Umwelthilfe sich damit befasst, erscheint zunächst befremdlich, da die Wenigsten wohl die Vermeidung von Verkehrstoten als Kernkompetenz der Umweltschützer ansehen. Eindeutiger erscheint da schon das neue Meldeportal von Greenpeace, mit dem Bürger, anstatt ein offenes und freundliches Wort mit dem Restaurantbetreiber ihrer Wahl zu wechseln, diesen nun für Verstöße gegen das verpflichtende Angebot von Mehrwegsverpackungen bei der Abholung von Essen einfach anschwärzen können. Zumindest ist in diesem Fall auch für den Laien nachvollziehbar, warum sich eine Umweltschutzorganisation wie Greenpeace der Vermeidung von Plastikmüll verschreibt. Beworben wird das ganze mit „Willst du auch ein:e #MeldeheldIn sein?“
Unverhohlene politische Schlagseite
Mit Greenpeace beginnt und endet aber bereits der Deckmantel des Verpetzens zur Klimarettung, denn spätestens bei der Amadeu Antonio Stiftung wird es mal wieder eindeutig politisch. Die einschlägig bekannte Stiftung betreibt unverhohlen eine Meldestelle für Antifeminismus, bei der die Definitionsgrundlage meldewürdiger Verbrechen den üblichen Interpretationsspielräumen unterliegt, oder mit anderen Worten: Was meldungswürdig ist, entscheidet die Stiftung selbst.
Andernorts zählt der Berliner Senat offensichtlich auf den Neid seiner Stammwählerschaft, die auch der Zwangsenteignung von Wohnungen zustimmte, und ermöglicht diesen Neidern nun, „zweckentfremdeten“ Wohnraum zu melden. Für alle weiteren Formen von „Diskriminierung und extrem rechten Aktivitäten“ meldet der Denunziant von Welt sich aber beim Berliner Register, bei dem er garantiert das eine oder andere vage definierte Hassverbrechen los werden kann.
Im Gegensatz zur Wohnraummeldung wird das Berliner Register allerdings nicht von einer Behörde betrieben, sondern von einer Reihe von privaten GmbHs und Vereinen, wie z.B. NARUD e.V. (Network African Rural and Urban Development) oder dem Landesverband Berlin der sozialistischen Jugend „Die Falken“. Finanziert wird das Berliner Register übrigens mit Fördermitteln der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, also mit Steuergeld. So darf es wenig überraschen, dass zwar „extrem rechte Aktivitäten“ gemeldet werden können, „extrem linke“ aber nicht. Wer hätte das gedacht, als er eine Meldung bei der sozialistischen Jugend machte.
Und wem all diese Möglichkeiten, denunziatorisch tätig zu werden, noch immer nicht genug sind, der darf den staatstreuen Vogel damit abschießen, dass er anonym Steuersünder über eine App der Finanzministerien meldet, wobei anzunehmen ist, dass Meldungen dubioser Klimastiftungen, ob nun zum Bau von Pipelines oder zur Förderung von Klimaklebern, wenn nicht gleich im Meck-Pomm’schen Kamin, so doch zumindest auf der Ablage “für später” landen.
Der Deckmantel, der aus Denunziation Klimarettung macht
Es ließe sich nun trefflich darüber spekulieren, woher die Lust an der Denunziation stammt, denn eines zeigen die vielen Meldeportale eindeutig: Es gibt einen Markt für sie. Doch bevor wir auf diese Frage eingehen, ist es nützlich, das Selbstverständnis all dieser Anlaufstellen für Denunziation zu hinterfragen.
Denn mit Ausnahme des satirischen Meldeportals denuncio.de, das beim Versuch, jemanden zu melden, auf eine Reihe kritischer Artikel zur Geschichte der Denunziation verweist, verstehen sich die diversen Meldeportale nicht als Anlaufstellen für Denunziation, sondern als sicherer Hafen, um Missstände anzuprangern. Für diese Unterscheidung zwischen Denunziation und heldenhaftem Whistleblowertum beruft man sich auf seine selbstverliehene moralische Autorität und damit die Fähigkeit zu unterscheiden, welche Meldung gut und welche schlecht ist. Meist läuft das instinktiv ab. Als die AfD vor einigen Jahren ein Meldeportal für Schüler einrichten wollte, um politisch agitierende Lehrer zu melden, war der Aufschrei der Empörung und das vermeintliche Fallersleben-Zitat schnell griffbereit. Nun jedoch herrscht angesichts der vielen Meldestellen bei denselben Warnern eisiges Schweigen.
Der moralische Absolutheitsanspruch ist Grundlage für die Rechtfertigung solchen Denunziantentums, und nur so lässt sich erklären, warum die DUH sich dazu bemüßigt fühlt, Falschparker zu bekämpfen, denn aus der selbst verliehenen moralischen Autorität der DUH resultiert ihr fast allumfassender Anspruch zur gesellschaftlichen Regulierung.
Um zwischen Whistleblowern und Denunzianten zu unterscheiden, kommt der Deckmantel des Klimanarrativs sehr gelegen, denn mit der Behauptung es handle sich bei der Klimahysterie um eine wissenschaftliche Tatsache anstatt um eine Ideologie, wird auch das Verpetzen freigesprochen vom Makel der Denunziation und zur alternativlosen Zivilcourage zwecks Rettung des Planeten stilisiert.
Von Motivation und Loyalitäten
Unehrlich ist dabei die Geschichtsvergessenheit, denn auch in der Vergangenheit bezeichnete kein Staat die Denunziation als solche, sondern verklärte sie als vermeintlich gute und notwendige Tat. Der Unterschied zwischen Denunziation und Whistleblowertum kann daher vielleicht am ehesten über zwei Kriterien definiert werden: Motivation und Loyalitäten.
Zur Motivation lässt sich zunächst sagen, dass der Denunziant fast immer aus niederen Antrieben wie Hass und Neid agiert und dieser Antrieb von den Meldestellen bewusst gefördert und genutzt wird. Ob es nun der Neid auf Wohnungseigentümer, auf Besserverdiener oder sonstige Feindbilder ist, oder der allgemeine Hass auf falschparkende Autofahrer oder politisch unliebsame Nachbarn und Familienmitglieder, deren abweichende Meinung nun endlich zum Anlass für Rache werden kann – all diese Gefühle der Missgunst finden in der Denunziation ein Ventil und womöglich sogar eine Möglichkeit zur persönlichen Vorteilsnahme.
Demgegenüber ist der Whistleblower eben nicht ein missgünstiger Opportunist, der sich gegen den Einzelnen richtet, sondern zeigt systematische Missstände eines Apparates auf und riskiert dabei häufig seine eigene Karriere und Sicherheit. Der Whistleblower möchte nicht einzelne Personen ans Messer liefern, sondern ein systeminhärentes Problem aufzeigen und exponiert sich dabei manchmal auf eine Art und Weise, die seine ganze Existenz aufs Spiel setzen kann.
Daraus folgt automatisch die Frage der Loyalitäten. Der Denunziant wendet sich an den Staat und seine ihm zuarbeitenden Institutionen, um nicht genehme Meinungen oder Handlungen zu diskreditieren. Er versteht sich als Diener des Staates gegen seine Bürger. Der Whistleblower macht das Gegenteil: Er deckt auf, welche Interessen der Staat und seine Partner gegen die eigenen Bürger verfolgen, die nicht im Interesse der Bürger selbst sind. Die Loyalität des Whistleblowers gilt somit den Bürgern, die vor einem übergriffigen Staat geschützt werden sollen.
Anders jedoch bei den Denunzianten. Zu den wohl erschreckendsten Ausprägungen des Denunziantentums in der Geschichte zählen jene Fälle, in denen zum Beispiel Kinder ihre eigenen Eltern anschwärzten. Dieses Verhalten widerspricht den natürlichsten Instinkten und Loyalitäten, in denen die Familie als Keimzelle der Gesellschaft den engsten Zusammenhalt verkörpert. Doch totalitäre Systeme, vor allem die nationalen oder internationalen Sozialismen, ersetzen die Loyalität innerhalb der Familie mit einer Loyalität zum Staat, der mit seinen wuchernden Tentakeln jeden Bereich des gesellschaftlichen Lebens kontrollieren möchte.
Während in naturrechtlichen Gesellschaften Männer und Frauen symbiotisch für das Wohl der Kinder sorgen, ersetzt der totalitäre Staat die Eltern als primäre Versorger der Kinder. Als wohlwollend sollen nicht mehr einzelne Mitmenschen erfahren werden – diese stehen im Gegenteil unter dem Generalverdacht egoistischen Handelns –, sondern der gesichtslose Staat als scheinbare Manifestation eines gesamtgesellschaftlichen Allgemeinwohls. In letzter Instanz beansprucht der Staat ein Heilsversprechen für sich, da er behauptet, einzig dazu imstande zu sein, jegliches individuelle – und damit potenziell egoistische – Bestreben zu überwinden und für das Allgemeinwohl zu sorgen. Man kann nicht oft genug wiederholen, wie zentral dieser Gedanke in allen sozialistischen Utopien war und ist.
Eine solche Weltanschauung ist aber zutiefst misanthrop, denn es ist Eines, die angeborene Schwäche des Menschen zu erkennen, doch ein Anderes zu glauben, sie ließe sich durch einen menschengemachten Staat überwinden. Es darf nicht verwundern, dass Anhänger einer solchen Staatsgläubigkeit oftmals mit der individuellen und freien Ausgestaltung ihres Lebens überfordert sind. Ein gutes Beispiel ist dafür Robert Habeck, der einerseits als Apologet des wohlwollenden Staats auftritt, während er gleichzeitig freimütig zu Protokoll gab, dass er mit den Herausforderungen des Alltags als Minister auf persönlicher Ebene häufig überfordert ist. Hieraus spricht die fast schon adoleszente Hoffnung, der allmächtige und unsterbliche Staat würde uns bis ans Ende unserer Tage davor bewahren, erwachsen zu werden und zur Not auch die entsprechenden Regeln aufstellen und durchsetzen, damit immer frische Milch im Kühlschrank ist.
Doch so wie einst die Väter, so muss auch der Staat ungehorsame Kinder bestrafen. Nur kennt ein solcher Staat keine wahre Liebe zu seinen Kindern, woraus sich erklärt, dass sein Zorn so schrecklich und gnadenlos sein kann. Wer den Staat als seinen Versorger akzeptiert hat, ja als seinen idealen Vater sieht, der möchte niemals in seine Ungnade fallen, sondern sich im Gegenteil lieb Kind machen. Dafür kann man dann auch mal seine Mitbrüder und Mitschwestern verpetzen, denn wo keine Liebe vom elterlichen Versorger kommt, da kann man auch keine Liebe zu seinen Geschwistern erwarten.
So zieht der therapeutische Staat wieder einmal eine Generation von Denunzianten heran, die aus Mangel an Liebe und Vertrauen zum Nächsten, sowie aus einer Furcht und Abhängigkeit von einem übermächtigen Versorgungsstaat, lieber selbst denunzieren, anstatt denunziert zu werden. Wir erleben diesen Prozess soeben mit eigenen Augen.
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