Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ kann seine Wut kaum zähmen. Lindner sei eine „Irrlichtgestalt“, seine FDP habe das „Odium der Verantwortungslosigkeit“, er halte sich für den deutschen Sebastian Kurz und habe die „Sondierungsgespräche dazu missbraucht, um sich nach Vorbild des ehemaligen FPÖ-Chefs zu ‚haiderisieren’“. Die „Frankfurter Rundschau“ bläst ins gleiche Horn: „Die Härte in der Ausländerpolitik zeigt das Ziel: Fischen am rechten Rand der Union und am gemäßigten Rand der AfD.“
Medien schäumen
Lindner hat wohl einiges richtig gemacht
Wenn die vereinigte Linke mit so viel Wut über Lindner herfällt, dann hat er offenbar einiges richtig gemacht. Lindner ist kein Nationalliberaler. FDP-Gründer Thomas Dehler war einer. Aber Lindner ist eben auch kein sogenannter „Linksliberaler“ à la Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Gerhard Baum. Das sind die einzigen „Liberalen“, die von den Linken akzeptiert werden. Alle anderen sind für sie „Marktradikale“ oder Rechte. Erinnern Sie sich noch, wie sie über Guido Westerwelle herfielen?
Lindner passt den Linken nicht, weil er sich dem linksgrünen Konsens widersetzt. Merkel hat die Union konsequent vergrünt. Deshalb haben sich Union und Grüne bei den Sondierungsgesprächen so blendend verstanden. Die CSU hat, anders als zunächst erwartet, diesen Konsens nicht ernsthaft gestört. Das liegt an Seehofer. Er ist eine lächerliche Figur, weil er ständig unsicher und orientierungslos zwischen Attacken auf Merkel und unterwürfiger Anbiederung an die Kanzlerin hin- und herschwankt. Gestern war mal wieder Anbiederung bei ihm angesagt. Ihn nimmt niemand mehr Ernst – weder seine Freunde noch seine Feinde. Seehofer hat nicht verstanden, was Peter Gauweiler ihm zurief: „Horst, es ist Zeit.“ Zeit, zu gehen.
Frustrierte Grüne
Wütend sind auch Grüne wie Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt. Sie wollten um jeden Preis regieren, wirklich um jeden Preis. Dazu waren sie sogar bereit, fast alle ihre Überzeugungen an die CSU zu verkaufen. Vielleicht hätte nicht einmal Jürgen Trittin sie aufhalten können. Und dann hält ihnen jemand den Spiegel vors Gesicht, dem Überzeugungen wichtiger sind als ein Ministerposten. Lindner hat ihnen den Traum vom Mitregieren vorerst kaputt gemacht. Sie dürfen jetzt nicht an der De-Industrialisierung Deutschlands weiterarbeiten, dürfen keine Kohlekraftwerke stilllegen und der Autoindustrie nicht vorschreiben, was sie produzieren soll. Sogar aus dem von Merkel zugesagten 12-Milliarden-Projekt für „faire Energie“ wird nichts werden. Ihre Wut kennt keine Grenzen, denn das hatten sie sich alles so schön ausgemalt. Dieser Traum war „zum Greifen nahe“, wie sie seit dem Jamaika-Ende ständig beteuern. Und Lindner hat ihn kaputt gemacht, weil er bei dem Spiel nicht mitspielen wollte.
„Der Spiegel“ bringt es auf den Punkt
Wohltuend von dem allgemeinen Aufschrei unterscheidet sich ein Kommentar des „Spiegel“-Reporters Ulrich Fichtner. Dort heißt es:
„Mit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ist Deutschland eine Regierung ohne Richtung, eine Koalition ohne Projekt erspart geblieben. Vier Jahre Leerlauf hätten dem Land und dem ganzen Kontinent bevor gestanden, mit einer deutschen Regierung, in der die Fliehkräfte größer gewesen wären als das Verbindende und Konstruktive. Union, Grüne und FDP hätten sich nicht auf interessante Weise ergänzt und gegenseitig befruchtet, sie hätten sich blockiert. Auch wenn in den vergangenen Wochen des Sondierens in Berlin häufig anderes behauptet worden ist: Es war nicht der Wille der Wähler, dass da etwas zusammenwächst, was offenkundig nicht zusammengehört. Niemand außer den Beteiligten selbst hat sich eine Regierungsbank erträumt, auf der Joachim Hermann neben Claudia Roth und Wolfgang Kubicki Platz nimmt. Dass darüber überhaupt verhandelt wurde, verdankt sich der Tradition, „rechnerisch mögliche“ Koalitionen im Nachhinein als vom Wähler gewünscht hinzustellen. Es gab aber für ein Jamaika-Bündnis im Ernst keinen Auftrag.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.