Wolfgang Herles: Merkel regiert so ähnlich wie Donald Trump: mit „Executive Orders“. Sie trifft einsame Entscheidungen, vom Atomausstieg bis zur Öffnung der Grenzen. Trump wird kritisiert, sie hat damit Erfolg. Wie kommt das?
Prof. Norbert Bolz: Es ist nicht dieselbe Politik, sondern es sind dieselben Mittel der Politik. Nämlich die Besetzung extrem emotionaler Themen, die nicht zu Ende gedacht werden müssen, weil sie sofort ein Massenpublikum elektrisieren. Sie trafen auf eine Befindlichkeit, die nicht besonders überraschend ist. Es gab immer schon die große Antiatomkraftbewegung und seit dem Zweiten Weltkrieg den Versuch der Deutschen, Weltmeister im Gutsein zu sein.
Reiner Populismus.
Reiner Populismus. Trump vertritt ebenfalls eine populistische Politik, aber er spaltet die Nation. Da ist Frau Merkel sehr viel geschickter gewesen.
Schädigt sie die Demokratie, weil Executive Orders nicht von den Parlamenten diskutiert werden?
Nicht sie beschädigt, es beschädigt die Demokratie. Ich würde Merkel ungern haftbar machen. Nichts spricht dagegen, dass sich das Parlament, die eigene Partei, andere Regierungsmitglieder dagegen wehren. All das ist nicht geschehen. Das ist das eigentliche MerkelPhänomen. Die totale Herrschaft nicht nur über die eigenen Leute, sondern auch über die, die scheinbar Opposition sind.
Die Rolle der Medien: Als ich Journalist wurde, war es selbstverständlich, dass Medien zuerst dazu da sind, die Mächtigen zu kritisieren. Aber die Mainstream-Medien verteidigen Frau Merkel über Jahre hinweg, besonders die linken.
Deshalb kritisiere ich weniger die deutsche Politik als die Medien. Die deutschen Journalisten waren immer schon Gesinnungsjournalisten. Sie haben sich nie damit begnügt, einfach nur zu analysieren und zu berichten, sondern wollten immer Meinungen voranbringen. Nun hat Merkel es geschafft, alle linken Themen selbst zu besetzen, indem sie mit ihrer Partei die SPD links überholt und auch den Grünen alle Themen weggenommen hat. Es gibt nur noch die Möglichkeit einer Radikalkritik der Ideologie unserer politischen Kultur oder die Möglichkeit, mit den Wölfen zu heulen. Genau das macht unser Journalismus, und er kann es machen, weil er einen Ersatzgegner gefunden hat. Man kritisiert nicht die Regierung, sondern eher ein Phantom, nämlich die neue Rechte.
Ein Phantom?
Ein Phantom, weil die neue Rechte in ihrem Ausmaß, in ihrer Virulenz maßlos und absichtlich überschätzt wird. Man will gar nicht realistisch einschätzen, wie groß die Gefahr von rechts ist, sondern ist froh, einen Popanz zu haben, auf den man alle kritische Energie ablenken kann, um sich umso affirmativer der Regierungspolitik zuzuwenden.
Das Totschlagargument lautet: Beifall von der falschen Seite.
Wer nicht den Linken folgt, ist rechts, wer rechts ist, ist Rechtspopulist, wer Rechtspopulist ist, ist im Grunde schon ein Nazi. Genau diese Kette ist die eigentliche Gefahr unserer politischen Kultur. Weil jedes Argument, das nicht abgedeckt ist vom Mainstream, nur noch mit Hass beantwortet wird.
Sind Begriffe wie „rechts“ und „links“ überhaupt noch brauchbar? Trump ist ja nicht konservativ. Konservative stehen für die alten Eliten, für Diplomatie statt für Deals, sie wissen umzugehen mit der Komplexität der Welt und sind keine schrecklichen Vereinfacher.
Es erweist sich, dass der, der konservativ ist, sich ständig ändern muss, weil die Gesellschaft, die er stabilisieren will, in einem ständigen Umbruch ist. Wir haben es auf der einen Seite mit Modernitätskonservativen zu tun, auf der anderen Seite mit anachronistischen Leuten, die irgendwann mal als links und progressiv galten und in jede Talkshow hineinkommen, wenn sie nur zur marxistischen Plattform gehören. Aber nur schwer, wenn sie von der AfD sind.
Aber das Zurück zum Nationalstaat ist ja auch nicht progressiv, sondern eher reaktionär.
Allerdings. Ich würde nicht sagen reaktionär, aber es ist wie vieles, was wir erleben, eine Reaktion auf Fehlsteuerung. Es gibt bis heute keine breite Zustimmung zum Projekt der Europäischen Union. Es ist ein reines Elitenprojekt, das extrem schlecht kommuniziert worden ist, weil sich die Brüsseler Eliten zu fein dafür waren, für ihre Ideen zu werben. Die Reaktion ist eben eine brutale, nämlich ein schlichtes Nein. Der Brexit war der große Schock, der sich aber vielfach angekündigt hat.
Kann er hilfreich sein für Europa? Hilft auch Trump nun unfreiwillig dem Projekt Europa?
Wie hältst du es mit Trump? – das ist ja die neue Gretchenfrage der deutschen Politik. Ist das Hysterie?
Mehr noch als in Amerika, wo das Land gespalten ist. Es zeigt eben auch, dass wir gar keine Lust haben, auf politische Fragen politisch zu reagieren. Denken Sie an den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko. Ich höre kaum Nachrichten darüber, dass dort längst ein Zaun existiert, dass eine Praxis der Abwehr gegen illegale Einwanderung auch von allen anderen Regierungen durchgeführt worden ist. Dass also ein wesentlicher Unterschied gar nicht besteht. Man braucht zur Konsolidierung des eigenen Weltbilds einen Weltbösewicht wie Trump, der noch dazu hervorragend harmoniert mit dem linken Antiamerikanismus. Eine ideale Mischung, dass man den Hass auf Amerika auch noch konzentrieren kann in einer öffentlich bösen Figur.
Rächt sich da die über Jahre betriebene Entpolitisierung der Politik nach der Methode: Wählen Sie, wir kümmern uns um den Rest?
Das ist allerdings eine schon ältere Tradition. Bei Adenauer konnte man Ähnliches hören. Man sagt: Heutzutage ist Politik so komplex, dass man sich schon berufsmäßig dafür interessieren muss, um sie zu durchschauen. Es ist ein Angebot zur Güte, zu sagen, ich nehme euch die Last von den Schultern, ihr müsst gar nicht mehr nachdenken, sondern nur uns wählen. Die Welt ist tatsächlich sehr komplex. Wer kann sich schon ein eigenes Bild über Syrien machen oder über das TTIPAbkommen?
Das wäre Aufgabe der Medien.
Die Medien leisten genau das nicht, was sie sich auf die Fahnen schreiben: einerseits Kritik der Mächtigen, andererseits Aufklärung der Öffentlichkeit. Statt dessen sind sie Hysterie- und Angstmaschinen geworden. Wenn man die Zeit nutzen würde, die man für Popanzbeschreibungen von Trump oder Pegida braucht, gäbe es vielleicht eine intelligente Spanne der Aufarbeitung politischer Probleme. Dann wäre wirklich etwas gewonnen. Aber ich sehe keinen Schritt in diese Richtung. Die klassischen Medien sind immer tiefer in Richtung Personalisierung und Emotionalisierung gegangen. Offensichtlich weil man davon ausgeht, dass das Publikum nur noch Entertainment wünscht. Mit einem Belzebub wie Trump kann man sehr gut Entertainment betreiben.
Niemand war gegen Merkel, aber plötzlich taucht Martin Schulz auf, von dem man noch nicht weiß, ob er wirklich so sehr anders ist als Frau Merkel, und plötzlich herrscht Wechselstimmung.
Die Meinung, es sei Zeit für einen Wechsel, gibt es immer, weil sie ja Sensationen und Spannung bringt. Dass er jahrzehntelang nicht gekommen ist, liegt an dieser machiavellistischen Übergestalt Angela Merkel, die alles andere niedergemacht hat. Und natürlich war das letzte Problem, das die SPD hatte, Gabriel, den ich positiver einschätze, als es andere getan haben. Aber er konnte keinen Gegenpol bilden zu Merkel. Denn er wusste ja, dass sie die SPD links überholt hatte. Man konnte sich einschießen auf die Misere der SPD in der Figur Gabriel, der intelligent und resignativ genug war, zu sagen, ich höre auf, steige aus dem Konkurrenzgeschäft aus. Nun konnte die Presse eine solche Figur wie Schulz aufbauen, die im Grunde gar nicht existiert. Sie ist für mich ein reines Medienkonstrukt.
Hält das bis zur Wahl?
Hängt davon ab, ob sich Merkel noch einmal neu formieren und intelligent in Szene setzen kann.
Die CDU könnte sagen, jetzt bringen wir ebenfalls eine neue Figur.
Wer sollte das sein?
Es käme einzig und allein Schäuble infrage.
Schäuble ist zu ängstlich oder zu dezent oder traut sich nicht, sich selber als eine solche zu bekennen. Er will gebeten und gefragt werden, und zwar von allen. Sonst gibt es niemanden. Auch weil man die CSU nicht ernst nimmt. Das ist auch ein Phänomen, dass eine bedeutende Partei lächerlich werden kann. Jedes Medium darf sich über sie lustig machen. Die CSU ist die artikulierteste, vielleicht auch die intelligenteste Partei, was innerparteiliche Auseinandersetzung betrifft. Merkel müsste schon freiwillig zurücktreten, hat es aber eigentlich ausgeschlossen. Ob sie sich noch einmal neu verkaufen, einen neuen Marketinggag finden kann oder ob die Weltpolitik sie noch einmal ins Rampenlicht katapultiert, weiß ich nicht, kann es nicht erkennen.
Dazu müsste sie schon eine Sprache finden.
Sie war die Nachfolgerin von zwei Sprachgenies. Gerhard Schröder und Joschka Fischer waren Glamourfiguren in der Politik. Die sah man dann als abgewirtschaftet an, und deshalb verfiel die ganze deutsche Öffentlichkeit dem Anticharme von Angela Merkel. Sie hat nichts mitgebracht, was Aura, Charisma ausmachen würde, und war das Unattraktive schlechthin. Aber man hatte gerade deshalb das Gefühl, sie ist authentisch, sachlich, man hat den Mythos der Physikerin aufgebaut – als würde sie alles naturwissenschaftlich analysieren -, um dann auf einmal aufzuwachen und festzustellen: Noch nie hat ein Politiker so radikal emotional fundamentale Entscheidungen getroffen wie Angela Merkel.
Deutschland geht es ja gemessen an der Welt unverschämt gut. Trotzdem hat man den Eindruck, die Politik läuft im Krisenmodus. Ist das ein Kulturkampf?
Es handelt sich um einen Kulturkampf und nicht um eine Krise der Politik. Die politische Verwaltung unseres Wohlstands läuft sehr gut, alle beneiden uns. Und das Schöne ist, es würde auch unter Schulz so weiterlaufen. Man kann das nicht so ohne Weiteres kaputtmachen. Es sind die Leute im zweiten Glied, die die eigentliche Politik machen.
Aber auch der Kulturkampf ist nicht ungefährlich.
Er ist nicht ungefährlich, weil man vermuten kann, dass die sozialen Medien
dazu führen, dass die zum Schweigen verurteilte Mehrheit Formen findet, sich gegen die MainstreamÖffentlichkeit zu artikulieren und sich jenseits der Massenmedien ein Bild von der Welt zu machen. Mit allen negativen Begleiterscheinungen wie Echokammern. Diejenigen, die bisher am Rand standen, sehen, dass sie nicht allein sind. Deshalb reagieren die klassischen Medien so hysterisch und schlagen um sich. Daher dieser Kampf gegen Fake News und die Hysterie um „Lügenpresse“. Sie befinden sich in einem Abwehrkampf und merken, die Felle schwimmen ihnen allmählich davon.
Würden Sie so weit gehen und sagen, das ist fast schon ein geistiger Bürgerkrieg?
In der Tat ist es für mich der Anfang eines geistigen Bürgerkriegs, der natürlich nicht blutig verlaufen wird, deshalb bleibt es bei der Metapher. Ich sehe Frontlinien wie damals beim konfessionellen Bürgerkrieg, die quer durch die Familien gingen, quer durch die sozialen Klassen. Es ist nicht so, dass auf der einen Seite die dummen, abgehängten Rechtspopulisten wären und auf der linken Seite alle Intelligenten und Gebildeten.
Demokratie braucht, seit sie im antiken Griechenland entwickelt wurde, gemeinsame Foren, auf denen die Leute einander begegnen. Wir sehen aber eine Spaltung der Öffentlichkeit. Wenn es keinen gemeinsamen Platz mehr gibt, auf dem die Bürger sich aufhalten, sehe ich schwarz.
Absolut. Da habe ich keine gute Nachricht. Die groteske Deformation dessen, was Sie sich vorstellen, sind die Talkshows. Da werden immer die guten Menschen eingeladen. Die wenigen Bösen sind lächerliche Karikaturen. Das Problem kann nur aufgelöst werden, wenn die klassischen Medien zur Besinnung kommen.
Vielen Dank, Herr Bolz.