Tichys Einblick
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Wie Nancy Faeser Martin Sellner groß machte

Bis Ende 2023 konnten nur wenige etwas mit dem Namen des identitären österreichischen Vordenkers anfangen. Dann wurde er schlagartig in Deutschland bekannt: Correctiv und die Bundesinnenministerin bliesen ihn zur Überlebensgröße auf.

IMAGO - Collage: TE

Vor vier Jahren gab es eine konzertierte Aktion von Facebook, Youtube, Instagram und anderen Plattformen mit dem gleichen Ziel: Der Name Martin Sellner sollte aus der Öffentlichkeit verschwinden. Sellner, Kopf der zahlenmäßig sehr kleinen weit rechts stehenden Identitären Bewegung, konnte sich nie auf einen organisatorischen Apparat stützen wie viele NGOs, von Parteien gar nicht zu reden. Fernsehsender und etablierte Printmedien baten ihn damals nicht zum Interview. Der einzige Weg, über den Sellner seine Ideen von einer rigorosen Einwanderungsbegrenzung nach Europa verbreiten konnte, führte über die Kanäle von Social Media. Bis 2020. Damals löschten die Plattform-Unternehmen reihenweise Sellners persönliche Konten und die seiner Identitären Bewegung.

Die staatlich finanzierte Amadeu Antonio Stiftung, die sich für stärkere Internetkontrolle stark macht, lobte den Ausschluss Sellners aus der Internet-Öffentlichkeit damals als „Frühjahrsputz“. Facebook blieb dabei nicht stehen. Das Zuckerberg-Unternehmen entfernte auch rigoros alle Posts, die den Namen Martin Sellner enthielten – egal in welchem Zusammenhang, selbst dann, wenn ihn ein Nutzer zu „Martin Sellerie“ verfremdete. Der Zweck der Übung war deutlich: Der rechte Influencer sollte nicht nur seine Reichweite verlieren, sondern durch diese Isolation auch nach und nach dem Vergessen anheimfallen. Irgendwann, so die Vorstellung, würde außer seiner ziemlich übersichtlichen Anhängerschaft in Österreich und versprengten Freunden in Deutschland und der Schweiz niemand mehr wissen, dass es ihn überhaupt gab. Prinzipiell funktionierte die Strategie auch.

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Vor dem 10. Januar 2024 hätten vermutlich 96 bis 99 Prozent aller Deutschen auf die Frage: „Wer ist Martin Sellner?“ mit den Schultern gezuckt. Das änderte sich radikal mit der Veröffentlichung des Artikels „Geheimplan gegen Deutschland“ durch die ebenfalls mit Steuergeld finanzierte Plattform Correctiv. Darin beschrieb die Organisation ein Treffen von zwei Dutzend Privatleuten am 25. November 2023 in einem Potsdamer Hotel, darunter auch einige Mitglieder der AfD und der CDU, die dort einem Vortrag von Sellner zuhörten. Bekanntlich machte Correctiv die Veranstaltung zum „Geheimtreffen“, behauptete, hier hätten führende Kader der AfD zusammen mit Sellner einen „Geheimplan“ zur „Deportation“ von Millionen Migranten und selbst deutschen Staatsbürgern geschmiedet, und verknüpften diese Darstellung mit der Wannsee-Konferenz von 1942.

Mittlerweile räumten Correctiv-Vertreter vor dem Landgericht Hamburg ein, bei all den sorgfältig gesetzten Triggern in ihrem Text handle es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern nur um Interpretationen und Meinungen. Irgendwelche Belege dafür, was während des Treffens tatsächlich gesagt wurde, legte die Medien- und Aktivistenplattform bis heute nicht vor. Bei dem ominösen „Geheimplan“, so viel steht jedenfalls fest, handelte es sich um die Vorstellung von Martin Sellners Buch „Regime Change von rechts“, erschienen in dem Kleinverlag Antaios, das sich schon seit Juni 2023 im Handel befand.

Medien und Politiker griffen unmittelbar nach der Correctiv-Veröffentlichung begierig nach dem Narrativ, in dem gerade noch rechtzeitig aufgedeckten Potsdamer „Deportationsgipfel“ (SPIEGEL) würde sich eine unmittelbar bevorstehende Machtübernahme der AfD ankündigen. Zeitungen, Rundfunk, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen trommelten zu Großkundgebungen ‚gegen Rechts‘. Die unvermeidliche Folge: Damit bliesen sie auch den bisher wenig bekannten Österreicher zur Überlebensgröße auf, zum Mastermind einer rechtsextremen Machtergreifung. Die Wirkung konnten Antaios-Verlag und Sellner an konkreten Zahlen ablesen: Der Verkauf von „Regime change von rechts“ stieg sprunghaft an. Auch sein Titel „Remigration – ein Vorschlag“ fand durch diesen Popularitätsschub sehr viel mehr Leser, als es unter den Bedingungen von Sellners relativer Unbekanntheit der Fall gewesen wären.

Dazu trug auch die Entscheidung der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ bei, „Remigration“ als Reaktion auf den Correctiv-Text zum „Unwort des Jahres 2023“ zu erklären. Diese Wahl wirkte etwas seltsam, da der Begriff erst durch den Correctiv-Text von Januar 2024 eine größere Verbreitung fand. Faktisch wirkte die politisierte Sprachkritik jedenfalls als Werbemaßnahme für Sellners Werk. Mit seiner Erhebung zum gefährlichen und einflussreichen Gesellschaftsfeind endeten zwangsläufig auch alle Versuche von Facebook, Youtube und anderen, alle Veröffentlichungen mit seinem Namen wegzuzensieren. Denn das hätte zwangsläufig zur Löschung hunderter verlinkter Artikel quer durch die deutsche Medienlandschaft geführt. Elon Musks Plattform X erlaubte es außerdem, dass Sellner dort wieder ein Konto einrichtete – gemäß der Politik ihres Eigentümers, Meinungsäußerungen zuzulassen, solange sie sich im legalen Bereich bewegen.

Zur wichtigsten Helferin bei Sellners Popularitätssteigerung avancierte allerdings Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die Politikerin meinte, irgendeine symbolische Handlung nach „Potsdam“ vornehmen zu müssen, und wies die Bundespolizei an, ein Einreiseverbot für Sellner nach Deutschland durchzusetzen. So jedenfalls berichteten es SPIEGEL und Tagesspiegel. Sellner kündigte daraufhin öffentlich an, am 29. Januar nach Passau zu fahren, um dort in einem bestimmten Kaffee ein Stück Kuchen zu essen. Seine Fahrt von Österreich nach Bayern dokumentierte er via Livestream, damit die Bundespolizei ihn garantiert nicht verfehlte.

Correctiv hat seine Schuldigkeit getan
Der „Potsdam-Wannsee-Deportations“-Plot und seine Wirkung
Das folgende Spektakel wirkte, als hätte er es selbst geplant und verwirklicht: Die Beamten kontrollierten ihn zwar, konnten ihn als EU-Bürger aber mangels rechtlicher Handhabe nicht an seiner Tour hindern. Um diese Rechtsgrundlage zu schaffen, verfügte das Ausländeramt Potsdam im März ein förmliches Einreiseverbot gegen den Anführer der Identitären. Das bedeutet allerdings nur, dass die Behörden Sellner ausweisen können, wenn er nach Deutschland kommt. Gegen das Einreiseverbot geht Sellner juristisch vor – mit guten Erfolgsaussichten. Denn generell herrscht für EU-Bürger innerhalb der EU Freizügigkeit. Ausnahmen lassen sich nur rechtfertigen, wenn jemand im Zielland die öffentliche Sicherheit gefährdet, und wenn er bereits für eine erhebliche Straftat verurteilt wurde.

Sellner hatte immer erklärt, seine Identitäre Bewegung lehne Gewalt ab. Verurteilt wegen eines entsprechenden Delikts wurde er nie. Zwar stand Sellner etliche Male vor Gericht – doch in seiner Erwachsenenzeit endeten sämtliche Verfahren mit Freisprüchen. Eine Verurteilung wegen einer Propagandastraftat gab es nur in seiner Jugendzeit. Selbst wenn deutsche Gerichte das Einreiseverbot bestätigen würden – spätestens von einem EU-Gericht würde es vermutlich kassiert. Faeser stünde dann blamiert da, Sellner hätte wieder einmal kostenlose PR mit gewaltiger Reichweite.

Die Ministerin scheint diesen von ihr bizarr vergrößerten Feind zu brauchen: Denn das Bild von dem Gegner Nummer 1 aus Österreich passt bestens in ihre eigene Inszenierung als Politikerin, die persönlich eine rechte Diktatur in Deutschland verhindert – notfalls mit verfassungswidrigen Maßnahmen. Das Sellner-Spektakel nutzt ihr, alles in allem gesehen. Und Sellner natürlich sowieso. Schon jetzt führt er die Bundesregierung vor, die an ihm einen Grenzkontroll- und Abschiebeeifer demonstriert, zu dem sie sich in zehntausenden anderen Fällen nicht aufraffen kann.

Sellner brauchte bisher nur spöttisch auf die 127.559 aktenkundigen illegalen Einreisen nach Deutschland allein 2023 hinweisen. „Nun bin ich höchste Priorität dieser Regierung“, höhnte er: „Im schlimmsten Fall schaue ich mich nach einem guten Schlepper um.“

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