Nur wenige Parteivorsitzende der SPD oder einer anderen etablierten Partei waren in den vergangenen Jahrzehnten so kurz im Amt wie Martin Schulz. Am 19. März 2017 zum Parteivorsitzenden gewählt, hat er schon jetzt, weniger als ein Jahr später, den Rückzug aus dem Amt angekündigt. Aus dem Halbschatten der Brüsseler Hinterzimmer stieg er kometenhaft am Himmel der deutschen Politik auf, zog seine Bahn und verschwindet jetzt wieder in der ewigen Dunkelheit. Man könnte in ihm daher leicht einen Gescheiterten sehen. Aber damit würde man ihm Unrecht tun.
Selbst in der Flüchtlingspolitik, die eigentlich zumindest für das Überleben der CSU in Bayern von enormer Bedeutung wäre, hat es keinerlei grundlegende Veränderung gegeben. Weder kommt es zu einer Straffung der Verfahren, noch gibt es ernsthaft Versuche, Deutschland als Zielland weniger attraktiv zu machen. Alles wird so weiter laufen wie bisher.
Eine europäische Vision
Man mag sich fragen, ob die SPD selber davon auf Dauer wirklich profitieren wird, aber dass sie der Union eine tödliche Wunde beigebracht hat, das ist kaum zu bezweifeln. Sicherlich, die Ausgangslage war gar so schlecht nicht, denn die CDU hat kein klares politisches Profil mehr, dafür hat Merkel in den letzten 15 Jahren gesorgt. Merkel selber wird es vermutlich sogar begrüßen, dass die SPD auch noch das Finanzministerium für sich beansprucht hat, denn ein CDU-Finanzminister – falls es nicht wirklich der biedere Altmaier geworden wäre – hätte für sie vielleicht doch zum Rivalen werden können. Das hingegen wird eine Julia Klöckner als Schutzherrin der Bauernhöfe und Schweinemäster für sie nie und eine alternde Ursula von der Leyen, die weiter die Bundeswehr abwickeln darf, erst recht nicht.
Aber man würde Schulz Unrecht tun, wenn man meinte, er habe sich an der CDU nur für die Niederlage bei den Wahlen rächen wollen. Nein, Schulz hatte klare politische Zielvorstellungen, womit er sich im übrigen von Merkel unterscheidet.
Schon Anfang Dezember verkündete er, er kämpfe vor allem für die Vereinigten Staaten von Europa, die er bis 2025 schaffen wolle, also in den nächsten sieben Jahren. In der Tat scheint in diesem Traum der Schlüssel für das gesamte politische Handeln von Schulz zu liegen, auch für seine wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen. Schulz war, das muss man annehmen, von einer tiefen Sehnsucht erfüllt. Er sehnte sich zurück nach einer Zeit, in der Deutschland sich in Europa und in der Welt politisch klein machen konnte.
Die Sehnsucht nach diesen idyllischen Zeiten erfüllte Schulz ganz offenbar. Nicht, dass irgendein europäisches Land heute noch irgendwie als wirkliche Großmacht auftreten könnte, aber es stellt sich natürlich schon die Frage, ob man innerhalb der EU eine eigene Politik verfolgt oder sich nur einfach als Partner minderen Ranges sieht, der seine Interessen nur allzu gern für die gemeinsame Sache, eben die Vereinigten Staaten von Europa, zum Opfer bringt. Die Führung bei der Verwirklichung dieser Pläne war dabei aus der Sicht von Schulz eindeutig Frankreich zugedacht, das ja auch in der Europäischen Gemeinschaft ursprünglich die politische Hegemonialmacht war.
Dagegen wäre vielleicht nicht einmal gar so viel einzuwenden, wenn man zu den Zuständen vor 1989 wirklich zurückkehren könnte. Nur eben das wird kaum gelingen. Denn vor 1989 konnte die Bundesrepublik ungestört ihre Wirtschaftspolitik verfolgen, die sich dadurch auszeichnete, dass sie gerade mittelständischen Betrieben viel Freiheit ließ, dies aber mit einem starken Sozialstaat verband, also im besten Sinne des Wortes den Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft folgte. Wenn man davon absieht, dass der deutsche Sozialstaat in der herkömmlichen Form ohnehin in 10 oder 15 Jahren kaum noch finanzierbar sein wird, ein Problem, das sich durch die weitere Masseneinwanderung von wenig qualifizierten Arbeitskräften vermutlich dramatisch verschärfen wird, ist es überdies eine Illusion zu glauben, in Europa könnten in Zukunft noch unterschiedliche wirtschaftspolitische Modelle miteinander konkurrieren. Eine solche Konkurrenz wird die Währungsgemeinschaft des Euro, deren Schicksal ohnehin weiter auf der Kippe steht, endgültig zerreissen.
Frankreich als Modell für Schulzens Europa
Gerade deshalb hat Frankreich auch stets eine gemeinsame Wirtschaftsregierung in der Eurozone verlangt. Macron möchte letzten Endes ein allerdings reformiertes französisches Wirtschaftsmodell auf ganz Europa übertragen, so wie in den vergangenen Jahren Deutschland in aller Regel erfolglos versucht hat, sein Wirtschaftsmodell den südeuropäischen Ländern schmackhaft zu machen; auf Länder wie Griechenland wurde ja auch ein erheblicher Druck ausgeübt. Jetzt wird ein anderes Modell sich durchsetzen: Ein starker Staat, respektive in Zukunft dann auch eine mächtige EU-Kommission als echte, wenn auch nicht wirklich demokratisch legitimierte europäische Regierung fördert die Wirtschaft in einer engen Partnerschaft mit einigen großen Firmen und Lobby-Gruppen durch Subventionen, gegebenenfalls aber auch durch protektionistische Maßnahmen.
Für die SPD bietet dieser Sieg den großen Vorteil, ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen – eine immer höhere Steuerquote, eine langsame steuerpolitische Liquidation des Mittelstandes und eine starke Lenkung der Wirtschaft über diverse Eingriffe – durchsetzen zu können, obwohl es im Bundestag, in dem die linken Parteien nur noch eine Minderheit der Abgeordneten stellen, auf absehbare Zeit für eine solche Politik eigentlich keine Mehrheit mehr gegeben hätte. Schade ist, dass in dem zukünftigen europäischen Subventionsparadies, das Juncker und andere planen, das meiste Geld nach Süden und vielleicht noch nach Frankreich fließen wird, aber, jedenfalls fürs Erste, meist aus deutschen Kassen kommt. Schade auch, dass das wirtschaftspolitische Modell, das bislang das Fundament des deutschen Wohlstandes bot, zerstört wird, aber alles hat seinen Preis, auch der Euro und die Vereinigten Staaten von Europa. Und eine alte Partei wie die SPD kann nicht ohne Kampf untergehen, genauso wenig wie ein altes Reich. Schulz hat immerhin dafür gesorgt, dass die CDU mit in den Abgrund gerissen wird, sollte der jetzige Niedergang wirklich der Anfang vom Ende der SPD sein. Das ist dann eben doch ein großer Sieg, den der oft unterschätzte Mann aus Würselen in seiner kurzen Karriere in Berlin errungen hat. Wenige, außer vielleicht Juncker und Macron, werden ihm sein heroisches Opfer zu danken wissen, aber er hat, obwohl äußerlich gescheitert, sehr viel mehr vollbracht als manch ein anderer Politiker, der sich zwar jahrelang im Amt hält, aber nur still den Niedergang verwaltet. Schulz hat Deutschland dauerhaft verändert.
Roland Asch