Grüne Luftballons, Plakate, auf denen schwangere Frauen und fröhliche Kinder abgebildet sind, flankiert von lebensbejahenden Botschaften. Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, vom Kleinkind im Tragetuch des Vaters über zahlreiche Schüler und Studenten bis hin zu älteren Leuten. Priester und Ordensfrauen, evangelische Diakonissen, aber auch Konfessionslose; Deutsche, aber auch viele Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund.
Die bunte Diversität der Teilnehmer des diesjährigen „Marsches für das Leben“ in Berlin stand in gewohntem Kontrast zu dem fast einheitlich schwarzgekleideten Block, der sich im Protest gegen die Lebensrechtler versammelt hatte. Jedes Jahr wird hier am dritten Samstag im September die ganze Widersinnigkeit radikaler linker Gesinnung deutlich – behaupten hier doch jene, die sich im Widerstand gegen den Marsch für das Leben versammeln, für Freiheit und Liberalität einzustehen: Mit kollektiv ausgerecktem Mittelfinger, mit Beleidigungen und Drohungen auf den Lippen, mit schrillen, teilweise ekelerregend obszönen Schriftzügen und Zeichnungen. Andersdenkende werden niedergebrüllt und bedroht.
In diesem Jahr hatte der Marsch eine Neuerung zu bieten: Nach dem pandemiebedingten Einbruch der Teilnehmerzahlen sollte er nun erstmals zeitgleich auch in Köln stattfinden. Unter dem Motto „Einzigartig. Leben wagen.“, lud der Bundesverband Lebensrecht, ein Zusammenschluss verschiedener Lebensrechtsorganisationen, dazu ein, öffentlich auf die Erosion des Grundsatzes hinzuweisen, dass es kein lebensunwertes Leben geben könne – eine der wichtigsten Lehren, die das deutsche Volk aus seiner Geschichte gezogen hat, die aber zunehmend in Vergessenheit gerät und unterlaufen wird.
Die Kundgebungen in Köln und Berlin verliefen weitgehend friedlich. Unter den zahlreichen Lebensrechtsthemen, die derzeit virulent sind, so zum Beispiel steigende Abtreibungszahlen, Leihmutterschaft, oder die auf Selektion behinderter Kinder ausgerichtete Pränataldiagnostik, wurde in diesem Jahr insbesondere die Euthanasie ins Zentrum gestellt. Der Kanadier Alex Schadenberg, Direktor der Euthanasia Prevention Coalition, gab einen Einblick in die Situation in Kanada, wo es mittlerweile zum Teil leichter ist, sich töten zu lassen, als medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Kritischere mediale Aufmerksamkeit erhielt das Thema dort erst, als Fälle öffentlich wurden, in denen Betroffene in der Euthanasie die einzig verbliebene Lösung für soziale Probleme wie Isolation und Armut sahen, oder in denen Hilfesuchenden die Selbsttötung nahegelegt wurde: Eine Warnung an die deutsche Politik, schließlich steht hierzulande eine gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid noch aus.
Schon im Vorfeld war aufgrund von entsprechenden Vorankündigungen mit massiven Störungen durch Gegendemonstranten zu rechnen. Die Berliner Polizei, vertraut mit der Gewalt- und Krawallbereitschaft der Gegendemonstranten und personell gut aufgestellt, ging effizient gegen Störer vor. Durch Kontrollen an den Zugängen zur Kundgebung und durch strikte Trennung der Gegendemonstranten von den Lebensrechtlern vermittelte sie den Teilnehmern des Marsches – darunter viele Jugendliche und Kinder – ein ausreichendes Gefühl von Sicherheit angesichts der Drohgebärden ihrer Gegner.
Zudem wirkte der Protest in Berlin über weite Strecken wahllos: Da wurde auf Transparenten die Freigabe von Marihuana gefordert, gepaart mit einer Absage an „Keuschheit“ – Forderungen, die weder untereinander zusammenhängen noch mit dem Marsch für das Leben zu tun haben. Da forderte ein Plakat zum Kampf „gegen jeden Antisemitismus“ auf, während der altbekannte Spruch auf dem benachbarten Schild mit „Hätte Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“ beklagt, dass eine jüdische Frau ihr jüdisches Kind nicht getötet hat. Man darf davon ausgehen, dass die Ironie, die ein solches Ensemble ausstrahlt, den Verfassern verborgen bleibt. Von Satanismus und Okkultismus inspirierte Sprüche und Symbole sollten wohl der Provokation der mehrheitlich christlichen Teilnehmer dienen.
Die Gegendemonstranten, die sich von Plakaten mit lachenden Kindern mit Downsyndrom derart provoziert fühlen, dass sie vor tätlichen Angriffen nicht zurückschrecken, scheinen den Teilnehmern des Marsches eine ähnliche Dünnhäutigkeit zu unterstellen. In Berlin entriss ein Gegendemonstrant, der sich unter die Teilnehmer der Kundgebung gemischt hatte, einem Lebensrechtler ein Plakat mit dem Bild einer hochschwangeren Frau, warf es mit voller Wucht zu Boden und traktierte es mit seinen Stiefeln. Die Polizei unterband dies innerhalb von Sekunden; ähnlichen Kontrollverlust angesichts von Pentagrammen sucht man unter den Teilnehmern des Marsches – laut Antifa-Diktion immerhin „Fundamentalisten“ – indes vergebens.
Demgegenüber war die Kölner Polizei von der kriminellen Energie der Demonstranten augenscheinlich überrascht und überfordert. Zum einen hatte die Stadt – ob blauäugig oder fahrlässig – den zentral gelegenen Heumarkt als Versammlungsort für beide Gruppen vorgesehen, aber keine Vorkehrungen getroffen, um die Teilnehmer vor den Gegendemonstranten effektiv zu schützen. Augenzeugen berichten durchgehend von dem Eindruck, dass zu wenig Einsatzkräfte vor Ort gewesen seien, und dass diese oftmals untätig blieben oder zu spät eingriffen.
Nachdem bereits während der Kundgebung Sabotageakte im Bühnenbereich verübt wurden, kesselten die Gegendemonstranten die Lebensrechtler derart ein, dass sich bereits der Start des eigentlichen Marsches erheblich verzögerte. Die Marschierenden kamen auch auf der dann beschlossenen Alternativroute insgesamt nur wenige hundert Meter voran, und kehrten nach einigen Stunden vergeblichen Wartens zum Ausgangspunkt zurück. Allerdings behielten sie eine friedliche und gut gelaunte Grundstimmung bei, beschallten den Zug per Lautsprechern mit Partymusik und ließen bei Tanz und Gesang keinen Zweifel daran, auf welcher Seite echte kölsche Lebensart zu verorten sei.
Zwischenzeitlich hatten die Gegendemonstranten den Kundgebungsort überrannt – sie stürmten die Bühne, von der sie durch die Polizei entfernt wurden, griffen Informationsstände der anwesenden Lebensrechtsorganisationen an, übergossen Prospekte und Flyer mit Wasser, entwendeten Ausrüstung und Material, zerstörten Zelte, und schreckten auch vor Körperverletzung nicht zurück.
Ein Lebensrechts-Aktivist postete auf X (vormals Twitter) einerseits Fotos, die dokumentieren, wie er angegriffen wird, andererseits aber auch ein Video, das zeigt, wie er fäschlicherweise von zwei Polizeibeamten fixiert wird – statt der Person, die im Begriff war, Material seiner Organisation Sundays for Live zu stehlen, und die dieses Vorhaben dank der desorientierten Polizei auch erfolgreich umsetzen konnte. Ein starker Kontrast also zu den gut organisierten Berliner Kollegen. Allerdings wurden auch Beamte zur Zielscheibe der Abtreibungsbefürworter: Der offizielle X-Account der Polizei NRW Köln berichtet von Schlägen und Tritten gegen Polizeibeamte, und gibt an, dass Schlagstöcke zum Einsatz kamen, um die Gegendemonstranten in Schach zu halten.
Man muss sich vor Augen führen, dass sich diese Gewalt lediglich daran entzündet, dass Menschen für das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Leben eintreten: Die in Köln erfolgreich durchgeführte Blockade zeigt, dass die Koalition derer, die den Marsch für das Leben ablehnen, keinerlei Respekt vor Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat. Die Gegner sind nicht dazu in der Lage, ihren Widerspruch gewaltfrei zu formulieren.
Es ist bedenklich, dass zu dieser Koalition auch Politiker und Parteien gehören, die gemeinhin angeben, zur demokratischen Ordnung zu stehen. So bekundeten etwa die Grünenfraktionen in Bonn und Köln ihre Unterstützung für die Initiatoren der Gegendemonstration und riefen explizit zur Teilnahme auf. Zu diesen Organisatoren zählen unter anderem das „Bündnis Pro Choice“, dem die Antifa Bonn/Rhein-Sieg angehört, und pro familia, ein Verein, der immerhin vom Bundesfamilienministerium finanziell gefördert wird.
Selbst die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte sich in einem Posting klar hinter die Gegendemonstranten gestellt. Es ist unwahrscheinlich, dass sie damit ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohl der eigenen Sicherheitskräfte hatte Ausdruck verleihen wollen. Vielmehr scheint eine große Nativität vorzuliegen, sowie eine eklatante Fehleinschätzung der Motivation und Position der Gegendemonstranten. Dennoch ist fragwürdig, dass sich Politiker unkritisch mit gewaltbereiten und gewalttätigen Aktivisten gemein machen; dass sie Partei ergreifen für Einschüchterung und Eskalation, anstatt sich für Versammlungs- und Meinungsfreiheit einzusetzen.