Die Nachricht, dass der französische Präsident Emmanuel Macron zum Gipfel der Visegrád-Gruppe (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) am Montag nach Budapest reisen und zuvor den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán treffen würde, löste einen Schock bei deutschen Medien aus, während sie die Träumereien der Ampel-Regierung nicht tangierte. Auch so kann man Deutschlands Zukunft verschlafen. Dabei sollte das Treffen in Budapest die Alarmsignale in Berlin anspringen lassen. Es geht um Geopolitik, aber davon versteht man in Deutschland offensichtlich nichts mehr.
Selbst die deutschfreundlichen Ungarn sind dabei, ihre Hoffnung, dass sich in Deutschland auch nur irgendeine Form von politischem Rationalismus durchsetzt, zu begraben. Die Ampel steht für die Fahrt auf dem Lastenfahrrad in den Irrationalismus dauerhaft auf Grün. Die Politik von Merkels-Vor-Ampel, die von der Ampel engagiert weiter und zu neuen Höhen geführt wird, hat das Kunststück vollbracht, politische Gegner wie Viktor Orbán und Emmanuel Macron zu einen. Bravo!
Die deutschen Medien wären nicht die deutschen Medien, wenn sie nicht in ihrem ideologiegestählten Aktivismus einen Rahmen (Frame) fänden, der zwar nicht unbedingt die Realität wiedergibt, dafür aber das deutsche Weltbild nicht in Frage stellt. Betont wurde deshalb in der Berichterstattung, dass Macron sich kritisch zur Rechtsstaatsfrage geäußert habe, und einige jubelten sogar, dass Macron in dieser Frage „hart“ geblieben sei. Der SPIEGEL wusste sogar von nichts anderem zu berichten, als dass Macron Orbán eine klare Ansage erteilt habe. Hervorgehoben wurde Macrons Treffen mit der Opposition. Die FAZ stellte ihre außenpolitische Kompetenz unter Beweis, als sie auch noch den Kommentar des grünen Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot zum Treffen zitierte, der kritisierte, dass Macron es an der nötigen Distanz zu Orbán mangeln lasse. Es mag in Deutschland vollkommen undenkbar sein, aber die Grünen spielen in Frankreich keine Rolle. Man hätte auch den Chef der französischen Briefmarkensammler zitieren können.
In ihrer Verzweiflung fügte die FAZ noch ein Statement von „Reporter ohne Grenzen“ an. Die ZEIT beendete ihre Berichterstattung mit der Zusammenfassung: „Macron habe der ungarischen Opposition versprochen, dass Frankreich während der Ratspräsidentschaft darauf dringen werde, dass Rechtsstaatlichkeit zur Voraussetzung für EU-Corona-Aufbauhilfen gemacht werden – anders als von Orbans Regierung gewünscht.“ Allerdings musste sie kleinlaut hinzufügen: „Dies sagten einstimmig die vier wichtigsten ungarischen Oppositionsführer – darunter Orbans Herausforderer bei der Wahl im nächsten Frühjahr, Peter Marki-Zay – nach ihrem Treffen mit Macron.“
Viktor Orbán schätzte ein, dass Heimatliebe, die Stärkung Europas und dessen Autonomie in strategischen Fragen die Punkte seien, in denen Übereinstimmung bestehe. Der französische Präsident bekräftigte: „Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Denken.“ Der ungarische Regierungschef verdeutlichte: „Europa wird keine strategische Autonomie erlangen ohne europäische Verteidigungsindustrie, ohne Nutzung der Nuklearenergie und ohne sich selbst mit Lebensmitteln versorgen zu können.“ Sowohl Ungarn, als auch Frankreich seien Länder, die traditionell auf eine starke Landwirtschaft setzen. Macron bekräftigte, dass für Frankreich Heimatliebe ein wichtiger Wert sei. Interessant ist, dass der französische Präsident in diesem Zusammenhang explizit auf das Prinzip des gegenseitigen Respekts in den Beziehungen der Staaten hinwies, was eine implizite Gegenposition zum europäischen Bundesstaat des Koalitionsvertrages der Ampel darstellt.
Nicht nur, dass Macron bei den von Orbán hervorgehobenen Themen Übereinstimmung signalisierte, ließ aufhorchen, sondern auch, dass er sich sehr stark der ungarischen Migrationspolitik annäherte. Es klang sogar selbstkritisch, als er über die Differenz in der Flüchtlingspolitik mit Blick auf die aktuelle Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze sagte, dass sie „uns dazu bringt, an eine Neuorganisation zu denken, um den Migrationszuflüssen vorzubeugen, unsere Grenzen besser zu schützen und erfolgreich die Mittel und Wege zu finden für eine wirksamere Kooperation der Europäer zu diesem Thema“. Sowohl für Orbán, als auch für Macron gehört zur strategischen Autonomie Europas die Atomkraft, während Deutschland von Sonne, Wasser und Wind träumt. Orbán versteht unter „strategischer Autonomie“ eine starke Rüstungsindustrie, die Nutzung der Atomkraft und die landwirtschaftliche Eigenständigkeit. Denn der Einsatz von Atomenergie würde die Abhängigkeit von Erdöl und Gaslieferungen aus Russland verringern. Deutsche Politik, die weiterhin die Atomenergie ablehnt, macht Russland stark und Deutschland erpressbar.
Aber Emmanuel Macron, nachdem er mit Italien ein Bündnis geschlossen hat, reist nach Ungarn, trifft sich mit den Vertretern der Visegrád-Staaten, mit Deutschlands größtem Außenhandelspartner, denn der deutsche Außenhandel mit den Visegrád-Staaten übertrifft die Handels-Volumina mit den USA und mit China. Um es auf den Punkt zu bringen: Es kann beispielsweise nur im Interesse von Renault stehen, BMW oder Mercedes oder VW aus den Visegrád-Staaten zu verdrängen. Zumal niemand in den Visegrád-Staaten E-Autos oder Lastenfahrräder möchte, auch nicht aus Deutschland.
Mittel- und Osteuropa ist also für Deutschland geopolitisch von höchstem Interesse. Was aber macht die deutsche Außenministerin zur gleichen Zeit? Sie vertreibt sich die Zeit in Stockholm, um im Rahmen der sogenannten Stockholm-Initiative über nukleare Abrüstung zu beraten, während man übrigens kein Problem mit dem Atomabkommen mit dem Iran hat, das dem Iran die nukleare Aufrüstung ermöglicht. Deutschland, das selbst über keine Atomwaffen verfügt, will in der Frage der atomaren Abrüstung eine Führungsrolle übernehmen. Im Übrigen gehören der Stockholm-Initiative nur Staaten an, die keine Atomwaffen besitzen, unter anderem Schweden, Norwegen, Jordanien und die Schweiz. Während sich Annalena Baerbock in Stockholm mit der norwegischen Außenministerin Anniken Huitfeldt und dem jordanischen Außenminister Ayman Safadi trifft, die anderen werden zugeschaltet, arbeitet Emmanuel Macron an der Neuordnung der Einflusssphären in Europa. Hätte Annalena Baerbock nach ihrer Erfolglosigkeit und vor allem nach dem Desaster des Bundeskanzlers in Warschau nicht Wichtigeres zu tun?
Das ist nicht symbolisch, das ist schon symptomatisch für ein Land, das die Interessen von NGO-Angestellten über die Interessen der Nation stellt, für ein Land, dessen Politik auf allen Feldern ideologiegeprägt und ideologiegeleitet ist.
Deutschland ist auf dem Weg in die außenpolitische Isolation – mit dramatischen Folgen für den Wohlstand und den Frieden der Gesellschaft.