Frankreichs Staatspräsident Macron war in der Woche vor Ostern drei Tage zu Besuch in China. In Begleitung von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. „Na und, zwei eitle postroyale Majestäten auf Reisen“, könnte man sagen. Aber damit ist es nicht getan. Denn diese Reise war ganz ostentativ die Reise eines Mannes, der zu Hause zwar Riesenprobleme hat, aber dennoch ständig den Praeceptor Europae spielt, die zentrale EU-Achse Paris–Berlin schleifen lässt (nicht ohne Zutun Berlins), vor allem aber alle anderen in Europa spüren lässt, dass er der Koch ist und sie, die anderen, die Kellner.
Die EU-Kommissionpräsidentin gab da nur das Feigenblatt, auch wenn sie bemüht war, gegenüber China kritischer aufzutreten als Macron. Jedenfalls wurde viel Porzellan zerschlagen.
Scherbenhaufen 1:
Der Zeitpunkt der Reise. Macron musste wissen, dass Chinas Volksbefreiungsarmee unmittelbar nach Macrons Abreise ein riesiges dreitägiges Manöver in der Nähe Taiwans durchführte. Wenn Macron das nicht gewusst haben sollte, muss er sich einmal ernsthaft mit seinen Geheimdiensten unterhalten. Am dritten Tag übten die chinesischen Streitkräfte jedenfalls die „Abriegelung“ der Insel, die China als abtrünnige Provinz betrachtet und bis spätestens zur 100-Jahr-Feier zur Begründung der Volksrepublik China im Jahr 2049 zurückholen will. „Chinesische Erde“ – die Theorie der „russischen Erde“ lässt grüßen.
Es waren jedenfalls mehrere Dutzend chinesische Militärflugzeuge vor Taiwan im Einsatz, um eine „Luftblockade“ der Insel zu erproben. Und was sagt Macron auf dem Rückflug von Peking nach Paris zum Taiwan-Konflikt? Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema Mitläufer sein sollten und uns an den amerikanischen Rhythmus und eine chinesische Überreaktion anpassen. Taiwan (und dessen Unabhängigkeit) sei zudem nicht das Problem Europas. Xi wird das alles gerne gehört haben. Macron zeigte jedenfalls viel Verständnis für Pekings Befindlichkeiten.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wachsen jedenfalls die Sorgen, dass China mit Taiwan ähnlich umgehen könne wie Russland mit der Ukraine. Macrons Aussagen passen jedenfalls gut in Xis Weltbild.
Scherbenhaufen 2:
Der Konflikt um die demokratische Inselrepublik ist ein zentrales Streitthema zwischen China und den USA. Denn im Konflikt um Taiwan will China einen Keil zwischen Europa und die USA treiben. Die USA stützen die Inselrepublik seit 1979 mit Militärpräsenz und Waffenlieferungen.
Nun sagt Macron: Die EU müsse im aufziehenden Konkurrenzkampf der Supermächte aufpassen, nicht ein Vasall (der USA) zu werden. So wird denn auch Macron in Osteuropa hierfür attackiert. Die Osteuropäer machen bei Macrons Dialog-Kurs nicht mit. Sie hatten bis vor 30 Jahren reale Vasallen-Erfahrung, nämlich des sowjetischen Imperiums. Eine tschechische Parlamentarierin bezichtigte Macron denn auch, die Allianz mit Amerika zu untergraben. Der deutsche CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete Macrons China-Besuch auf Twitter als ein „außenpolitisches Desaster“.
„Die Äußerungen des französischen Präsidenten sind harter Tobak“, hieß es verschiedentlich, und der FDP-Außenpolitiker Lechte sagte, besonders die Einlassungen zu Taiwan wögen schwer. Der französische Politikwissenschaftler und Taiwan-Experte der „Fondation pour la Recherche Stratégique“, Antoine Bondaz, warf Macron in der Zeitung „Le Point“ vor: „Das Timing und der Kontext sind katastrophal. Er kommt aus Peking zurück, hat China nicht einmal kritisiert und schießt auf die USA.“ In Washington jedenfalls wird man „not amused“ gewesen sein, auch wenn man es herunterspielt.
Schadensbegrenzung aus Paris
Der Elysée-Palast hat nun am Dienstag, 11. April, versucht, den Schaden zu begrenzen. Man teilte mit, dass Macron mit US-Präsident Biden das Ziel eines „offenen Indopazifiks“ teile. Ein gemeinsames Ziel sei es, „dem Anstieg der Risiken in der Straße von Formosa vorzubeugen“. Biden und Macron hätten sich auch darüber verständigt, dass die Taiwan-Frage „im Dialog“ geklärt werden müsse. Zudem, so der Elysée, seien die USA für Europa ein Verbündeter, China zwar Partner, aber auch systemischer Rivale.
Seltsam freilich bleibt, dass Macron sich erneut als „Diktatorenflüsterer“ (NZZ) versucht. Obwohl doch sein Hinreden in Moskau auf Putin den Überfall auf die Ukraine nicht verhindert und nicht einen einzigen Tag verzögert hat.
Macrons Reise war jedenfalls ein Flop. Sie hat aber eines klar gezeigt: Es war schon nicht leicht, gegenüber dem absteigenden Russland eine gemeinsame europäische Linie zu finden. Gegenüber dem wirtschaftlich und vor allem militärisch offensiv-expansiven China ist das derzeit schier aussichtslos. Äquidistanz gegenüber China und den USA ist jedenfalls auf lange Sicht noch nicht möglich und auch nicht ratsam.