Tichys Einblick
Nagelprobe

Macron befiehlt, Deutschland folgt?

Der französische Präsident mobilisiert für die EU–Konferenz am 23. April 2020 und schreckt vor Erpressung nicht zurück.

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Spätestens seit seiner Rede an der Sorbonne weiß die europäische Öffentlichkeit, dass sich Frankreichs junger Präsident als Vordenker Europas sieht und la Grande Nation wieder zur unbestrittenen europäischen Führungsmacht machen will. Im Elysée-Palast belächeln die ehrgeizigen Mitstreiter Macrons die abwartend behäbigen Reaktionen aus dem Nachbarland östlich des Rheins.

Macron will mehr Europa. Und mehr Europa bedeutet für ihn mehr finanzielle Transfers aus Deutschland, also die Bereitschaft zu Gemeinschaftshaftung unter Fortführung der französischen Hegemonie in Brüssel und in den Institutionen der EU. Gegenüber allen Macron-Vorstößen hat das Merkel-Deutschland stets hinhaltend defensiv reagiert, wohlwissend dass die Bundesbürger für Europa nicht ihr Haus verpfänden wollen und hoffend dass die Offensivkraft Macronscher Vorschläge im Zirkus Brüsseler Bürokratie von selbst ermattet.

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Doch mit der Corona-Krise wittert Macron Morgenluft, mit neuem Pathos die Deutschen vor die Frage zu stellen: Mit mir für das Transfer-Europa oder die EU löst sich auf, weil Deutschland sich verweigert. Für seinen Auftritt hat er sich mit der Financial Times die Gazette des angelsächsischen Finanzkapitals als Plattform erkoren, deren Gefälligkeitsjournalismus seit dem Amtsantritt von Madame Lagarde als EZB-Präsidentin groteske Züge angenommen hat. Hier also nimmt er sich die Deutschen zur Brust.

Sie seien wirklich „nice“, aber es würde nicht ausreichen, Europa als Markt für Exportgüter und Arbeitskräfte zu konzipieren. Man müsse auch die Lasten teilen. Macron verschweigt natürlich, dass Deutschland seit jeher der größte Nettozahler des EU-Budgets ist und kein Eurorettungsfonds ohne Deutschlands Mithaftung funktionieren würde. Er verschweigt weiter, dass ohne Deutschlands Unterstützung der ESA die Rakete Ariane nie abgehoben hätte und kein Airbus entwickelt worden wäre. Aber Macron ist ein talentierter Bluffer. Er setzt darauf, dass das Merkel-Deutschland nie zum Gegenstoß ansetzen wird, sondern sich immer nur exkulpierend verteidigt, um schließlich klein beizugeben.

Doch diesmal muss der Bluff schnell klappen. Denn Macron steht mit dem Rücken zur Wand. Seit seiner Wahl hat er massiv an Zustimmung verloren und zwar nicht etwa nur wegen unabweisbarer und unangenehmer Reformen, sondern wegen seines herrischen Auftretens verbunden mit einem autokratischen Regierungsstil, der den Durchschnittsfranzosen zunehmend aufstößt. Ferner klafft ein Riesenloch im französischen Staatshaushalt und dies nicht erst seit der Corona-Krise. Niemand, nicht einmal Macrons Anhänger, bestreitet, dass er die historische Chance zum Abbau des Defizits trotz guter Konjunktur nicht genutzt hat und entgegen seiner Versprechen auch nie versucht hat. Ein Bruttoschuldenstand von 107% des BIP plagt ihn und erklärt gleichzeitig seine mitfühlende Sympathie für Italien und Spanien.

Beide Länder sind seine wichtigsten Joker im Kampf um die Euro/Corona Bonds. Sie trommeln für einen französischen Feldzug, der beim nächsten Euro-Gipfel am 23. April den erhofften Sieg für den Süden und die Kapitulation Deutschlands und der Niederlande bringen soll. Indes ist dies angesichts der mangelnden sachlichen Konnexität von Eurobonds und Corona, von Gemeinschaftshaftung und Seuchenbekämpfung nicht sicher. Immerhin ist der niederländische Widerstand gegen jedwede Transferunion bisher ungebrochen.

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Deshalb musste Macron im Gespräch mit seinen Freunden von der FT neue rhetorische Reserven erschließen. Wo die Sachargumente den französischen Präsidenten verlassen, liegt der Griff in die Trickkiste des französischen Pathos nahe. Macron zur FT: „Europa erlebt die Stunde der Wahrheit.“ Entweder (noch) mehr finanzielle Soldiarität – sprich Gemeinschaftshaftung – oder das politische Projekt Europa würde kippen – durch deutsche Schuld natürlich.

Noch nie hat Macron die Deutschen so direkt angegriffen. Noch nie stand ihm das Wasser so sehr bis zum Hals. Mit chaotischen Zuständen im Gesundheitssektor – dem stets gepriesenen service public – hat er dermaßen zu kämpfen, dass er sich Wunderheilern aus Marseille und ihren Malaria-Medikamenten anvertraut. Außerdem weiß er als Teil der global elite um die Erbarmungslosigkeit der Kapitalmärkte, sobald diese neben dem hochverschuldeten Italien (immerhin mit einem Primärüberschuss im Haushalt) das fast ebenso verschuldete Frankreich mit einem chronisch negativen Primärsaldo als schwaches Glied des Eurosystems zernieren. Für beide Länder reicht der ESM nicht aus. Also kämpft Macron „im Namen Europas“ um sein Überleben und wird nicht müde, den Populismus, zu dem sein Herrschaftsstil beigetragen hat, als Gefahr für Europa aufzubauen.

Man muss kein versierter Beobachter de EU-Szene sein, um das Spiel Macrons zu durchschauen. Gewiss gibt es Beamte im Bundesfinanzministerium, denen die Gefahr nur hinhaltenden deutschen Widerstands bewusst ist. Aber solange die politische Führung Deutschland zur Selbstaufgabe für Europa (unter Frankreichs Führung) prinzipiell bereit scheint, kann ein Pokerface wie Macron sein Spiel fortsetzen. Und das Merkel-Deutschland bleibt ein Getriebener. Am 23. April 2020 erfahren wir mehr.

Von Markus C. Kerber erschienen:

Europa ohne Frankreich?

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224 Seiten, kartoniert,
Preis: 13,00 € (zzgl. Versandkosten)
ISBN 978-3-9814942-6-6, ISSN 2193-5289

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