Tichys Einblick
Maaßen unter Beobachtung?

„Der Tag mag bald kommen, an dem man diese Daten braucht“

Will Stephan Kramer, Mitglied im Stiftungsrat der Amadeu Antonio Stiftung und Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen (CDU), zum Prüffall machen? Laut Süddeutscher soll Kramer „eine vertrauliche Arbeitsanweisung (...) an seine Agentinnen und Agenten“ ausgegeben haben.

IMAGO / ari

Es liest sich wie aus einem Thriller über die DDR, was die Süddeutsche Zeitung vor kurzem schrieb: „Aber jetzt soll es losgehen. Jetzt werden „offene Quellen“ zusammengestellt, wie es im Jargon des Dienstes heißt, jetzt werden in dem Erfurter Spionage-Bau schon mal Maaßen-Interviews ausgedruckt und auf Papierstapel gelegt … Jetzt werden Twitter-Screenshots gemacht, jetzt wird das alles aufgehoben. Der Tag mag bald kommen, an dem man diese Daten braucht.“ Vom Duktus erinnert das an einen Artikel über eine Gerichtsverhandlung 1950 in Güstrow, in der acht Jugendliche, von denen fünf der LDP angehörten, vor Gericht gezerrt wurden, weil man ihr Eintreten für Demokratie und Freiheit zur „Verbreitung von Gerüchten, Kriegs- und Boykotthetze und Völkerhass“ erklärte. Mit ähnlicher Selbstzufriedenheit schrieb der damalige Journalist: „Jetzt stehen sie vor dem Gericht des Volkes und sehen ihrer gerechten Strafe entgegen. Einmütig erwartet unsere Bevölkerung von dem Gericht, dass es das erfüllt, was auf der Stirnwand im Verhandlungsraum steht: ‚Das Volk straft alle hart, die seinen demokratischen Aufbau stören‘.“

Welcher Tag soll das also sein, von dem die Süddeutsche so inbrünstig träumt? Tag eins nach der Demokratie in Deutschland? Tag eins der klimaneutralen Diktatur? Tag eins des „demokratischen Aufbaus“?

Laut Süddeutscher Zeitung soll das Mitglied des Stiftungsrats der Amadeo Antonio Stiftung und Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan Kramer, „kürzlich eine vertrauliche Arbeitsanweisung (…) an seine Agentinnen und Agenten“ ausgegeben haben. „Man solle alles, was einem zu Hans-Georg Maaßen unterkomme, bitte sorgfältig aufheben. Nichts wegwerfen. Erst recht nichts schreddern.“ Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes ist ein Sozialpädagoge, der nur durch die übermäßig großzügige Auslegung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes auf diesen Posten gehoben werden konnte. Im Paragraph 2, Artikel 3 dieses Gesetzes heißt es: „Das Amt des Präsidenten soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt.“ Kramer besaß und besitzt sie nicht. Macht nichts, die politische Gesinnung ist entscheidend. Kennt man nicht nur in Thüringen. Der damalige Innenminister Holger Poppenhäger von der SPD drückte die Berufung Kramers mit der Begründung durch, die das Recht biegt, dass diese Festlegung ja nur eine Kann-Bestimmung sei, denn es heißt ja nicht „muss“, sondern „soll“ im Gesetz. Neutralität des Staates und der Staatsorgane sind wahrscheinlich auch nur „Soll- oder Sollte-Bestimmungen“.

Will Stephan Kramer, Mitglied des Stiftungsrates der Amadeo Antonio Stiftung und Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und CDU-Politiker, Hans-Georg Maaßen, zum Prüffall machen? Auch im Land Thüringen besitzt man reichlich Erfahrungen aus der Zeit, als die SED die Blockparteien gleichschaltete und missliebige Parteimitglieder ausspionierte und drangsalierte. Aber die SED ist ja in Thüringen wieder an der Macht, sie heißt jetzt nur die Linke.

Typisch für den denunziatorischen Ton, den man in der Redaktion der Süddeutschen möglicherweise für Journalismus hält, ist es, dass es in dem Text nicht um eine intellektuelle oder politische Auseinandersetzung mit den Positionen von Hans-Georg Maaßen geht, was vollkommen legitim ist und sich in einer Demokratie gehört. Vielmehr darum, den Thüringer Verfassungsschutz entweder dazu aufzufordern oder ihn in seiner Initiative, die Überprüfung eines CDU-Politikers voranzutreiben, zu bestärken, was sich nicht gehört. Zeitungen als Stichwortgeber für eine politische Polizei hatten wir in der Sowjetunion, in der DDR, im ganzen Ostblock, und haben wir noch in China und auf Kuba, und wieder in Russland.

Um Klarheit zu erlangen, stellte TE folgende Presseanfrage an das Landesamt für Verfassungsschutz: „…die Süddeutsche Zeitung schreibt: „In Thüringen hat der Chef des Landesamts für Verfassungsschutz kürzlich eine vertrauliche Arbeitsanweisung ausgegeben an seine Agentinnen und Agenten, die in einem gesichtslosen, achtstöckigen Bürogebäude mit abgewetzten Teppichböden außerhalb von Erfurt sitzen. Man solle alles, was einem zu Hans-Georg Maaßen unterkomme, bitte sorgfältig aufheben. Nichts wegwerfen. Erst recht nichts schreddern.“
Bitte beantworten Sie uns bis heute 17 Uhr folgende Fragen:
1. Ist die Darstellung der Süddeutschen Zeitung zutreffend? Hat Herr Kramer angewiesen, Material zu Hans-Georg Maaßen zu sammeln?
2. Wird Material zu oder über oder von Hans-Georg Maaßen durch Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz gesammelt?
3. Mit welcher Begründung werden diese Maßnahmen durchgeführt?“

Eine Pressesprecherin des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz antwortete auf die Frage: „ich bitte um Verständnis, dass das Amt für Verfassungsschutz grundsätzlich davon absieht, zu Berichten über tatsächliche oder vermeintliche interne Anweisungen Stellung zu beziehen.“

Ein Dementi, wenn es nicht geschähe, wäre einfach. Eine Bestätigung der nachgefragten Vorgänge würden allerdings einen handfesten Skandal darstellen, wenn im Jahr 2023 ein CDU-Politiker von einem Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet und ihm nachgeschnüffelt wird, weil er nicht die politische Meinung des Ministerpräsidenten der Linken, die einst SED hieß, Bodo Ramelow, und seiner grünen Koalitionsfreunden entspricht. Sind wir wieder so weit?
Ist der Journalist der Süddeutschen einer Ente aufgesessen? Oder wurde er instrumentalisiert, um für ein bestimmtes Klima der Angst nach dem Motto: Sprich nicht mit Maaßen“ zu sorgen? Zu DDR-Zeiten nannte das Ministerium für Staatssicherheit letzteres Vorgehen, was niemand der Süddeutschen oder dem Thüringer Landesamt unterstellen will, schlicht Zersetzung, Zersetzung der Opposition. Man will es weder unterstellen, noch insinuieren, doch die schmallippige Äußerung des Kramer-Amtes befeuert nun einmal die Phantasie und die Assoziationen.

Man spürt förmlich das Händereiben des aktivistischen Journalisten bei der Formulierung: „Aber angesichts der jüngsten Aktivitäten in dem gesichtslosen, achtstöckigen Bürogebäude des Verfassungsschutzes in Erfurt lautet die Frage jetzt, wie lange noch.“ Wie lange noch was? In welche Tradition würde sich der Verfassungsschutz stellen, wenn er begänne, Kritiker der grünen Politik zu verfolgen?

Kaum ist der AfD-Parteitag vorüber, vergisst der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, die Neutralitätspflicht und nimmt eine parteipolitische Beurteilung der AfD vor. In wie weit steht er eigentlich auf dem Boden des Grundgesetzes, wenn er praktisch das Recht der Meinungsfreiheit in Frage stellt, wenn er nicht mehr das Grundgesetz schützt, sondern die Regierung, eine herrschende Ideologie? Inwieweit delegitimiert sich der Verfassungsschutzpräsident selbst, wenn er den verfassungsschutzrelevanten Beobachtungsbereich Delegitimierung des Staates, der an den berüchtigten Paragraphen 220 des DDR Strafgesetzbuches erinnert, einführt? Zur Erinnerung. In dem Paragraphen des DDR Strafgesetzbuches hieß es:
„§ 220. Staatsverleumdung. (1) Wer in der Öffentlichkeit
1. die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen;
2. einen Bürger wegen seiner staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit, wegen seiner Zugehörigkeit zu einem staatlichen oder gesellschaftlichen Organ oder einer gesellschaftlichen Organisation verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.“

In seinem parteipolitischen Statement zur AfD benutzte Thomas Haldenwang den Ausdruck „wehrsame Demokratie“. Haldenwang sollte eigentlich wissen, dass der Begriff „wehrsame Demokratie“ nur ein Synonym für Diktatur ist. Aber vielleicht weiß er das auch. Wie rief doch die bayrische Spitzenkandidatin der Grünen, als sie im Bierzelt ausgepfiffen und ausgebuht wurde: „Wir Grünen sehen uns als die Verfassungsschützer“? Das ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten.

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