Das kleine Städtchen Suhl, gelegen in einem Tal des Thüringer Waldes, umgeben von diesigen, dicht bewaldeten Bergen, kämpft mit dem stärksten Bevölkerungsrückgang aller deutschen Kreise und kreisfreien Städte. Doch inmitten des Lockdowns sind auf einmal die Hotels des Städtchens fast vollständig ausgebucht. Denn an diesem Freitag ist alles angereist, was die deutsche Presselandschaft zu bieten hat: Regionalzeitungen aus ganz Deutschland, alle großen Fernsehsender, die überregionale Presse sowieso. Hier in Südthüringen wird darüber entschieden, ob Hans-Georg Maaßen Bundestagskandidat der CDU wird.
Als die Sitzungsleitung sichtlich glücklich um 20:06 im Congress Centrum Suhl im Saal Simson das Ergebnis verkündet, ist ein mittleres politisches Wunder vollendet: 43 abgegebene Stimmen, 43 gültige Stimmen, 37 Stimmen für Hans-Georg Maaßen, der ist jetzt Direktkandidat der CDU im Wahlkreis 196. Das Ergebnis übertrifft selbst die kühnsten Erwartungen der Kreisvorsitzenden aus Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg, die dieses spektakuläre Manöver vor sechs Wochen initiiert haben.
Nur sechs Delegierte stimmen nicht für Maaßen – weniger ging nicht. Nach TE-Informationen waren es genau sechs Delegierte, die von Anfang an intern signalisierten, gegen Maaßen stimmen zu wollen. Alle anderen stimmten geschlossen ab, kein einziger hat sich von der versammelten Presse oder den etlichen Äußerungen aus der Spitzenpolitik einschüchtern lassen. Die Kreisvorsitzenden sind stolz auf ihre Truppe.
Extra vorsichtig hatte die Sitzungsleitung zunächst noch im Programm angesetzt, die Presse während Abstimmungen und Aussprachen aus dem Raum zu bitten, wohl um jede Einschüchterung der Delegierten zu vermeiden. Doch nach Zwischenrufen beschließt der Saal kurzerhand: Die Presse darf bleiben. Man will es hier nicht heimlich und still vollenden; es soll den Journalisten schon unter die Nase gerieben werden.
Als die geplante Kandidatur von Maaßen am 1. April öffentlich wurde und sich die Bundesöffentlichkeit auf die kleinen Ortsverbände einschoss, da ging einem schon der „Arsch auf Grundeis“, erzählt einer. Was hat man in Berlin alles in der Hinterhand, was kann man tun, um die Delegierten unter Druck zu setzen? Was sollen wir schon gegen das Konrad-Adenauer-Haus ausrichten? Versucht wurde es schon mit der Einschüchterung, nur ist es nicht gelungen. Nach TE-Informationen versuchte die CDU-Landesspitze mehrere Delegierte davon zu überzeugen, die Kandidatur von Maaßen nicht zu unterstützen, dazu kamen merkwürdige Anrufe und die verzweifelte Suche nach aussichtsreichen Gegenkandidaten.
Was an diesem Freitag gegen Maaßen ins Feld geführt wird, ist am Ende sehr bescheiden. Suhls Oberbürgermeister schlägt einen Anwalt aus der Region als Gegenkandidaten vor, der erklärt seine Bewunderung für Friedrich Merz und will vor allem mit „Ich bin vor hier“-Sprüchen punkten. Der dritte Kandidat nimmt seine Kandidatur am Pult zurück und nutzt seine Redezeit zu relativ deplatziertem Rumgestänkere gegen Maaßen. Und dann geht es 37 zu sechs aus. Maaßen sagt, er sei „überwältigt“ von diesem „unglaublichen Rückenwind“.
Die Vorsitzenden der Kreisverbände können es selbst nicht so recht fassen. Maaßen verkündet, er sei bereit für einen harten Wahlkampf, zum „rumkuscheln“ neige er nicht. Und er verkündet die Botschaft des Tages: Diese Wahl habe gezeigt, dass die CDU eine Partei ist, in der die Basis herrsche, nicht das Establishment. Jetzt müsse alles daran gesetzt werden, eine Grün-Rot-Dunkelrote Regierung zu verhindern. Er grenzt sich hart von der AfD ab – da ist er ganz auf Parteilinie. Ist es Überzeugung oder will er die totale Konfrontation vermeiden? In jedem Fall ist es eine Kriegserklärung an die Merkel-CDU, die ihn aus seinem Amt vertrieben hat. Durch die Wälder über die Felder ist er wieder da.
Nach der Nominierung schimpft das politische Berlin weiter – ein ehemaliger Staatssekretär tritt demonstrativ aus der CDU aus, NRW-Integrationsstaatssekretärin und Laschet-Vertraute Serap Güler twittert: „An die 37 Parteikollegen in Südthüringen: Ihr habt echt den Knall nicht gehört! Wie kann man so irre sein und die christdemokratischen Werte mal eben über Bord schmeißen?“. Was soll man sagen. In Suhl interessiert das keine Sau. Aber es markiert den Riß, der durch die CDU geht. Man wird sehen, ob Maaßen das Direktmandat gewinnt – oder Serap Güler, die in Köln antritt.
Die ganze Drohkulisse der Bundespolitik und ihre riesige Welle, sie zerfällt an diesem Abend hier zu Staub. Die Macht des angeblich unentrinnbaren Imperiums lässt sich hier im fernen, fränkisch geprägten Teil Thüringens ziemlich präzise beziffern: Null. Null Delegiertenstimmen umgedreht. Suhl zeigt, dass es geht. Es waren einfach ein paar Lokalpolitiker, die sich zusammengetan haben, die Ohnmacht dieses kolossalen Machtapparats namens CDU-Spitze vorzuführen. Es könnte Nachahmungstäter geben.
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