Tichys Einblick
Ein Resümee

Klimabewegte wollen Lützerath zum Symbol machen

Die Demonstration in Lützerath und die gesellschaftlichen Spannungen, die sich an absurden Kompromissen entzünden, zeigen, dass die Klimadebatte die Nebelwand bildet, hinter der die eigentliche Auseinandersetzung stattfindet: über die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Deutschland künftig leben werden.

Demonstranten an der Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler, 14. Januar 2023

IMAGO / Jochen Tack

Anfang Juli 2022 trat aus Protest gegen die Politik des Wirtschaftsministers Robert Habeck Rainer Borcherding als Kreisvorsitzender der Grünen in Habecks Heimatkreis Schleswig-Flensburg von seinem Amt zurück. Borcherding sagte: Er könne es nicht mehr mit seinem „Gewissen als Biologe und Naturschützer verantworten, im Wahlkreis von Robert Habeck die Verantwortung für die Politik der Grünen zu tragen“. Mit den Klimaextremisten-Festspielen vom Samstag in Lützerath hat das nichts und doch wiederum alles zu tun.

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Es hat nichts damit zu tun, weil es wie Robert Habeck auch den Demonstranten weder um den Arten- noch um den Naturschutz ging. Gemeinsam ist den Demonstranten von Lützerath und Robert Habeck, dass es sich für beide nicht um die Natur, nicht um die Ökosysteme, nicht um die Artenvielfalt, nicht um den Wohlstand und die Zukunft der Deutschen handelt, sondern um die Selbstermächtigung mithilfe einer kruden Klimaideologie, deren schaurige Pointe in einer Apokalyptik besteht, die Apokalyptisches erst in Gang setzt, nämlich die Verstärkung des Treibhauseffektes durch die geplante Wasserstoff-Industrie, die Störung der Windzirkulation, die Entstehung von Trockenheit und die Zerstörung von Biotopen, von Flora und Fauna durch die Windparks an Land und schlimmer noch auf dem Meer.

Borcherding sprach angesichts der Ignoranz der Grünen gegen die Belange des Naturschutzes, beispielsweise des Wattenmeeres, von „gewisser Arroganz vonseiten der Klimaschutzfraktion“. „Da kommt das Totschlag-Argument, dass die Arten ohnehin alle weg sind, wenn das Klima den Bach runtergeht.“ Man könnte meinen, dass Habeck und seine nicht mehr ganz so engen Freunde in Lützerath denken, wenn die Arten ohnehin den Bach runtergehen, dann vernichten wir die Artenvielfalt doch lieber gleich selbst.

Auch in Lützerath trivialisierte die Klimaschutzfraktion wieder das an sich schon triviale Totschlag-Argument und variierte es mit der völlig sinnfreien Losung: „Klimaschutz ist kein Verbrechen.“ Hausbesetzung ist allerdings schon ein Verbrechen, Hausfriedensbruch nicht weniger, das Werfen von Feuerwerkskörpern auf Polizisten, das Bewerfen von Polizeiwagen mit Schlamm auch, die Verletzung von Polizisten in Ausübung ihres Dienstes nicht weniger als der Angriff gegen ein Journalistenteam des niederländischen Rundfunks, der Versuch, eine Siedlung zu stürmen, die den Klimaextremisten nicht gehört und die sie nach Feststellung zweier Gerichte auch nicht betreten dürfen – all das sind Verbrechen.

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All das ist passiert; all das ist auch passiert, weil Thunberg und Neubauer die Situation aufgeheizt haben. Während Thunberg die Demonstranten und Klimaextremisten mit den Worten anfeuerte: „Wir haben nicht vor, aufzugeben. Solange die Kohle im Boden ist, ist dieser Kampf nicht vorbei“, erscholl aus der Mitte der Zuhörer der Ruf: „Auf nach Lützerath! Auf nach Lützerath!“ Von Anfang an war klar, dass genau diese Eskalation eintreten würde, ob sie von den Veranstaltern geplant war, ob sie von Neubauer und Thunberg gewollt und befördert wurde, sollten Ermittlungen in Erfahrung bringen, doch die werden ausbleiben.

Die Polizisten haben Menschenmögliches geleistet, doch sie waren hoffnungslos in der Unterzahl. Sie konnten verhindern, dass Klimaextremisten ins Dörfchen Lützerath eindrangen, doch den Ansturm von Demonstranten auf die gefährliche und vom Regen aufgeweichte Abbruchkante des Tagebaus vermochten sie nicht zu unterbinden. Man muss auch fragen, ob der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach, der Mitglied der Grünen ist, die Gefahr, die auch von Leuten ausging, mit denen er sympathisiert, deren Parteifreund er ist, unterschätzt hat. Als circa 100 Demonstranten auf die Abbruchkante zurannten und Polizisten mit Steinen beworfen wurden, zeigte sich Weinspach „absolut entsetzt“. Wie das? Womit hat er gerechnet?

Thunberg beschuldigte Deutschland, „einer der größten Klimasünder weltweit“ zu sein. Angesichts dessen, was Thunberg in Lützerath sagte, und nicht nur dort, stellt sich die Frage, ob Thunberg nicht „eine der größten Demagoginnen weltweit“ ist. Der es vielleicht wie Neubauer letztlich nicht um das Klima geht, sondern um die große Transformation, um die Errichtung einer anderen Gesellschaft. Es ist noch nicht so lange her, da sprach Thunberg bei der Vorstellung ihres Klima-Readers-Digest, dessen deutsche Ausgabe pompös wie eine Bibel, das Buch Greta, daherkommt: „Den kapitalistischen Konsumismus und die Marktwirtschaft als dominierenden Verwalter der einzigen bekannten Zivilisation im Universum zu belassen, wird höchstwahrscheinlich im Rückblick als eine schreckliche Idee erscheinen.“

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Denn dieses System ist „definiert durch Kolonialismus, Imperialismus, Unterdrückung und Völkermord vom so genannten globalen Norden zur Anhäufung von Wohlstand, das immer noch unsere gegenwärtige Weltordnung bestimmt“. Und die daraus resultierende „Nachhaltigkeitskrise“ habe ihre „Wurzeln in rassistischem, unterdrückerischem Extraktivismus, der Menschen und den Planeten ausbeute, um kurzfristigen Profit für wenige Glückliche zu maximieren“.

So ist es auch nicht erstaunlich, dass sich die sogenannte Klimabewegung radikalisiert, der Kampf gegen das CO-2 wie der gute, alte kommunistische Klassenkampf funktioniert. Insofern ist es nur konsequent, den bösen, bösen Konzern RWE zum Erzschurken zu erklären und grüne Funktionäre wie Habeck anzusehen, wie weiland orthodoxe Marxisten und Leninisten reformerische Theoretiker und Politiker wie Eduard Bernstein, Karl Kautsky und Rudolf Hilferding als Verräter diffamierten. Zum Ende der Weimarer Republik wurden Sozialdemokraten von Kommunisten als „Sozialfaschisten“ verteufelt.

In der FAZ träumt der Kommentator Reiner Burger von Grünen, die für Rechtsstaat und Verantwortung stehen. Wo er die ausmachen will, wird sein Geheimnis bleiben, denn der von ihm hochgepriesene Kompromiss ist nicht nur faul, er ist sogar oberfaul. Auf den Grund und den Inhalt des Kompromisses, der Neubauer auf die Idee brachte, Lützerath zum Symbol zu machen, um ihrem Bedeutungsverlust und dem ihrer Bewegung entgegenzuwirken, lohnt es noch einmal einzugehen, weil sich darüber schon beginnen, Legenden zu bilden.

...dann nicht doch besser Kernenergie?
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Der Schurke in diesem Spiel ist eben nicht RWE, sondern einzig und allein die All-eletric-, die Wasserstoff-Fraktion um Robert Habeck. Weil man erstens vollkommen in der Sanktionspolitik gegenüber Russland versagt hat, zweitens sich als unfähig erwies, Ersatz für russisches Pipeline-Gas zu bezahlbaren Preisen zu organisieren, drittens nicht nur aus ideologischen Gründen, koste es, was es wolle, aus der Kernenergie aussteigen will, was niemand in Europa – auch nicht bei den Grünen, nicht einmal Greta Thunberg – versteht, kann die deutsche Energiesicherheit ohne Braunkohleverstromung nicht gewährleistet werden.

Habeck hofft, dass er 2030 die Wasserstoff-Belieferung gesichert und die Wasserstoff-Infrastruktur hergestellt haben wird. Dann würde er die Kohle nicht mehr benötigen und könnte Gas, nämlich Wasserstoff, verstromen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Würde er, statt Braunkohle zu verstromen, was als überlebte Technologie gilt, Strom aus Kernkraft gewinnen, was wiederum als Zukunftstechnologie angesehen wird, dann würde seiner schönen Zukunftsindustrie auf Wasserstoffbasis eine andere Zukunftstechnologie, nämlich die Kernkraft, als harte Konkurrenz erwachsen. Aus diesem, und eben nicht nur aus ideologischen Gründen, lehnen die Grünen die Kernkraft radikal ab, weil sie der Wassersoff-Utopie im freien Wettbewerb den Garaus machen würde. Aus diesem tieferen Grund kam es gestern zu den Auseinandersetzungen in Lützerath.

Die Demonstration in Lützerath, die sich verschärfenden gesellschaftlichen Spannungen, die sich an absurden Kompromissen entzünden, zeigen, dass die Klimadebatte am Ende nur die Nebelwand bildet, hinter denen die eigentlichen Auseinandersetzungen stattfinden, die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Deutschland künftig leben, wer verdient und wer nicht, wer Verlierer und wer Gewinner ist.

Bleibt nachzutragen, dass die Demonstration sich gegen 18 Uhr aufzulösen begann. Nicht aufgelöst sind die inneren Widersprüche der Klimabewegung, die haben gerade erst begonnen aufzubrechen.


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