Am Abend des 27. August beleidigte der 20-jährige Lagerarbeiter Nuradi A. zwei lesbische Teilnehmerinnen an dem CSD-Umzug in Münster. Als sich Malte C. schützend vor sie stellte, schlug Nuradi A. zu.
Malte C. stürzte durch den Hieb mit dem Hinterkopf auf das Pflaster, wenige Tage später starb er an seiner Verletzung. Bei Nuradi A. handelt es sich um einen abgelehnten Asylbewerber, der aus dem Dorf Tukhchar an der Grenze zwischen Tschetschenien und der russischen Republik Dagestan stammen soll. Nuradi A. lebt schon seit mehreren Jahren in Deutschland; 2017 wurde er Jugendmeister im Boxen. Obwohl er mit seinem Antrag auf Asyl scheiterte und schon einmal eine rechtskräftige Strafe wegen Körperverletzung erhielt, konnte er in Deutschland bleiben.
Für die Wohlmeinenden gehört es schon länger zum Standard, jedes größere Ereignis erst einmal daraufhin abzuklopfen, ob es sich für die eigene Argumentation ausschlachten lässt oder nicht. Falls nicht, folgt umgehend der Appell, das Ereignis – Berliner Breitscheidplatz, Kölner Domplatte, Würzburg und anderes – bloß nicht zu instrumentalisieren. In den passenden Fällen läuft ebenso prompt ihre Instrumentalisierungswelle an.
Der in seiner Folge tödliche Angriff auf Malte C. ereignete sich in zeitlicher Nähe zur Debatte um das so genannte Selbstbestimmungs- beziehungsweise Transgendergesetz, der Kritik von mehr als hundert Wissenschaftlern an der kritiklosen Übernahme der Trans-Ideologie durch öffentlich-rechtliche Sender und der Kampagne gegen die Biologiedoktorandin Marie-Luise Vollbrecht. Vollbrecht hatte während der langen Nacht der Wissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin in einem Vortrag erklären wollen, warum die Biologie nur zwei Geschlechter kennt, und worin die Unterschiede zwischen biologischem Geschlecht und gesellschaftlichen Geschlechterrollen liegen. Auf Druck einer radikal linken Sekte sagte die Humboldt-Universität ihren Vortrag ab. Nach einem Protest etlicher Wissenschaftler durfte sie dann doch vortragen.
Schon die Tatsache, dass Vollbrecht über Zackenbarsche und Geschlecht sprechen durfte, empfand ein Bündnis aus Politikern, Medienschaffenden und Transgender-Aktivisten offenbar als Niederlage. Als dann noch der Tagesspiegel Vollbrecht mit einem gefälschten Twitter-Screenshot (Tagesspiegel: „grafische Nachbildung“) in die Nähe der NPD zu rücken versuchte, Vollbrecht darauf Geld sammelte und sich gegen diese und andere Verleumdungen juristisch zur Wehr setzte, meinte das Bündnis offenbar, jetzt sei eine Grenze überschritten. Ihr Narrativ nach dem Angriff auf Malte C. lautete, die wahren Täter hießen eigentlich, so der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft „Die Linke queer“ Frank Laubenburg, „Vollbrecht, Schwarzer, Weidel, Wagenknecht“.
Vollbrecht gehört wegen ihrer oben geschilderten Vergehen in seine Feindreihe, die Emma-Gründerin Alice Schwarzer, weil die Transgender-Aktivisten und ihren Unterstützern sie zu den TERFS zählen, den „Trans Exclusionary Radical Feminists“, also den klassischen Feministen, die behaupten es gebe so etwas wie eine biologische Grundlage des Begriffs „Frau“. Die lesbische AfD-Vorsitzende und die von ihm gehasste Parteigenossin Sahra Wagenknecht spielen in dem Tweet offenbar die Rolle von zusätzlichen ideologischen Markern.
Auch der Karlsruher Grünen-Politiker Benjamin Bauer sieht in Feministinnen wie Schwarzer die Anstifter hinter Nuradi A.
„Auf der Straße“, so Bauer gleich im Plural, „werden trans Personen zu Tode geprügelt. Im Netz legen TERFs & Rechte für diesen Hass das ideologische Fundament. Gesellschaft & Staat müssen diesem faschistoiden Pack den Kampf ansagen.“
In diesem Sing-Along-Stil packten noch eine ganze Reihe anderer aus dem politisch-medial-aktivistischen Block die immergleichen Textbausteine von den klassischen Feministinnen und rechten Journalisten als wahren Anstiftern von Münster in ihre Tweets.
Beispielsweise Jasper Steinlein, Journalist für die Tagesschau:
Oder Eric Schwebke, Mitarbeiter des Bundesfamilienministeriums:
Und Katja Diehl, die speziell beim WDR immer wieder als Verkehrs- beziehungsweise anti-Auto-Expertin auftreten kann, die sich aber auch mit einer ganz ähnlichen intellektuellen Redlichkeit um diejenigen kümmert, die in Münster ihrer Analyse nach mitgeschlagen hätten: „TERFs und EMMA sind Täter:innen“.
Die Journalistin Annika Brockschmidt erweitert den Kreis noch etwas aus „alle Politiker und Journalisten“, die nicht so über die Anliegen der Transgender-Lobby schreiben, wie die es wünscht. Schon alle Journalisten, die beispielsweise die Biologin Vollbrecht gegen abstruse Vorwürfe verteidigen und/oder generell auf den Unterschied zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechterrolle bestehen, gehören für sie also offenbar zu den Mittätern.
Bei Brockschmidt handelt es sich übrigens um die Autorin eines in vielen deutschen Medien hochgelobten Buchs über Rechte in den USA. Durch die Nachfrage eines Journalisten stellte sich heraus, dass sie für das Buch gar nicht in den USA selbst recherchiert hatte. Trotzdem oder deswegen konnte sie im öffentlich-rechtlichen Funk als Amerikaexpertin auftreten, und es drängt sich die Frage auf, ob ihr stilistisch verquollener Gesinnungsaufsatz wirklich besser geworden wäre, wenn sie dafür die Vereinigten Staaten betreten hätte.
Leser dieses Mediums äußern ab und an die Kritik, der Autor würde sich zu oft mit mediokren Figuren beschäftigen. Die Beschäftigung gilt allerdings nie der Figur, sondern der Wirkung, wenn viele davon sich vereinigen. Personen, die in Parteien, Ministerien, Redaktionen und Talkshows sitzen, üben zusammen eine Macht aus, die sie als Einzelfiguren mit ihren Möglichkeiten nie erreicht hätten.
In diesem Fall geht es ihnen darum, jede Kritik an ihrer Geschlechterdoktrin zur Vorstufe eines Verbrechens zu erklären. Und eigentlich nicht nur die Kritik, sondern schon die Weigerung, diese Doktrin wortwörtlich nachzubeten.
Was sofort ins Auge fällt, ist der Unterschied im Umgang dieser Kräfte mit dem Mord und Mordversuch an zwei schwulen Männern im Oktober 2021 in Dresden. Damals handelte es sich um den gezielten Anschlag eines aus Syrien stammenden IS-Anhängers, der gerade erst aus dem Gefängnis entlassen, aber nicht abgeschoben worden war. Sein Tatmotiv, so gab er nach seiner Verhaftung zu Protokoll, habe darin bestanden, „Schwule zu betrafen“. Das politisch-medial-aktivistische Bündnis begriff damals sofort, dass sich der Fall beim besten Willen nicht für ihre Agenda ausschlachten ließ. Bemerkenswert viele Medien erwähnten damals den schwulenfeindlichen Hintergrund der Tat nicht. Niemand machte damals irgendwelche Hintergrundschuldigen aus, obwohl sich ja mindestens die Frage stellte, warum jemand, der schon wegen islamistischer Terrorplanung im Gefängnis gesessen hatte und von den Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft wurde, weiter in Deutschland bleiben durfte. Schon gar nicht meinten Kommentatoren aus den öffentlich-rechtlichen Medien, Ministerien und Parteien, radikalislamische Organisationen oder der Islam ganz grundsätzlich trügen die eigentliche Schuld an dem Mord und dem Mordversuch.
Praktisch alle Medienberichte und Botschaften des Twitterkommentariats zu dem Tötungsfall in Münster nennen das Opfer Malte C. dagegen prominent, oft illustriert mit seinem Porträt. Viele Twitterer schickten Malte C. einen „rest in pride“-Gruß hinterher. Erst im Kontrast zur medial-politischen Behandlung des Anschlags von Dresden zeigt sich für jeden, der es sehen will, wie wenig es den Steinleins, Schwebkes und anderen um das Opfer geht. Genannt wird ein Opfer, wenn es sich postum für eine Agenda verwerten lässt. Sonst nicht.
An der Reaktion auf die Tötung von Malte C. in Münster fällt auch auf, dass hinter den ‘wahren’ Tätern, also Vollbrecht, Schwarzer, Weidel und laut Merkur sogar Putin der Tatverdächtige Nuradi A. fast verschwindet.
Die Behauptung, ein 20-jähriger Lagerarbeiter mit tschetschenischen Wurzeln wäre durch Marie-Luise Vollbrechts Vortrag über Zackenbarsche, Alice Schwarzers „EMMA“ und eine Handvoll nichtlinker Journalisten zum Transsexuellenhasser radikalisiert worden und habe deshalb auf ein Opfer eingeschlagen, das äußerlich gar nicht als Transgender erkennbar war, ist so augenscheinlich stumpfsinnig, dass sich die Frage stellt, warum Politiker und andere öffentliche Personen sie trotzdem aufstellen.
Wenn sie nach dem Mord in Dresden das Opfer nicht nennen, kaum auf das Tatmotiv eingehen und nicht weiter nach dem ideologischen Antrieb des Täters fragen – was ja sonst unweigerlich zu der Frage hätte führen müssen, warum der deutsche Staat islamistische Organisationen sogar über verschlungene Wege mitfinanziert – dann dient das der Diskussionsverhinderung. Und zwar durchaus erfolgreich. Es handelt sich um eine Retusche der Realität, die vielen Mediennutzern und Wählern nicht auffällt, weil sich die meisten ganz selbstverständlich an dem Bildausschnitt orientieren, der ihnen präsentiert wird, und sich nur wenige fragen, ob möglicherweise ein wichtiges Element fehlt.
Mit der Behauptung, Vollbrecht, Schwarzer und überhaupt alle, die nur von zwei biologischen Geschlechtern ausgehen, hätten in Münster mitgeschlagen, verhält es sich etwas anders. Sie ist offensichtlich dumm und lächerlich. Aber das Dumme und Lächerliche, in Endlosschleife wiederholt, verdrängt die Rationalität und zerstört die gesellschaftliche Fähigkeit zur rationalen Debatte. Daran gibt es offenbar bei etlichen ein Interesse. Außerdem handelt es sich um eine Machtdemonstration, wenn ein Ministeriummitarbeiter, ein Grünen-Politiker, ein Tagesschaumitarbeiter und andere einen offenkundigen Widersinn verbreiten und trotzdem in ihren Positionen bleiben können. Bestimmte Behauptungen dienen gar nicht dazu, andere von irgendetwas zu überzeugen, sondern dazu, die eigene Fähigkeit zur beliebigen Wirklichkeitsverdrehung vorzuführen. Für diese Technik gilt der Satz Alexander Solschenizyns: „Wir wissen, sie lügen. Sie wissen, sie lügen. Sie wissen, dass wir wissen, sie lügen. Wir wissen, dass sie wissen, dass wir wissen, sie lügen. Und trotzdem lügen sie weiter.“