Tichys Einblick
Lebensferne Öko-Lobby

Lobbyistenfantasien statt Fakten

Bestände werden geschätzt und nicht gezählt. Biber und Wildkaninchen, längst Stadt- und Landplage, stehen auf der Vorwarnliste; der Wolf wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft, obwohl er in vielen Gegenden zu einer Bedrohung der Weidetiere geworden ist. Und die Gentechnik ist böse.

imago/MiS

In der vergangenen Folge ging es um das Medienmärchen von den aussterbenden Bienen – während gleichzeitig die Zahl der Bienenvölker auf der ganzen Welt wächst. Man verwechselte einfach Wildbienen und Nutzbienen. Ähnlich geht man vor, wenn die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten aufgestellt wird.

Für die deutschen Roten Listen wurden die Einstufungskriterien nämlich gegenüber der ursprünglichen, der internationalen Roten Liste (IUCN-Liste) kurzerhand verändert. Die IUCN-Liste schreibt für die Gefährdungseinstufungen 1 bis 3 (CR, critically endangered; EN, endangered; VU, vulnerable) eine bestimmte Abnahmerate für die jüngsten zehn Jahre vor, zusammen mit einer maximalen Größe des Verbreitungsgebiets und einer bereits unterschrittenen Individuenzahl. Die deutsche Rote Liste verzichtet auf solch objektiv messbare Kriterien, es genügen fantasievolle Meinungen vermeintlicher Experten.

Es ist bekannt, dass Bestandszählungen bei vielen Tierarten nur schwer durchführbar sind. Die IUCN-Liste beschränkt sich deshalb auf halbwegs nachprüfbare Kriterien. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) spiegelt für viele Zusatzkriterien vor, diese wären genau zu erheben, aber letztlich sind es nur wortreiche Schätzungen von Naturschutz-Lobbyisten, denen besorgniserregende Zahlen durchaus zupasskommen.

Alle Tiere, die in Deutschland seit 1492 heimisch waren oder sind, gelten
als „heimische Art“. So fand auch der um 1500 hier ausgestorbene Auerochse (Bos taurus Linné, 1758) seinen Weg in die deutsche Rote Liste, Kategorie „0“, „ausgestorben“.

Im Jahr 2000 gab es in Deutschland nur ein Wolfsrudel, 2017 mindestens 60. Die Zahl der Wölfe und der Wolfsrisse nimmt stark zu, die Tiere breiten sich aus, gefährden die ökologisch eigentlich erwünschte Weidetierhaltung. Trotzdem ist der Wolf nach der deutschen Roten Liste in der höchsten Gefährdungsstufe „1“, „vom Aussterben bedroht“, also vergleichbar mit der IUCN-Listeneinstufung „critically endangered“.

Weltweit gelten nach der IUCN-Liste Wolf, Biber und Feldhase als „ungefährdet“ („least concern“). In der deutschen Roten Liste trägt der Feldhase eine „3“ für „gefährdet“, die Roten Listen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt führen den Feldhasen sogar als „stark gefährdet“. Biber und Wildkaninchen stehen auf der „Vorwarnliste“, dabei machen sich viele Menschen eher Sorgen wegen der starken Zunahme dieser Tiere, die zur Land- und Stadtplage zu werden drohen. Allein 156 778 Wildkaninchen wurden im Jagdjahr 2016/17 geschossen.

Den Medien werden dubiose deutsche Gefährdungseinstufungen gern als „Arten mit dramatisch abnehmenden Beständen“ verkauft. Die Unterschiede der deutschen Listen zur internationalen Roten Liste werden in der Regel verschwiegen. Auch immer mehr Bioweidetierhalter erkennen an den drastisch gestiegenen Wolfsrissen und der Beunruhigung der Herden, dass sie von Politikern mit praxisuntauglichen „Kompromiss“-Vorschlägen einer Ideologie geopfert werden.

Nicht jede ausgestorbene Art ist ein bedauernswerter Verlust. Wäre die Malariamücke nicht regional ausgerottet worden, würden noch mehr Kinder sterben. Das Bundesumweltministerium folgt derweil einem anderen Dogma: „Wir können auf kein Geschöpf verzichten, weil wir uns damit letzten Endes selbst gefährden.“

Zwei Tiere, ein Rudel

Der Wolf liefert ein weiteres Beispiel für die im BfN und dem Bundesumweltministerium gepflegte Zählweise. 2017 gab es einen Streit zwischen dem Landwirtschafts- und Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, und der Präsidentin des dem Umweltministerium unterstehenden BfN, Beate Jessel, über die Anzahl der in Deutschland derzeit lebenden Wölfe. Backhaus, der von einem Problem spricht, präsentierte Schätzungen, nach denen rund 650 Wölfe in Deutschland leben. Jessel warf Backhaus vor, er könne seine Zahl nicht beweisen; sie sprach von 150 bis 160 Tieren und meinte, sie „wissenschaftlich“ belegen zu können.

Dabei geht es aber ziemlich durcheinander: Diese 150 bis 160 Wölfe sollen nach Erhebung der Wolfsexperten des BMU (Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz; Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt, Standort Gelnhausen; Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung; LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland) rund 1.000 Weidetiere getötet haben. Gleichzeitig wurden Auswertungen von 2.000 Wolfslosungen in der Lausitz durch die Görlitzer vorgelegt. Denmnach sollen sich die Wölfe nur zu 0,8 Prozent von Nutz- und zu 99,2 Prozent von Wildtieren ernähren. Nach den Zahlen müsste ein Wolf also jeden Tag 625 Rehlein verspeisen.

Nach weiteren Angaben des BfN sollen „drei bis elf Tiere“ in einem Rudel leben, Welpen nicht mitgezählt. Nach der BfN-Zählung verteilen sich die „150 bis 160 erwachsenen Wölfe“ auf 60 Wolfsrudel plus 13 Wolfspaare und drei sesshafte Einzelwölfe. Nach Zählweise des BfN leben also circa 126 Wölfe in 60 Rudeln, das sind zwei Wölfe pro „Rudel“. Dabei sollen doch „drei bis elf Tiere pro Rudel“ leben. Die Jägerschaft ist da wohl näher dran. Sie rechnet mit 1.000 Wölfen. Wer Einheimische gegen ihren Willen zu einem Zusammenleben mit unerwünschten Tieren zwingen will, muss sich nach feudalen Strukturen seines Gesellschaftsverständnisses fragen lassen.

Verpönte Gentechnik

1984 beherrschte die „rote Gentechnik“ (für medizinische Zwecke) die Schlagzeilen. Mancher erinnert sich noch an die trickreiche Behinderung der Produktion von Gen-Insulin beim Pharmakonzern Hoechst durch den hessischen Umweltminister Joschka Fischer. Dieser Umgang mit Genehmigungen führte zum rasanten Niedergang des Pharmastandorts Deutschland, samt Abwanderung des Wissens.

Bis 1998 waren die Grünen gegen den Einsatz jeder Gentechnik, egal ob für die Entwicklung von Medikamenten, Waschmitteln, Vitaminen, Wasserklärung oder anderen biotechnologischen Verfahren. Das war zu einer Zeit, als bereits immer mehr Genmedikamente Leben retteten. Nur ein Jahr später, 1998, wurde in den Verhandlungen zur Bildung der ersten rot-grünen Bundesregierung aus der bisher rabiat abgelehnten roten, weißen und grauen Gentechnik ein fördernswertes Zukunftsprojekt!

Im Koalitionsvertrag 1998 wurde gelobt: „Die neue Bundesregierung wird die verantwortbaren Innovationspotenziale der Bio- und Gentechnologie systematisch weiterentwickeln.“ Und: „Die modernen Methoden der Bio- und Gentechnologie sind in der Grundlagenforschung und angewandten Forschung weltweit etabliert, ihr Einsatz in der Medizin, wo sie die Entwicklung und Produktion neuer Impfstoffe und Medikamente ermöglichen, findet wachsende Akzeptanz.“ Nur die grüne Gentechnik durften die Grünen 1998 als identitätsstiftendes Feindbild behalten.

Eine neue Wende zeichnet sich nun laut Beschluss des Bundesvorstands der Grünen vom 6. April 2018 mit diesen Worten ab: „So sprechen wir Grünen uns gegen Genveränderungen bei Lebensmitteln aus, sollten aber noch einmal hinterfragen, ob bestimmte neue Technologien nicht helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch dort zu garantieren, wo der Klimawandel für immer weniger Regen oder für versalzenen Boden sorgt.“

Die neue Parteispitze will das Feindbild „grüne Gentechnik“ überprüfen? Tatsächlich könnte man in Zeiten der Genscheren-Technologie unter Naturwissenschaftlern mit dem alten Popanz Wähler verschrecken. Aber gerade jetzt, wo das Ilse-Aigner-Beschwichtigungs- label „ohne Gentechnik“ immer mehr Anhänger gewinnt?

Vielleicht setzt sich tatsächlich ein gewisser Pragmatismus durch. Die Angstmacher aus der wissenschaftlichen Kampagnen-Zulieferindustrie und viele Journalisten sollten sich jedenfalls fragen, ob sie sich bei der Sache nicht langsam in die grünen Büsche schlagen sollten, wohin schon die Wendehälse in Sachen roter, grauer und weißer Gentechnik abgetaucht sind. Die Geschichte des Widerstands gegen die Gentechnik ist ein weiteres Zeichen für die Ideologieanfälligkeit dieser Gesellschaft.


Georg Keckl ist gelernter landwirtschaftlicher Betriebshelfer und Gutsverwalter. Der Agraringenieur arbeitet als Agrarstatistiker, hat eine Kolumne bei der Fachzeitschrift „DLZ“ und ist Co-Autor von „Don’t Go Veggie! 75 Fakten zum vegetarischen Wahn“.

Die mobile Version verlassen