Tichys Einblick
Carsten Linnemann

Mit der Ampel gegen die AfD

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will mit der Ampel beim Asylkompromiss zusammenarbeiten - um zu verhindern, dass die AfD das Thema belegen kann. Das ist nicht nur naiv, sondern führt auch die Rolle der Opposition ad absurdum.

Zehn Jahre ist die AfD nun alt, doch die Union hat die Frage immer noch nicht beantwortet: wie mit ihr umgehen? Mal bemüht sie sich darum, die Wähler zurückzuholen, die sich als verlorene Schafe nur übergangsweise verirrt hätten; mal diffamiert man nicht nur die Partei, sondern auch ihre Wähler. Die Verzweiflung ist groß und geboren aus dem schwierigen Spagat, sich zwischen Wählerpotenzial und Machtoptionen entscheiden zu müssen. Beispiele wie Berlin zeigen hingegen, dass man zu Wahlzeiten die alten Plakate und Banner herauskramt, um den Nimbus der „alten CDU“ zu beschwören, nur, um ein paar Tage nach der Wahl das Dirndl zugunsten des Dragqueen-Kostüms abzulegen.

Die Union knabbert bereits seit Jahren an der Frage, was und wer sie eigentlich ist. Unter Merkel konnte sie sich damit begnügen, dass sie die Regierungs-, die Kanzler-, ja: die Merkelpartei war. Sie ordnete sich diesem Image unter. Aber Kanzlerwahlvereine haben es schwer, wenn sie nicht mehr den Kanzler stellen. Und besonders schwer haben sie es, wenn das Kanzlererbe im Grunde nicht mit Wahlerfolgen zu vereinen ist. In den Schröder-Jahren stand die Union im Schatten des Altkanzlers Helmut Kohl und später im Schatten jener Spendenaffäre, in die er verwickelt war. Nur der Bruch mit dem Übervater, den Angela Merkel forcierte, sicherte der Union das Überleben. Ein ähnlicher Befreiungsschlag fehlt auch zwei Jahre nach der Bundestagswahl.

Aus dieser verzwickten Lage hat bisher Carsten Linnemann sein Potenzial als „Hoffnungsträger“ bezogen. Was mit Merz scheiterte – die Abwicklung der Merkel-Jahre und eine neue Kursausrichtung – sollte Linnemann wenigstens korrigieren. Es ist ein bemerkenswertes Zeichen, dass ausgerechnet die Wirtschaftsvereinigung der Mittelständler in der Union derzeit massiv gegen Merz schießt: denn Linnemann war jahrelang Vorsitzender der MIT. Es ist ein deutliches Zeichen, dass selbst mit der Benennung von Linnemann zum Generalsekretär die Hoffnungen schwinden, dass diese CDU noch fähig ist, die von Merkel gestellte Falle zu verlassen: dass auf Merz ein Hendrik Wüst folgen könnte, und damit das Merkellager die langfristige Ausrichtung der Union bestimmt, ist nicht ausgeschlossen.

Eigentlich sollte Linnemann einen solchen GAU verhindern. Und eigentlich hätte man von einem Generalsekretär erwartet, nach der zahnlosen Czaja-Zeit in die Vollen zu gehen, um einen klaren Kurs zu nuancieren. Immerhin stehen in Hessen Landtagswahlen bevor. Allerdings ist der Koalitionspartner ein Grüner. Und nicht nur dort scheint man Rücksicht zu nehmen. In den vergangenen Tagen hat sich sogar abgezeichnet, dass auch die Merz-Linnemann-Union sich lieber im Boot der „Demokratischen Parteien“ zusammen mit den Linksradikalen wähnt, bevor sie versucht, die eigenen Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Deswegen muss ein Vertreter der Mittelstandsunion mit Merz und Merkel abrechnen – aus der Führung ist wohl niemand dazu bereit.

Generalsekretär sind Wadenbeißer der Politik. Linnemann geht dagegen jetzt auf Kuschelkurs. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung bietet er der Ampel offen an, sich mit Angriffen auf die Bundesregierung zurückzuhalten. Der „konstruktiven Zusammenarbeit“ wegen. Das Interview firmiert unter dem Titel „Kommt, wir setzen uns einen Tisch“, was im Geiste schon an Gesetzesvorschläge wie das „Gute-Kita-Gesetz“ erinnert.

Die Motivation Linnemanns ist dabei sogar nachzuvollziehen: er will einen Asylkompromiss wie 1993 über die Parteiengrenzen hinweg. Doch damals war eine schwarz-gelbe Regierung an der Macht, keine rot-grün-gelbe. Unter diesen Voraussetzungen ist es eher Wunsch, denn Wirklichkeit, dass auch dieses Mal die Zuwanderung eingehegt werden könnte. Linnemann argumentiert dabei parteipolitisch: die Diskussion nütze nur der AfD, man müsse daher ihr das Thema geradezu wegnehmen. Wie das unter einer Bundesinnenministerin Nancy Faeser funktionieren soll, steht in den Sternen. Ausgrenzungsstrategien machen blind für die Unterschiede untereinander.

Muss man der CDU/CSU nach 16 Jahren erklären, was die Aufgabe der Opposition ist? Sie muss konstruktive Vorschläge und Rezepte haben für den Fall der Regierungsübernahme. Eine konstruktive Kritik ist durchaus erwünscht. Aber ihr eigentliches Anliegen muss sein, die Fehler der Regierung aus- und aufzuarbeiten sowie Gegenkonzepte vorzulegen. Ihre Aufgabe ist nicht die Kooperation, sondern die Korrektur – ähnlich, wie Journalismus nicht die Aufgabe hat, die Regierungsarbeit zu begleiten, sondern sich als Korrektiv der Regierung zu verstehen. Stattdessen erweckt die CDU neuerlich den Eindruck, dass sie in Vorbereitung zur nächsten Regierungsübernahme bereits jetzt mit den Grünen flirtet.

Dazu passt, dass Linnemann auch den CDU-Vordenker Andreas Rödder abgekanzelt hat. Rödder, früher Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, hatte im Hinblick auf die AfD von „falsche Brandmauern“ gesprochen. Im selben Interview machte Linnemann klar: „Andreas Rödder spricht nicht für die CDU.“ Das ist mehr als eine Düpierung. Wer den sozialdemokratischen Kontrahenten in Talkshows auf nahezu lästige Weise „Kevin“ nennt, aber einen der eigenen Strategen abkanzelt, der setzt Akzente.

Eine deutlichere Abgrenzung und ein klares Gegenprogramm, wie es sich eine ganze Reihe von Christdemokraten wünscht, bleibt damit auf der Strecke. Es ist dieser mangelnde Entscheidungswille und der Merkel-Mehltau („Schmodder“) den die Mittelstandsunion so sehr beklagt. Dieses Mal auch von ihrem einstigen Vorsitzenden betrieben. Das ist bitter. Möglicherweise kann die CDU sich noch einmal mit der Bundesregierung zusammensetzen, um zu lernen und um Unterstützung gegen die AfD bitten. Vielleicht gibt es bei der Ampel ja auch einen besseren Oppositionsführer als bei der Union?

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