Für manche Autoren bietet der Vorschlag von Rabatten auf die Einkommenssteuer für ausländische Fachkräfte eine Abwechslung: Statt sich an dem hohen Anteil von Ausländern unter den Empfängern von Bürgergeld abzuarbeiten, haben sie es jetzt mit Fachkräften zu tun. Das bedeutet aber auch, dass die Abwechslung gar nicht so willkommen ist. Denn sie erfordert Differenzierung und bietet kein schnell dahingeschossenes Kracherl, mit dem sich eigene Interessen ankurbeln lassen.
Viele werden es nicht gern hören: Deutschland braucht Einwanderung. 5,3 Millionen Ausländer sind laut Statistischem Bundesamt in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 1999 waren es nur 1,8 Millionen Ausländer. Die Tendenz ist weiter steigend. Ohne ausländische Arbeitskräfte bräche in Deutschland vieles zusammen. Da sind noch nicht mal diejenigen mitgezählt, die einen Migrationshintergrund haben.
Wer sich aus seinem jeweiligen politischen Lager löst, kann das Dilemma beim Thema ausländische Fachkräfte durchaus lustig finden. Denn hier beweisen die Kritiker von Rechts Doppelstandards. Sie werfen Linken oft zurecht vor, dass diese den Staat vergötterten. Vor allem dann, wenn sie – wie jüngst Monitor – nicht erhobene Steuern als Verzicht dieses Staates verstehen. So, als ob dem Staat 100 Prozent an Steuern zuständen und alles darunter ein Geschenk an den Bürger sei. Doch genau diese Logik wenden rechte Kritiker an, wenn das Reizwort ausländisch im Raum steht. Sie tun so, als ob der Staat Einnahmeausfälle durch die Rabatte an Fachkräfte hätte. Das Gegenteil ist richtig.
Eingewanderte Fachkräfte erwirtschaften zusätzliches Geld auch für den Staat. Zwar nicht so viel wie nach den gängigen Steuersätzen, aber halt eben doch mehr, als wenn sie gar nicht erst nach Deutschland kämen. Und das auch nur anfangs. Nach drei Jahren zahlen sie ja die vollen Steuersätze. Zwischendrin und darüber hinaus erfüllen sie wertvolle Arbeit, die sonst unerledigt bliebe: sei es in der Pflege, der Medizin, im IT-Bereich, in der Architektur, im Ingenieurwesen. Mehrere europäische Länder, darunter die Niederlande, praktizieren ein ähnliches Modell mit Erfolg.
Die Idee für Deutschland kommt von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterstützt sie. Das erste Mal überhaupt zeigen sich also die beiden Juniorpartner des Kanzlers einig in der Beschreibung eines Problems und im Weg, dieses Problem zu lösen. Das wäre an sich schon ein Wert. Darüber hinaus bedeutet der Vorschlag einen Paradigmenwechsel in der Politik der Ampel: Statt Anreize für eine Einwanderung in die Sozialsysteme wollen die beiden Juniorpartner Anreize schaffen, Arbeitswillige und Arbeitsfähige nach Deutschland zu locken. Das Ziel ist schon mal durchaus richtig.
Am Konzept hat nun ein namhafter Vertreter der Kanzlerpartei Kritik geübt: Arbeitsminister Hubertus Heil. Auch der neue rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer sieht es kritisch. Heil will lieber ausländische Fachkräfte durch schnellere Visavergaben anlocken, und indem ihre Ausbildungen in Deutschland flotter und häufiger anerkannt werden. Sinnvoll. Durchaus. Nur erschließt sich nicht, warum nicht beides nebeneinander umgesetzt werden sollte.
An der Stelle rächen sich die bisherige Kommunikation, vor allem aber die tatsächliche Politik der Bundesregierung. Das gilt nicht nur für die Ampel, sondern davor auch für die Große Koalition unter Angela Merkel (CDU): Die verschiedenen Bundesregierungen haben so getan, als ob mit der unkontrollierten Einwanderung eine gezielte Einwanderung in den Arbeitsmarkt stattgefunden hätte. Das stimmte aber nicht. An der gezielten Einwanderung von Fachkräften scheitert Deutschland sogar schon seit der Zeit von Kanzler Gerd Schröder (SPD). Lindner und Habecks Initiative sind nun ein Versuch, die gezielte Einwanderung von Fachkräften hinzubekommen.
Nun sind die Steuern für alle Arbeitnehmer in Deutschland fraglos zu hoch. Nur Belgien kennt höhere, wie jüngst wieder ein Vergleich aufführte. Doch die Debatte zeigt, wie destruktiv die politische Kultur hierzulande mittlerweile geworden ist. Statt dafür zu kämpfen, eine bessere Steuerpolitik zu erhalten, stürzen sich Kritiker darauf, umworbenen Fachkräften einen Rabatt zu verweigern. Frei nach dem Lebensmotto aller Neider: Es ist mir egal, wie wenig ich habe, solange mein Nachbar nur noch weniger hat.
Mit dem Rabatt für ausländische Fachkräfte haben Lindner und Habeck nun den richtigen Weg eingeschlagen. Die ungleiche Behandlung ist ohne Zweifel problematisch, auch weil sie ein Einfallstor ist, durch das Demagogen durchpassen. Deswegen muss eine allgemeine Steuersenkung damit einhergehen. Des gesellschaftlichen Friedens wegen. Dafür haben Lindner und Habeck aber definitiv den falschen Koalitionspartner. Das Richtige nicht tun zu wollen, weil sich das Falsche vorerst nicht ändern lässt, ist aber kein besonders gutes Argument.