Tichys Einblick
Friedrich-Naumann-Stiftung

Liberale, die (Diskurs-) Freiheit fürchten? Oder: Im Zweifel gegen die Freiheit

Dem Zeitkritiker Gunnar Kaiser wird seitens der Friedrich-Naumann-Stiftung vorgeworfen, ein rechter Verschwörungstheoretiker zu sein. Sie will ihm deshalb keinerlei Plattform mehr bieten. Nach zahlreichen Protesten meldete sich nun Vorstand Karl-Heinz Paqué in einem Gastbeitrag für die WELT zu Wort und rechtfertigt den Rauswurf.

© Zenza Flarini/shutterstock

Aufgrund der Corona-Restriktionen bietet auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung ihre Veranstaltungen digital an. Am 3. Dezember konnte man per Zoom an einer Diskussion zum Thema „Intoleranz, Debattenkultur und Cancel Culture“ mit dem stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki und der Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“ Svenja Flaßpöhler teilnehmen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Gunnar Kaiser, einem der beiden Initiatoren des „Appells für freie Debattenräume“, der sich gegen die inzwischen auch in Deutschland um sich greifenden Versuche, bestimmte Meinungen und Positionen aus dem öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskurs zu verbannen, richtet. Vermutlich der Grund, warum er von der Naumann-Stiftung als Moderator angefragt und beauftragt wurde.

Bestrebungen und Beispiele der Verbreitung einer entsprechenden „Cancel Culture“ in Politik, Medien und Wissenschaft standen nämlich auch im Zentrum der Veranstaltung und wurden dort vor allem von Kubicki anhand seines neuen Buchs über „MeinungsUnfreiheit“ und das damit verbundene „gefährliche Spiel mit der Demokratie“ anschaulich dargelegt. Flaßpöhler stimmte Kubickis Kritik zum Beispiel an der einseitigen Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien über Themen wie Migration, Klimawandel und neuerdings auch die Corona-Pandemie überwiegend zu, zeigte zugleich aber auch Verständnis für die Kräfte, die zum Beispiel befürchteten, eine offene Berichterstattung über die problematischen Seiten der Migration könnten die Fremdenfeindlichkeit befördern.

Im Zweifel gegen die Freiheit
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Gunnar Kaiser tat in der Veranstaltung das, was ein professioneller Moderator gelernt hat. Er verhielt sich selbst weitgehend neutral, griff Äußerungen der beiden Diskutanten auf und versuchte, deren unterschiedlichen Sichtweisen herauszuarbeiten und durch Zuspitzungen zu verdeutlichen. Darüber hinaus brachte er Fragen und Positionen mit ein, die Teilnehmer der Veranstaltung schriftlich per Chat äußern konnten. Anders als in den meisten Talkshows der öffentlich-rechtlichen Medien hielt sich der Moderator in dieser Veranstaltung mit seiner eigenen Meinung erkennbar zurück und schlug sich auch weder auf die Seite von Kubicki noch von Flaßpöhler noch von beteiligten Teilnehmern. Damit trug er entscheidend mit zur hohen Qualität der Veranstaltung bei und zeigte, dass professionelle Moderation bei politisch strittigen Themen zumindest außerhalb der öffentlich-rechtlichen Medien noch nicht völlig auf verlorenem Posten steht.

Umso überraschender war rund zwei Wochen nach der Veranstaltung gewiss nicht nur für mich die Nachricht, Kaiser dürfe in Zukunft keine Veranstaltungen der Naumann-Stiftung mehr moderieren. Als Begründung erfuhr die interessierte Öffentlichkeit per Tweet: „Wir haben die Person Gunnar Kaiser aus gegebenem Anlass sehr intensiv überprüft und müssen zur Kenntnis nehmen, dass Herr Kaiser mit rechtspopulistischem und verschwörungstheoretischem Gedankengut arbeitet.“ Der „gegebene Anlass“ war wiederum der Tweet eines Teilnehmers, der Kaiser vorwirft, er sei politisch „quer abgebogen und nach rechts so weit offen, dass man einen Flugzeugträger darin parken könnte“ – und dies wohl mit der Forderung verband, ihn seitens der Naumann-Stiftung nicht mehr moderieren oder sprechen zu lassen.

Dieser Forderung ist die Naumann-Stiftung nicht nur nachgekommen, sondern hat sie seitens ihres Vorsitzenden Karl-Heinz Paqué in WELT online vom 18. Dezember inzwischen auch ausführlich begründet, nachdem dort wie auch anderswo der Rauswurf von Kaiser deutlich kritisiert worden ist. Bemerkenswerterweise geht es dabei in keinster Weise um Kaisers Leistungen und Verhalten bei der fraglichen Veranstaltung, sondern um Analysen und Meinungen, die der Lehrer für Germanistik und Philosophie über das Internet öffentlich macht. Kaiser betätigt sich nebenberuflich nämlich keineswegs nur als Moderator, sondern vor allem als Zeitkritiker, der es mit seinen Blogs und Videos mittlerweile zu einem recht beachtlichen Bekanntheitsgrad gebracht hat. Dieser wird sich durch den Rauswurf seitens der Naumann-Stiftung nun gewiss noch weiter steigern.

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Kaiser wird sich deswegen über die Entscheidung der Naumann-Stiftung, einen Moderator nicht wegen schlechter Moderation, sondern wegen anderer Dinge nachträglich mit öffentlicher Ankündigung zu feuern, vermutlich eher freuen als ärgern. Dass die Naumann-Stiftung nicht einfach, nachdem sie ihn nachträglich „intensiv überprüft“ hatte, entschied, ihn gleichsam still und heimlich zu entsorgen, indem er einfach nicht mehr eingeladen wird, macht deutlich, wie wichtig es ihr offenkundig ist, jenen Kräften in der FDP und deren Umfeld ein öffentliches Signal zu senden, die fürchten, Kaiser könne als ein Zeitkritiker wahrgenommen werden, der den Liberalismus verteidigt, unabhängig davon, ob er sich selbst so überhaupt verorten würde. Sie sollen erkennen, dass die FDP der von Kaiser vorgetragenen Zeitkritik keinerlei Plattform bieten möchte.

Paqué bezeichnet Kaiser in seinem Artikel für die WELT daher als Verschwörungstheoretiker, der gerade keine „liberale Gesellschaftskritik“ übe. Er begebe sich zum Beispiel in seiner Kritik an der Corona-Politik niemals „auf die Ebene des konkreten pandemischen Befundes“ und klammere „die ethische Zwangslage einer Triage“ systematisch aus. Stattdessen bette er „seine Sicht der Dinge in einen größeren Zusammenhang“ ein, was ihn zum Verschwörungstheoretiker mache. Er sehe sowohl bei der Corona-Pandemie wie der Klimakrise „ein Kartell von Großkonzernen, Technokraten, Wissenschaftlern und internationalen Agenten wie dem Weltwirtschaftsforum, der Bill- und Melinda-Gates-Stiftung und der Weltgesundheitsorganisation am Werk, die sowohl die Demokratie als auch die Marktwirtschaft aushebeln wollen – zugunsten einer Diktatur samt Planwirtschaft, die zur allgemeinen politischen Unterjochung und wirtschaftlichen Verarmung führt.“

Als Belege für diese Behauptungen verweist Paqué zum einen auf ein Interview, das die russische Nachrichtenagentur Sputnik News mit Kaiser geführt hat, sowie auf ein Video, das er selbst erstellt und veröffentlicht hat, in dem es um die Selbstvernichtung einer afrikanischen Stammesgesellschaft mittels Geisterbeschwörung geht. In dem Interview kolportiert er unter anderem selbst eine „Verschwörungstheorie“, die besagt, der Westen werde systematisch von den russischen und chinesischen Kommunisten unterwandert, zersetzt und schließlich übernommen. Der Interviewer weist darauf hin, dass Kaiser es in einem Vorgespräch zur Bedingung gemacht hat, diese Theorie in einem Interview mit einem russischen Nachrichtensender zum Besten geben zu dürfen und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass Sputnik News diese Theorie, die sich weder er noch Kaiser in dem Interview zu eigen machen, ertrage. Auf diesen Kontext weist Paqué indes nicht hin, sondern unterstellt Kaiser, er teile diese Theorie.

Mit dem Video über den afrikanischen Stamm will Kaiser offenbar mittels eines allegorischen Vergleichs vor der wirtschaftlichen Selbstvernichtung der westlichen Industrienationen aufgrund des Klimawandels warnen. Sie liefen mit ihrer Klimapolitik Gefahr, sich aufgrund irrationaler apokalyptischer Angstmacherei und dem (Heils-)Versprechen, durch weniger Markt- und mehr Planwirtschaft und mehr Verbote und Überwachung ließe sich die Apokalypse abwenden, sich ihrer wirtschaftlichen Grundlagen und ihres Lebensstils zu berauben. Darin ähnelten sie dem afrikanischen Stamm, der all seine Rinder tötete, die von einem bösen Zauber befallen sein sollten. Auch dies wertet Paqué als einen Beleg für Kaisers verschwörungstheoretischen Denkansatz.

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In dem Interview wie in dem Video präsentiert Kaiser sich in der Tat als jemand, der seine zeitkritischen Analysen in einer Flughöhe ansiedelt, die Gefahr läuft, an Bodenhaftung zu verlieren und spekulativ-assoziative Bezüge herzustellen, denen der empirisch-wissenschaftliche Unterbau weitgehend abgeht. Dabei handelt es sich freilich um eine Déformation professionelle, die nicht nur den philosophischen Zeitkritiker Kaiser auszeichnet. Sie ist nachgerade ein Merkmal philosophisch inspirierter Zeit- und Gesellschaftskritik, die gerne in großen Zusammenhängen und Linien denkt und dabei Wirkmechanismen insinuiert, die meistens empirisch nicht nachzuweisen sind. Diese können dann mehr oder weniger weit hergeholt sein.
Gleichzeitig zeichnet sich diese Art von Zeit- und Gesellschaftskritik aber dadurch aus, dass sie sich nicht im Klein-Klein der empirischen Wissenschaft verliert und den Blick für größeren Zusammenhänge öffnet. Statt den Bäumen wird der Wald stärker ins Visier genommen. Wenn dies zudem auf einem hohen Reflexionsniveau geschieht, ist eine solche Art von Zeit- und Gesellschaftskritik, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, überaus wichtig und bereichernd. Oswald Spengler und Ernst Jünger waren und sind für die Kritik an der Moderne deswegen ebenso von Bedeutung wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, obwohl auch sie gerne Wirkzusammenhänge thematisieren, die sich hinter dem Rücken der Menschen abspielen und von daher auch verschwörungstheoretisch interpretiert werden können.

Gunnar Kaiser gehört gewiss nicht in diese Gewichtsklasse von Zeit- und Gesellschaftskritikern und würde sich selbst wohl auch nicht dort verorten. Er ist mit deren Analysen und Kritiken aber gut vertraut und versucht, mit ihrer Hilfe die Krisen der Gegenwart besser zu verstehen und zu kritisieren. Dass er damit öffentlichen Erfolg hat, scheint selbst die Naumann-Stiftung inzwischen so sehr zu beunruhigen, dass sie es für ratsam hält, sich an einem Vorgehen zu beteiligen, das in den USA schon länger betrieben und dort als „Deplatforming“ bezeichnet wird. Der öffentliche Diskurs soll nicht mehr frei, sondern gelenkt vonstatten gehen, indem bestimmte zeitkritische Positionen einfach ausgeklammert werden. Einer Stiftung, die auf ihrer Website bemängelt, die Freiheit habe „keine gute Konjunktur im Deutschland dieser Tage“, stünde es hingegen gut an, sie würde Gunnar Kaiser das nächste Mal nicht als Moderator, sondern als Zeitkritiker einladen. Dessen „Verschwörungstheorien“ könnte dann zum Beispiel Karl-Heinz Paqué als Counterpart in einem offenen Disput entlarven.

Vor so viel (Diskurs-)Freiheit fürchtet sich offensichtlich aber nicht nur die Naumann-Stiftung, sondern auch Teile der FDP. Mit einer „Operation Heuss“ wird aus deren Umfeld inzwischen im Internet versucht, den Rauswurf des „Verschwörungstheoretikers“ Kaiser mit weiteren, überaus selektiven Belegen zu rechtfertigen. Über den Eifer, mit dem gegen ihn seitens einer Naumann-Stiftung und der FDP inzwischen Stimmung gemacht wird, kann man sich nur wundern. Sollte er in deren Umfeld doch von mehr Personen als interessanter Gesellschaftskritiker und nicht als rechter Verschwörungstheoretiker gesehen werden, als es Paqué und anderen recht ist?

Eine Antwort auf das denunziatorische und im Stile von Verschwörungstheoretikern gehaltene Video der „OperationHeuss“ zu Gunnar Kaiser gibt es übrigens auch schon. Dieses widmet sich Zitaten von Friedrich Naumann:

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