Tichys Einblick
Hungerstreik vor dem Kanzleramt

Ohne Eskalation schläft die Letzte Generation ein

Die Aktionen der Letzten Generation finden mittlerweile unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ein Hungerstreik vorm Kanzleramt soll das ändern. Doch genau der zeigt auf, vor welch schweren Entscheidung die Extremisten stehen.

Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick (2.v.l) spricht während einer Pressekonferenz im Hungerstreik-Camp des Bündnisses «Hungern bis ihr ehrlich seid»

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Harald Schmidt hatte seine große Zeit zu Beginn des Jahrhunderts. Immer wieder sprengte er die Grenzen des Showgeschäfts im Fernsehen: Mal hielt er eine ganze Sendung auf Französisch, dann moderierte er mit dem Rücken zum Publikum oder veranstaltete eine Lange Nacht des Radios, in der außer einem Radio-Apparat nichts zu sehen war. Doch es war der Meister selbst, der vor dieser Strategie warnte: Wer mit Provokationen arbeite, müsse permanent einen oben drauf legen, sonst langweilten sich die Zuschauer schnell. In der Harald Schmidt Show kam der Punkt, als der Moderator ein Rheinschiff mietete und von dort mehrere Stunden gepflegte Langeweile sendete.

Das Rheinschiff der Letzten Generation hat vor dem Kanzleramt angedockt. Dort sind zwei ihrer Extremisten in den Hungerstreik getreten. Einer davon ist der Ingenieur Wolfgang Metzeler-Kick, genannt Wölli. Sie campen auf einer Wiese im Spreebogenpark, sammeln Unterschriften und laden die Presse zu Aufnahmen ein. Denn ohne Bilder in den Medien gibt es keine Letzte Generation.

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Mit dem Zeltlager vor dem Kanzleramt wollen sie Olaf Scholz (SPD) unter Druck setzen. Der Kanzler solle in Sachen Klimakatastrophe endlich die Wahrheit sagen. Scholz. Die Wahrheit. Der Mann, dem immer dann pünktlich das Gedächtnis aussetzt, wenn es um seine Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal geht. Undankbare Zielperson. Undankbarer Ort. Denn eigentlich campiert die Letzte Generation nicht vor dem Kanzleramt, sondern vor der Schweizer Botschaft. An der müssen sie schräg vorbeischauen, um Scholz ins Visier zu nehmen.

Die Letzte Generation ist in die zweite Reihe gerückt. Ein Symbolbild. Nichts will mehr so klappen, wie zu der Zeit, als das Kleben auf der Straße noch eine echte Provokation war. Die Stadt gewährt ihr zwar den Platz im Regierungsviertel, aber halt nur mit gebührendem Abstand zum Kanzleramt. Die Medien spielen nicht mehr so richtig mit. Die Berliner Morgenpost berichtet zwar von dem Camp, setzt aber den Text links unten auf. Für Unkundige: Das ist der Platz, auf den Zeitungs-Redaktionen Gefälligkeitsartikel setzen, von denen sie selber wissen, dass das so recht keinen Leser interessiert.

Und erst recht die Bürger. Sie regen sich nicht mehr über die Letzte Generation auf, seitdem die nicht mehr die Straßen blockieren. Etwa jüngst in Karlsruhe. Dort demonstrierte die Letzte Generation in einem Gewerbegebiet vor einem Autohaus. An vergleichbaren Lokalitäten haben schon Sänger wie Roy Black oder Rex Gildo ihre Karrieren ausgehustet. Die Letzte Generation hängt Plakate auf mit dem üblichen Sermon: Klima, Katastrophe und nach dem letzten Jahr, dem wirklich letzten Jahr, dem allerletzten Jahr und dem dieses mal ehrlich allerallerletzten Jahr ist dieses Jahr und so weiter.

Aktionstag am Samstag, 16. März
Die Letzte Generation holt zum großen Schlag aus – oder zum letzten
Die Polizei hat mittlerweile Routine mit der Letzten Generation. Wenn keine Politiker von SPD, Grünen oder CDU die Extremisten unter ihren Schutz stellen, haben die Einsatzkräfte die ganze Szenerie schnell geräumt. Für Aufläufe sorgt das nicht mehr. Gerade mal sechs Extremisten nehmen an der Aktion in Karlsruhe teil, berichten die Badischen Neuesten Nachrichten. „Obwohl die Aktion im Bereich einer großen Kreuzung, an der am Samstag üblicherweise viele Menschen unterwegs sind, stattfand, habe es nahezu keine öffentliche Resonanz gegeben“, zitiert das Blatt die Polizei.

Die Resonanz soll zurück zur Letzten Generation. Deswegen das Camp im Spreebogenpark. Doch auch das sorgt nur für müdes Interesse. Einige Passanten bleiben stehen auf dem belebten Weg vom Reichstag zum Berliner Hauptbahnhof. Manche unterschreiben einen Brief an Olaf Scholz. Klima, allerletzte Chance, radikaler Umbruch der Wirtschaft nötig und so weiter. Die Extremisten überprüfen die Unterschriften nicht. Ab und an kommen Journalisten vorbei, um den Platz links unten im Innenteil der Zeitung mit der Aktion zu füllen.

Wölli sitzt unterdessen auf einer der Parkbänke. Seine Wangen sind erstaunlich prall für einen Mann, der angeblich seit Wochen im Hungerstreik ist. „Manchmal ist er schlecht gelaunt“, sagt eine der Extremistinnen. Ein schlecht gelaunter Linker als Drohkulisse, um einen radikalen Umbruch der Wirtschaft zu erzwingen. Das ist wie eine Ehefrau, die angepisst ist, weil die Klobrille wieder oben ist. Natürlich will das keiner – aber das ist noch lange kein Grund, im Sitzen zu pinkeln. Geschweige denn, auf Wohlstand zu verzichten.

Einen erfolgreichen Hungerstreik gab es in Deutschland in den 70er Jahren. Erfolgreich, wenn man bereit ist, die kranken Maßstäbe seiner Betreiber zu akzeptieren. Es war der Terrorist Holger Meins, der sich in seiner Zelle in Stuttgart-Stammheim zu Tode gehungert hat. Die letzten Bilder von ihm zeigen einen wirklich vom Hunger entstellten Mann.

Für die RAF waren diese Bilder wertvoll. Die Kampagne über die vermeintliche Folter an den Gefangenen brachte der Terrororganisation Zulauf wie nie davor und wie auch nie mehr danach. Ihr Chef, der Meister des kranken Zynismus, Andreas Baader wusste das und motivierte Meins zum Weitermachen. Letztlich trieb Baader seinen Genossen in den Tod, weil der als Märtyerer wertvoller war denn als Mitgefangener. Extremismus und Provokationen erfordern Eskalationen, sonst nutzen sie sich ab.

Ungehorsam und unbeachtet
Die Letzte Generation im Niedergang
Zu Wölli kommt fast jeden Tag eine Ärztin. Anders als Meins verzichtet er auch nicht auf Nährstoffe, die ihn am Leben halten. So sind die Wangen voll und nur die Laune schlecht. Jetzt macht Wölli aber auch nicht den Eindruck, als wenn er nach einem üppigen Tofu-Brätling ein gut gelaunter Mensch wäre. Er wirkt eher wie jemand, den der permannte Widerspruch zermürbt zwischen seiner überragenden Intelligenz und der mangelnden Bereitschaft der Restwelt, diese zu akzeptieren.

Die Letzte Generation verzichtet auf das Klimakleben. Aus verschiedenen Gründen: Es finden sich immer weniger Freiwillige, die auch bereit sind, in den Knast zu gehen. Der Organisation droht die Einstufung als Kriminelle Vereinigung. Dann wäre jede Teilnahme, etwa an der im Camp, schon ein Verbrechen, das mit Knast bestraft werden könnte. Und da die Ampel und der Verfassungsschutz sich vorgenommen haben, schon die Gedanken von Rechten unter Strafen zu stellen, können sie nur noch schwerlich Grün-Linke schützen, die jeden Tag das Gesetz brechen.

Die Letzte Generation sitzt also in der Harald-Schmidt-Falle: Sie muss aus den genannten Gründen deeskalieren. Doch um weiter in den Medien zu bleiben, um weiter Anhängerschaft zu mobilisieren, müsste sie eigentlich eskalieren. Extremisten, die mit vollen Wangen hungern, wirken aber einfach nicht. Die Letzte Generation steht daher jetzt an einer Kreuzung: Entweder wird sie vernünftig, verzichtet auf Eskalation, schläft dann aber leise ein. Oder sie eskaliert. Aber dann gibt es Tote.

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