Als Liberaler habe ich in vielen Beiträgen die Maxime vertreten, die Politik solle nach einer antiken ärztlichen Maxime «in erster Linie nicht schaden», auf Latein «primum nil nocere». Bei genauerer Betrachtung ist diese generelle Anweisung doch zu simpel. Wer entscheidet, muss in vielen Fällen auch etwas riskieren und: «Wer allzu viel bedenkt wird wenig leisten» (Schiller). Man kann ein komplexes Verhalten nie durch eine einzige Maxime «steuern», und mein Hinweis auf das Primat der Schadensvermeidung bzw. Schadensminderung ist wohl deshalb zu eindimensional.
Das ist der Irrtum der sturen Konservativen und jener Naturrechtler, die den Begriff Natur allzu biologisch deuten. In der «Natur des Menschen» steckt eben recht viel kulturelle Überlieferung. Der Mensch ist nicht, was er «isst», sondern das Resultat einer jahrtausendealten Überlieferungskette, deren Fortsetzung wir nicht kennen.
Die Corona-Krise ist schlimm, die Reaktionen weltweit wahrscheinlich eine Mischung von Adäquatem und Übertriebenem, und das müssen wir jetzt als Freunde der Freiheit kritisch und unaufgeregt erforschen, rückblickend die richtigen Fragen stellen, die befriedigenden Antworten finden, die besten Schlüsse ziehen und dann mit der notwendigen Mischung von Selbstbewusstsein und Demut kommunizieren. Dies soll ohne Anklagen und Aggressionen auf jene erfolgen, die Vieles falsch gemacht haben, aber eben ohne das Wissen, über das man stets erst hinterher verfügt. Hätten wir, die jetzt nachträglich viele Punkte kritisieren, denn alles «richtig gemacht»? Es geht jetzt, frei nach Jacob Burckhardt, nicht darum, aus der Geschichte «klug für das nächstemal, sondern ein bisschen weiser für immer» zu werden.
Robert Nef ist konsequent liberales Schweizer Urgestein.