Fast könnte man meinen, wir Deutschen haben die andauernde Unbehaglichkeit verdrängt. Inzwischen fällt es zunehmend schwerer, alle Missetaten um uns herum zu erfassen, zu verarbeiten, abzuspeichern. Zu viele Messerstechereien, zu viele Streitereien unter Jugendlichen, zu viele Kleinlaster, die in Menschenmengen gelenkt werden, zu viele Beziehungstaten, die mit toten Frauen enden, von allem zu viel. Die Aufregung, die Beklemmung flammt, vielfach jedenfalls, nur noch kurz auf. Ein kleiner Hungerschub der Nerven nach dem täglichen Adrenalin, aber die Wartezeiten zwischen den Dosen werden immer kürzer. Was vor wenigen Monaten noch für eine Dauerkakophonie der Schlagzeilen gesorgt hat, wird heute besorgniserregend schnell nach unten durchgereicht. Besonders böse Zungen behaupten dann, Medien würden den Platz freihalten wollen für den nächsten Wahnsinn. Kann schon sein. Die heftigen Ausbrüche der Gestörten sind irgendwie zeitlos geworden, warum also viel Zeit damit verschwenden, sich zu echauffieren?
Trotzdem, schaden könnte es nicht, manche Themen mit einem Klecks vom Dauerkleber zu versehen, um sich jeden Tag zu erinnern, mit welchen Unwägbarkeiten wir konfrontiert werden. Wer will schon gänzlich abstumpfen? Die Gleichgültigkeit würde dazu führen, dass wir im Fatalismus versänken. Der ehemalige Leibwächter von Bin Laden, der nur unter A. firmiert, ist nun so ein Thema. Der Tunesier, der bei der Ergreifung seines Chefs offenbar frei hatte, darf nicht in sein Heimatland abgeschoben werden. Weil ihm, nicht bewiesen, Folter drohe. Nach dem derzeit gültigen Asylbewerberleistungsgesetz stehen ihm reguläre Hilfeleistungen zu. Monatlich sind das knapp 1.170 Euro. Es überrascht nicht, dass der Typ ein schlimmer Finger ist.
Ohnehin geht von Personen, die eine Quasi-militärische Ausbildung in einem Terrorcamp abschließen und dann nach Europa zurückkehren, eine Bedrohung aus. Die Gefährlichkeit des Leibwächters speist sich aber zusätzlich aus seiner religiösen Autorität, die er bei seinen Apologeten genießt. Sicherheitsbehörden sind sich einig, dass er diese Stellung benutzt, um Anhänger zu radikalisieren. Mehrere Versuche, ihn auszuweisen, scheiterten. A. ist, so viel ist bekannt, nämlich gut darin, unser Rechtssystem zu seinen Gunsten zu nutzen. Auch wenn man ihm daraus keinen Vorwurf stricken kann, macht die Chuzpe, mit der er sich seinen Abschiebungen widersetzt, stutzig. Würde A. von Bin Laden, gäbe man ihm Sprengstoffgürtel, Messer oder Kleinbus, dafür sorgen, dass diese Dinge zum Einsatz kämen? Er ist jedenfalls nicht einmal ansatzweise bereit, moralische Werte unseres Zusammenlebens zu übernehmen, der Gesellschaft dienlich zu sein oder, wenn er schon keine besonders große Hilfe für sie ist, wenigstens keine Belastung darzustellen.
Ob die Kenntnisse von A. der deutschen Sprache ausreichen, um Gesetze, Anweisungen und Regeln zu verstehen, darf bezweifelt werden. Eine unter solchen Zeitgenossen inzwischen übliche und gerne zur Schau getragene Verachtung für unsere Freiheit ist fast schon obligatorisch, aber die Justiz in seinem Sinne zu bemühen, ist nicht unter seiner Würde. Das System, das er also so vehement bekämpft, reicht ihm die Mittel für diesen Feldzug. Vergegenwärtigt man sich, welche Kosten seine Klagewelle verursacht – wer will da noch reinen Gewissens behaupten, dass es nicht eine gewisse Symbiose zwischen „Schutzsuchenden“ und Rechtsvertretern gäbe?
Jene Zusammenarbeit wird, wenn auch nur indirekt, gespeist durch moralische Fragen, die in den Zeiten der Bedrohungen inzwischen nicht mehr richtige oder falsche Antworten kennen können. A. würde bei Ausweisung, so haben es Gerichte im feinsten Juristendeutsch beschieden, „nicht auszuschließenden Repressalien“ entgegen sehen. Tunesien ist in solchen Fällen wenig zimperlich, Islamisten landen entweder vor dem Erschießungskommando oder in den Händen eines Folterknechtes. Niemand darf jedoch dorthin überstellt werden, wo eine dem deutschen Recht in Grundlagen zuwiderlaufende Rechtsprechung herrscht. Die Quintessenz: Deutschland wird, so lange es diesen Grundsatz nicht zur Diskussion stellt, stets sicheres Rückzugsgebiet all derer sein, die bomben, quälen, morden.
A., Bodyguard von Bin Laden, ist beileibe kein Einzelfall, auch die Begründung für die nicht durchgeführte Abschiebung liest sich bei vielen Seinesgleichen immer gleich: Weil Deutschland das Wohl eines einzelnen höher bewertet als die Sicherheit seiner Bürger, die darin wohnen, finden Justiz und Politik zu schwer vermittelbaren Entscheidungen. Oder drastisch ausgedrückt: Denen, die über unser Leben bestimmen, scheint es völlig wurscht zu sein, ob jemand von uns demnächst einem Anschlag zum Opfer fallen. Weil sie einen schützen wollen, der sein Leben dem Terrorismus verschrieb und wusste, worauf er sich einließ. Weil sie ihn mit falsch verstandener Rücksichtnahme vor den Konsequenzen seines Handelns schützen wollen.
Das alles mag von den Paragraphen und Absätzen der ihnen zugrunde liegenden Gesetztestexte gedeckt sein. Es mag einigen Politikern als willkommene Ausrede dienen, nicht zu tun, weil ihnen Vorschriften und Grundsätze die Hände binden würden. Wenn aber diese Regularien ein Durchgreifen verhindern, sollten, nein, müssen sie geändert werden! Und das können sie auch. Es sind nämlich keine Naturgesetze. Sondern von Menschen gemachte.