Tichys Einblick
Bananen für Schüler

Legastheniker: Opfer ideologischer Bildungspolitik

Legastheniker wird man durch das Umfeld: klingt bekannt, oder? Bildungspolitische Ideologen versündigen sich an Legasthenikern. Bundeskompetenz würde das überall kodifizieren.

Laut aktueller Presseberichte will die Union die Schulen von „Bund und linker Bildungspolitik“ fern halten. Besonders die CSU beharrt auf der Bildungshoheit der Länder. Das ist gut so: „May the force be with you“!

Warum das so ist, möchte ich am Beispiel des Umgangs mit Legasthenie verdeutlichen. Legasthenie (oder auch Lese-/Rechtschreibstörung) ist eine Behinderung, welche die Umsetzung von gesprochener in geschriebene Sprache betrifft. Trotz oft hoher Intelligenz (eine mindestens durchschnittliche ist Voraussetzung der Diagnose) und unermüdlichen Übens ist es den Kindern nicht möglich, auf normalem Weg Lesen und/oder Schreiben zu lernen; für sie sind Wörter „Buchstabensalat“, bei dem die verflixten Dinger auch gerne mal aus der Reihe tanzen. Die medizinische Forschung konnte diese Behinderung eindeutig mit bildgebenden Verfahren nachweisen, dabei wurde deutlich, dass die normalerweise beim Lesen und Schreiben aktivierten Gehirnareale bei den Betroffenen kaum, dafür andere stärker aktiviert werden. Die auditiven und visuellen Wahrnehmungssignale, die das Lesen- und Schreibenlernen ermöglichen, werden im Gehirn nicht so verarbeitet wie üblich, was bei manchen Legasthenikern dazu führt, dass sie Texte dann recht flüssig lesen können, wenn man diese auf den Kopf stellt. Früher nannte man Legasthenie „Wortblindheit“, was sie sehr gut beschreibt, denn sie ist eine Art partielle Blindheit, ähnlich der Farbenblindheit.

Relativ gesichert ist, dass es polygenetische Ursachen dafür gibt, mittlerweile grenzt die Forschung die in Frage kommenden Chromosomen ein. Betroffen sind geschätzt 4 – 8 % der Schüler, d. h. zwischen 30.000 und 60.000 Kinder in Deutschland. Als Folge der Legasthenie kann z. B. das Arbeitstempo verlangsamt sein und die Schreibrichtigkeit ist beeinträchtigt.

Schleswig-Holstein war 1985 das erste Bundesland, das Legastheniker in der Schule berücksichtigte

Grund war eine sehr engagierte Elternschaft, unterstützt durch eine ehemaligen Lehrerin, die aufgrund des Leidens betroffener Schüler zusätzlich Psychologie studierte und intensiv die Möglichkeit erforschte, Legasthenikern zu helfen. Ergebnis dieser Forschung ist die Methode des Kieler Lese-Rechtschreibaufbaus, mit welcher betroffene (aber auch alle anderen) Kinder besser und gezielter Lesen und Schreiben lernen können. Diese Methode wurde weiter entwickelt, es gibt umfangreiche, medizinisch abgesicherte Forschung in diesem Bereich. Die anderen Bundesländer folgten nach. Legastheniker erhielten Hilfsangebote, Nachteilsausgleich und ihre Rechtschreibung wurde nicht benotet. Alles war auf einem guten Weg.

Dann schlug „das Imperium“ zurück

Die Pädagogik schaffte es, Legasthenie als ein „soziales Konstrukt“ zu etablieren, es handelte sich sozusagen um die Geburtsstunde der sozialen Konstrukte. Anlass für diese Einordnung war der korrekte Befund, dass überdurchschnittlich viele sozial Schwache Legastheniker sind. Dies sollte der eindeutige Beweis dafür sein, dass es ein rein soziales Problem sei. Man ist kein Legastheniker, man wird durch das Umfeld dazu gemacht (klingt bekannt, oder?). Nun drängt sich der naheliegende Gedanke auf, dass die Kausalkette genau umgekehrt sein könnte, denn es gibt (s. o.) eine genetische Komponente, d. h. in Familien, in denen Legasthenie vorkommt, werden Kinder mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls davon betroffen sein. Wer aber nicht oder nur schlecht lesen und schreiben kann, hat beruflich wenig Chancen, das führt zu sozial schwachen Verhältnissen, die sich dann replizieren. Diesen Teufelskreis könnte man durch gezielte (!) Förderung und Ermöglichung von schulischen und beruflichen Chancen durchbrechen. Könnte man, muss man aber nicht. Nun gibt es einige Legastheniker, die bzw. deren Elternhäuser nicht sozial schwach sind, bekannte Beispiel sind Albert Einstein, Bill Clinton sowie das schwedische Königshaus. Wissenschaftlich betrachtet wäre damit die These, dass es sich um ein soziales Konstrukt handele, widerlegt. Aber für viele Pädagogen zeigt dies nur, dass die Eltern sich für etwas Besseres halten und schlicht nicht einsehen wollen, dass ihre Kindern unfähig sind. Dies belege geradezu die These des sozialen Konstrukts, denn die Eltern wollen, dass ihre Kinder Berufe ergreifen, arbeiten, es besser haben als die sozial schwachen Legastheniker. So viel zum Thema linke Bildungsideologie.

Linke Bildungsideologie

Wäre es nicht so traurig, wäre es fast schon lustig. Natürlich lässt man sich sein Weltbild auch nicht von wissenschaftlich-medizinischer Forschung kaputt machen, was PET Scans aussagen oder fMRI ist völlig egal. Wenn die IQ-Tests weit überdurchschnittliche Intelligenz beweisen, kümmert auch das in keiner Weise. Fakten, Vernunft zählen nicht. In der Folge wurden alle speziell auf diese Behinderung zugeschnittenen schulischen Maßnahmen zurückgefahren, Legastheniker werden in einen Topf geworfen mit wenig begabten Kindern oder solchen, bei denen Deutsch Fremdsprache ist. So hilft man ihnen nicht, im Gegenteil.

Damit fiel Deutschland international gesehen zurück. Andere Länder setzen die wissenschaftlichen Erkenntnisse um, helfen und fördern die Betroffenen mit gutem Erfolg – Deutschland nicht. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Bayern bevölkerter Landstrich hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand entgegen zu setzen.

Sonderfall Bayern

In Bayern wird bei entsprechenden Hinweisen der Schulpsychologe eingeschaltet, es wird abgeklärt, ob Legasthenie vorliegt oder sonstige Ursachen die Probleme verursachen. Wird Legasthenie diagnostiziert, dann legt der Schulpsychologe fachlich abgesichert und für die Lehrkräfte verbindlich fest, welche Nachteilsausgleiche als Kompensation für die Behinderung im konkreten Einzelfall erforderlich sind. Außerdem bekommt das Kind sogenannten Notenschutz, d. h. die Rechtschreibung wird nicht bewertet. Das ist eine faire Lösung, keiner bekommt eine „Freifahrkarte“ und kann simple Leistungsschwäche auf eine angebliche Behinderung schieben.

Höchste Zeit zur Entbürokratisierung
Gerechtigkeit treibt Komplexität, die der Wohlfahrt schadet
Dem betroffenen Kind wird eine schulische Laufbahn entsprechend seinen intellektuellen Fähigkeiten ermöglicht inklusive Abitur, gerne auch mit „1“. Keiner hat einen Schaden, alle einen Nutzen, vor allem vor dem Hintergrund, dass auffallend viele Legastheniker spezielle Fähigkeiten in stark nachgefragten Berufen besitzen wie Physik, Luft- und Raumfahrttechnik, überhaupt der MINT-Bereich und dort Herausragendes leisten. Im Studium ist Legasthenie kein Problem, denn den Universitäten ist nur wichtig, dass ein Student sein Fach beherrscht, ansonsten gibt es die Rechtschreibkontrolle des Schreibprogramms. Leider knickt auch Bayern zunehmend ein und neigt dazu, dem Mainstream zu folgen. Tut es nicht, Bayern, bleibt stark! Denn ihr wollt nicht das bekommen, was im Rest der Nation üblich ist.

Üblich ist nämlich, dass die Kinder als Folge der unzureichenden Beschulung, des andauernden Versagens trotz hoher Anstrengungen und der Ausgrenzung ernsthaft krank werden. Sie bekommen Depressionen, Angstzustände bis hin zur Schulverweigerung und alle psychosomatischen Beschwerden, die man sich vorstellen kann. Diese Erkrankungen sind so schwer, dass sie als sekundäre seelische Behinderung qualifiziert werden, die zu einer Teilhabestörung führt und das Jugendamt auf den Plan ruft.

Schule schiebt Legastheniker zum Jugendamt

In Zahlen ausgedrückt: Längsschnittstudien haben erwiesen, dass Kinder, die im Kindergartenalter noch gesund, munter und voll integriert waren, im Alter von 8 Jahren mit 43,2 % und im Alter von 13 Jahren mit 44,1 % signifikant häufiger psychische Störungen aufweisen. Ungefähr 70 – 80 % aller Legastheniker erleiden als Folge der Beschulung eine derartige zusätzliche Behinderung. Das Jugendamt leistet dann das, was die Schule eigentlich müsste, es sorgt für eine Legasthenie-Therapie. Das bedeutet, dass ausgebildete Fachleute den Kindern Lesen und Schreiben mit Methoden beibringen, die nachgewiesener Maßen (!) zielführend sind. Damit verbessern sich die Leistungen langsam (aber immerhin). Da aber das Jugendamt nicht für eine ordentliche Beschulung zuständig ist, sondern nur für die Teilhabestörung aufgrund der seelischen Behinderung, ist die Maßnahme zeitlich zu befristen. Dauerhaft wird den Kindern so nicht geholfen, allerdings wälzen die Kultusministerien auf diese Art erhebliche Kosten auf die Kommunen ab.

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Aufgrund der Beschulung werden zehntausende Kinder schwer krank!

Packen wir Butter bei die Fische und schauen uns mal ganz praktisch einen Fall aus dem wirklichen Leben an: Ein kleiner Junge kommt in die Schule, Eltern Akademiker. Er wirkt intelligent und aufgeweckt,  hat aber Probleme beim Lesen und Schreiben, wird zunehmend gehänselt von Mitschülern, aus dem Verhalten der Lehrkräfte wird klar, dass sie ihn für dumm und faul halten. Die Eltern lassen ihn untersuchen und finden heraus, dass er Legasthenie hat, dabei aber höchstbegabt (IQ deutlich über 130) ist, wenden sich an die Schule und glauben, damit seien die Probleme gelöst. Dem ist mitnichten so, denn es werden keine „Extrawürstchen“ gebraten. Für niemanden, sie sollten sich bloß nicht denken, sie seien etwas Besseres. Wo käme man denn da hin! Dem Kind geht es immer schlechter, das Jugendamt zahlt befristet eine Legasthenie-Therapie.

In der 3. Klasse schneidet sich der Kleine in der Schule die Pulsadern auf. Er wird noch rechtzeitig gefunden, kommt ins Krankenhaus. Alle Ärzte gleich welcher Profession raten dringend, bei einer weiteren Beschulung die Behinderung zu berücksichtigen und den Kleinen nach Hause gehen zu lassen, wenn für ihn der Druck in der Schule zu stark wird. Sie warnen eindringlich vor den Konsequenzen. Die Schule und  die Landesschulbehörde verweigern eine Berücksichtigung der Behinderung, sie verweigern auch ein vorzeitiges Verlassen der Schule mit Hinweis auf ihre Aufsichtspflicht. Zwar wäre der Heimweg nur kurz und sehr sicher gewesen, aber so etwas ginge grundsätzlich nicht. Die Eltern müssen ihr Kind also in die „Folterkammer“ schicken, denn das ist die Schule für ihren Sohn. Nach einiger Zeit bricht er komplett zusammen, kommt in die geschlossene Psychiatrie. Dort wird er stabilisiert, muss weiter in Behandlung bleiben. Er ist so stark gesundheitlich beeinträchtigt, dass er unbeschulbar wird.

Am Anfang ein fröhliches, munteres und sehr begabtes Kind, dass absolut leistungswillig war. Am Ende ein gebrochenes Wesen, ohne Aussicht, sein Leben jemals selber gestalten zu können. Ist das der Sinn der Schulpflicht?

Legastheniker als Opfer des Rechtswegestaates

Ich habe die Geschichte im Zeitraffer erzählt, das Leiden zog sich über Jahre hin. In dieser Zeit haben die Eltern mehrfach verschiedene Gerichte um Hilfe angerufen. Vergeblich. Alles lief angeblich völlig richtig. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sah keinen Anlass einzuschreiten. Am Ende, als das Leben zerstört war, hat das BVerfG aber wohl doch noch ein ganz klein wenig ein schlechtes Gewissen bekommen. Die Eltern hatten gegen das Jugendamt auf Schadensersatz geklagt, weil die Legasthenie-Therapie ohne intensive Prüfung des Einzelfalls eingestellt worden war. Sie wurden durch alle Instanzen abgewiesen, inklusive Bundesgerichtshof. Da aber hatte das BVerfG ein Einsehen und hat die Amtshaftung des Jugendamts bejaht. Ein kleiner Triumph, der unglaublich bitter schmeckte. Die Schule als eigentlich Verantwortliche blieb jedoch unbehelligt.

Sie können natürlich sagen, so sei es nicht immer – das stimmt auch. Manchmal sind die Suizidversuche auch erfolgreich. Auch insoweit sind die Ergebnisse der Längsschnittstudie eindeutig.

Das Ausmaß an Leid ist mit Worten kaum zu beschreiben

Alles das ist kein Geheimnis, es ist in Schulen, der Kultusbürokratie, den kommunalen Jugendämtern und den Gerichten bekannt. Es haben sich schon vor Jahrzehnten Elternselbsthilfegruppen organisiert, es gibt sogar Elternvereine, die selber Legasthenie-Therapeuten anstellen, bei denen sie sicher wissen, dass diese gut und hochwertig ausgebildet sind. Eltern arbeiten ehrenamtlich, organisieren den aufwändigen Betrieb mit den Mitarbeitern, sorgen für Fortbildung und Elterninformation und sammeln Spenden für all die Kinder, deren Eltern sich die Therapie nicht leisten können und bei denen die Jugendämter nicht/nicht mehr zahlen. Sie sind so gut, dass sie anerkannter Träger der Jugendhilfe sind.

Lingua Reipublicae Foederatae
LRF vergiftet den Konsens in Deutschland
Die Lage ist in den 15 Bundesländern (ohne Bayern) unterschiedlich schlimm, gut ist sie nirgends. In Niedersachsen hatte der bei den Schulen und in der Kultusbürokratie verhasste Kultusminister Busemann (CDU) den betroffenen Kindern zeitweilig mehr Luft zum Atmen verschafft. So hatte er u. a. eine Schulinspektion eingeführt, welche die Qualität der Schulen kontrollieren sollte, was einer der Gründe war, weshalb er auf so viel Ablehnung stieß. Als es im Rahmen der Schulinspektion plötzlich positiv gewertet wurde, wenn Schulen auf die Probleme legasthener Schüler eingingen, entspannte sich die Lage kurzzeitig. Die Schulen veränderten ihr Verhalten, plötzlich konnten die betroffenen Schüler ihr Potential „auf die Straße“ bringen, sie waren gut! Das war mit der rotgrünen Regierung dann vorbei.
Mit dem Legastheniker wird umgegangen wie mit dem politisch Andersdenkenden

Die Gerichte waren anfangs noch hilfreich, so wurde Legasthenie als Behinderung anerkannt, denn Gerichte akzeptieren in der Regel medizinische Gutachten. Sie stellten auch fest, dass die betroffenen Kinder gem. Art. 3 GG einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, z. B. Zeitverlängerung haben, was im Verhältnis zu früher ein Fortschritt ist. Sie meinen aber, dass die Behinderung bei der Benotung nicht berücksichtigt werden darf, dieses sei gegenüber den nichtbehinderten Kindern ungerecht. Man kann nur hoffen, dass diese Rechtsprechung nicht ausgeweitet wird auf blinde, taube oder querschnittsgelähmte Schüler. Natürlich wird z. B. kein im Rollstuhl sitzender Schüler im Sportunterricht so benotet wie ein nichtbehinderter, das wäre absurd, aber bei Legasthenie ist die Absurdität Alltag. Das letzte Wort wird das BVerfG haben.

Methodisch erinnert das Vorgehen gegen Legastheniker, ihre Eltern und ihre Anwälte an die Vorgehensweise, wie man sie vom Umgang mit politisch Andersdenkenden kennt, nämlich Diffamierung jeder Art. Davon konnte auch die ehemalige Justizministerin Niedersachsens aus eigener, leidvoller Anschauung berichten. Nicht einmal die Gerichte schrecken davor zurück, so führte ein Oberverwaltungsgericht (OVG) aus, der Antragsteller möge sich doch fragen, ob er wirklich auf ein Gymnasium gehöre. Diese Entscheidung wurde veröffentlicht, sie wird bis heute von anderen Gerichte ständig zitiert. Nicht veröffentlicht wurde, dass es für diese Bemerkung sachlich keinerlei Anlass gab, denn sie betraf einen guten Schüler, der später auch ohne Hilfe des OVGs als Jahrgangsbester sein Abitur ablegte (Medizin hätte er allerdings aufgrund der Legasthenie nicht studieren können). Das aber wurde ebenso wenig veröffentlicht wie die Tatsache, dass er seitdem im Bereich „rocket science“ eine ziemliche Karriere hinlegt. Klar, liebes OVG – wer braucht schon solch „leistungsschwache“ Bürger …

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde (wieder einmal) nicht zur Entscheidung an

In Hessen gab es eine Junktim-Klausel, wonach Legastheniker ohne Teilnahme am  Förderunterricht keinen Nachteilsausgleich erhielten. Leider gibt es keine Qualitätsvoraussetzungen für diesen Unterricht, er muss also nicht helfen, er muss nur besucht werden. Was aber, wenn keiner angeboten wird? Pech für den Schüler, so der Hessische Verwaltungsgerichtshof.

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde auch in dieser Sache nicht zur Entscheidung an. Der betroffene Schüler ging direkt nach der Ablehnung durch das BVerfG in die Schweiz, wo er ebenfalls im naturwissenschaftlichen Bereich Karriere machte. Er will auch nicht mehr zurück in ein Land, dass ihn offenbar so verachtet und hasst.

Ist es womöglich verständlich, dass es eine Menge Eltern gibt, die sich fragen, warum man ungezählte Flüchtlinge ohne jede Qualifikation ins Land lässt, für die anscheinend Milliardenbeträge zur Verfügung stehen und zeitgleich so viele intelligente Kinder „verschrottet“, für die nie Geld da war?

Mit dem Legastheniker gehen Gerichte unmenschlich um

Auch Anwälte bleiben nicht ungeschoren. Verdienen kann man an diesen Fällen nichts, aber man kann seinen Ruf ruinieren, weil die Gerichte gerne mal behaupten, die gestellten Anträge seien alle falsch oder Ähnliches. Dieses rufschädigende Verhalten kann aber auch von Vorteil sein, denn in dem Eifer, die Sache „tot“ zu machen, gehen Gerichte manchmal doch zu weit. So weit, dass – man mag es kaum glauben – das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde annahm und ein OVG recht harsch zur Ordnung rief.

Das hatte u. a. entschieden, dass es keinen allgemeinen Notenschutz für Legastheniker gäbe, aber immerhin hatte es offenbar ein paar Magenschmerzen dabei. Also hat es „salomonisch“ entschieden, dass die Legasthenie bei der Bewertung der Rechtschreibleistung zwar nicht generell, aber individuell-konkret berücksichtigt werden müsse. Das BVerfG meinte, das OVG müsse dann aber auch kontrollieren, dass dies umgesetzt wird.

Klare Vorgaben, könnte man meinen. Kurz vor Weihnachten erhielt ich jedoch mittels Fax den ablehnenden Beschluss eines Verwaltungsgerichts zu genau diesem Thema. Es war ein Eilverfahren, dass bei Gericht seit dem Sommer schmorte, aber es musste natürlich dem betroffenen Kind als Weihnachtsgeschenk präsentiert werden, dass der Antrag, die Legasthenie bei der Bewertung individuell-konkret zu berücksichtigen, keine Aussicht auf Erfolg habe. Wen kümmert schließlich das BVerfG! Man hätte diesen Beschluss im neuen Jahr fassen können, oder – wenn man die Statistik der erledigten Verfahren für 2017 noch hätte verbessern wollen – den Beschluss mit der Post schicken. Aber nein, das Gericht hat sicher gestellt, dass das Mädchen ein verdorbenes Weihnachtsfest hatte. Honi soit qui mal y pense.

Der Rechtsstaat hilft nicht, wenn es ihn am meisten braucht

Am Beispiel der Legastheniker kann man sehr gut nachvollziehen, wie der Rechtsstaat seine Glaubwürdigkeit verloren hat. Viele Bürger meinen, dass er dann am wenigsten hilft, wenn man ihn am dringendsten braucht. Übrigens gelten die obigen Ausführungen ebenso für die parallele Behinderung Dyskalkulie, d. h. eine Rechenstörung ohne Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten.

Wieder eine Studie – und wieder nichts Neues
Deutschlands Grundschüler lesen nicht gut genug
Oft unbekannt ist, dass das Schulverhältnis rechtlich ein besonderes Gewaltverhältnis ist, wie das Rechtsverhältnis im Strafvollzug. Bis zum Strafgefangenen-Urteil des BVerfG (BVerfGE 33,1) wurde die Ansicht vertreten, dass Grundrechte in diesem Verhältnis gar nicht gelten. Nunmehr ist anerkannt, dass diese zwar im Prinzip gelten, aber aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können, wobei noch unterschieden wird zwischen Grund- und Betriebsverhältnis. Rein „interne“ Vorgänge im Betriebsverhältnis sind gar nicht justitiabel. Das scheint jedoch keinen zu beunruhigen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Grundrechte von Kultusministerien auch ohne Gesetz eingeschränkt werden. Und sie können sehr weitgehend eingeschränkt werden! Ein weiterer Aspekt ist, dass ein Schüler keine Ansprüche gegen den Staat hat. Jeder Sozialhilfeempfänger hat konkret einklagbare Ansprüche gegen den Staat, Schüler nicht. So kommt es zu den für Deutschland so typischen dissonanten Verhältnissen: Rüpel, die andere Schüler oder Lehrer bedrängen, kommen gut durch das System, gerne auch mit Hilfe von Gerichten. Rechtsfreie Räume sind immer nur für eine spezielle Klientel von Nutzen. Auch diejenigen, die sich auf der sozialen Hängematte ausruhen wollen, profitieren von diesem System. Aber diejenigen, die ordentlichen Unterricht haben wollen, sind rechtlos.
Diese Dissonanz ist Kern des deutschen Problems

Mehr Staat verschärft die Problematik. Der „Konsum“, die Supermarktkette der DDR, war flächendeckend verbreitet, die Qualität war flächendeckend schlecht. Die Bananen wurde zum Symbol für das, was es alles nicht gab. Das ist nun einmal das Ergebnis von staatlicher Zwangswirtschaft, mehr davon macht nichts besser, sondern schlechter. Der richtige Weg wäre eine Freigabe des Bildungsmarktes mit verstärkter Förderung von Privatschulen, die auch alternative, eigene Wege gehen können sowie Verteilung von Bildungsgutscheinen an die Eltern. So würden diese finanziell in die Lage versetzt, frei wählen zu können zwischen staatlichen und verschiedenen privaten Schulen, je nachdem, was für ihr Kind als beste Lösung erscheint. „Teile und herrsche“ müsste das Motto sein, dabei nicht aber an den Bund, sondern an die Bürger Macht abgeben.

So – und nur so – gäbe es auch Bananen für Schüler.


Annette Heinisch studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

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