Am Montag besuchte ich mit ein paar Freunden ein Schützenfest auf dem Dorf. Es wurde getrunken, getanzt, gesungen und gelacht. Und wie immer auf Schützenfesten galt auch hier: Je später der Abend, desto „schlechter“ die Musik. Ich schreibe „schlechter“ – als hätte ich nicht Arm in Arm mit meinen Freundinnen und Freunden im Zelt gestanden und mitgegrölt. Dass Ballermann-Musik oft niveaulos und gerade deswegen auch witzig ist, ist eigentlich nichts Neues. Von „Joana (du geile Sau)“ über „dicke Titten, Kartoffelsalat“ bis zu „Ich verkaufe meinen Körper“ – die Liste mit sexualisierten, anzüglichen Party-Schlagern ist lang und auch alt, wenn man an Klassiker wie „Skandal im Sperrbezirk“ denkt.
„Sexistisch“, „objektifizierend“, „aus der Zeit gefallen“ sei der Song „Layla“, der eine Puffmutter gleichen Namens besingt. Und die seit jeher spaßbefreiten Woke-Brigaden in der Presse springen sofort drauf an: Ein Kommentar im Tagesspiegel stellt fest, das Lied sei „sexistischer Unfug“ und würde „Frauen zu Objekten machen“. Die Berliner Zeitung veröffentlicht sogar direkt eine Liste mit weiteren „problematischen“ Liedern: „Diese Songs sollte niemand hören“. Im Netz ergießt sich derweil eine Welle der Gegen-Empörung. Das alles wirkt wie eine Debatte aus den Tiefen des Sommerlochs – und vielleicht ist es das auch. Aber die Empörung über die Zensur des Liedes ist echt: Die Deutschen laufen Sturm gegen das Verbot „ihres“ Sommerhits.
In einem Land, welches als Bordell-Hotspot Europas gilt, ist sie dazu auch noch verlogen: Schätzungen zufolge nehmen jeden Tag eine Million Menschen in Deutschland eine sexuelle Dienstleistung in Anspruch. Doch anstatt das zum Thema zu machen, wird lieber ein harmloser Song zum Thema skandalisiert. Ja: Das Lied ist komplett harmlos. Die bösesten Wörter im Text sind „Puffmama“ oder „Luder“ – beides liegt selbst unter dem Durchschnitt einer durchschnittlichen achten Klasse an deutschen Schulen, was Schimpfwörter angeht. Laut „Layla“-Macher DJ Robin huldigt der Songtext sogar eher einer starken Frau, als Sexismus zu befeuern. „Es geht bei dem Song nicht um eine Prostituierte, es geht um eine Puffmutter. Die passt auf die Prostituierten auf und leitet den Puff. Daher kommt in dem Lied kein Sexismus vor“, meint der Musiker gegenüber der Bild. Den hauptberuflich Empörten ist das freilich egal. Für die modernen Feministen ist Sexarbeit zwar „richtige Arbeit“ und wird als „Empowerment“ gesehen – aber singt man darüber, ist es falsch und frauenfeindlich.
Dass im Sommerloch eine solche Debatte hochkochen kann, ist wenig überraschend. Aber sie zeigt eben auch: Die Realität ist nicht Twitter und nicht die woke Redaktionsstube. Auf dem Schützenfest, welches ich am Montag besuchte, standen jedenfalls alle zusammen im Zelt – Männer und Frauen jeden Alters – und besangen die „wunderschöne Layla“.
Die kommt vielleicht sogar vom Sozialamt: Denn Sex gilt als Versicherungsleistung der Krankenkassen. Nach einem schweren Arbeitsunfall kann die Berufsgenossenschaft (BG) zur Kostenübernahme einer »Sexualassistenz« zur Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse schwerbehinderter Unfallopfer verpflichtet werden, entschied das Sozialgericht Hannover (Aktenzeichen: S 58 U 134/18 ). Sie könne im Rahmen eines persönlichen Budgets als Leistung zur sozialen Teilhabe gewährt werden, um »das gestörte seelische Befinden des Behinderten« zu verbessern und sein Selbstbewusstsein zu stärken, so die Richter weiter.