Nach Einschätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform werden bis Ende März nächsten Jahres etwa 800.000 Unternehmen in Deutschland überschuldet sein und dennoch weiter am Wirtschaftsleben teilnehmen. Das wäre jedes vierte Unternehmen. Schon jetzt sollen es 550.000 sein. Diese Unternehmen sind verdeckt überschuldet. Daher stellen sie eine große Gefahr für ihre Geschäftspartner dar. Der Grund: Sie sind gesetzlich nicht mehr verpflichtet, ihre Schieflage anzuzeigen und daher nicht gezwungen, ihr Problem zu lösen.
Diese Überschuldungslawine hat die Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre herbeigeführt. Seit der Finanzkrise 2008 sorgt sie durch Aufweichung der Insolvenzgesetzgebung dafür, dass überschuldete Unternehmen dies nicht anzeigen müssen und so ihre Geschäfte fortführen können. Damals ging es darum, Unternehmen vor der Pleite zu bewahren, die von der Finanzkrise und ihren Folgen in Schieflage geraten waren. Diese „weiche Regulierung“ wurde nach der Finanzkrise aus Angst davor, viele weiterhin überschuldete Unternehmen doch noch in die Insolvenz zu schicken, beibehalten. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie genügte im Überschuldungsfall eine positive Fortführungsprognose zur Weiterführung der Geschäfte. So hatte sich schon vor dem Beginn der Corona-Pandemie ein Sammelbecken geschwächter und überschuldeter Unternehmen gebildet.
In einigen Branchen und bei vielen Unternehmen ist die Corona-Pandemie zweifellos die Hauptursache für die rapide Aushöhlung der wirtschaftlichen Substanz. Die Betriebe kämpfen sowohl mit dem veränderten Konsumverhalten als auch mit den Folgen politischer Entscheidungen. Mit Blick auf letzteres lässt sich argumentieren, dass Unternehmen „unverschuldet“ in eine existenzielle Krise geraten sind, oft allerdings, weil sie in den zuvor guten Zeiten nicht die Substanz geschaffen haben, aus der sie in der Krise zehren könnten.
Corona-Hilfen für Zombieunternehmen
Entscheidend für das nun grassierende Überschuldungsproblem ist, dass mit der Insolvenzgesetzgebung ein regulatorischer Rahmen etabliert wurde, der es geschwächten und sogar überschuldeten Unternehmen seit mehr als einem Jahrzehnt erlaubt, sich dauerhaft über Wasser zu halten. Diese Unternehmen mussten nicht aufgeben. Ebenso wenig waren sie zu einer Sanierung oder Restrukturierung gezwungen. Die hätte sie genötigt, ein profitables Geschäftsmodell zu entwickeln, denn nur so wären Gläubiger in der Hoffnung auf künftige Entwicklungen bereit gewesen, auf Forderungen zu verzichten, oder neue Kapitalgeber zu finden gewesen. Andernfalls wären die Unternehmen endgültig gescheitert. Das Problem unprofitabler und überschuldeter Unternehmen mit defekten Geschäftsmodellen hat sich daher aufgestaut.
Eine härtere Insolvenzgesetzgebung hingegen hätte zweifellos das Ableben vieler Unternehmen bewirkt. Die in Deutschland ohnehin schwache und in Europa katastrophale wirtschaftliche Entwicklung seit der Finanzkrise 2008 wäre weiter geschwächt worden, eine handfeste Krise hätte ausgelöst werden können. Wegen der befürchteten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen eines solchen Massensterbens durften diese Unternehmen nicht untergehen.
Die durch die Corona-Krise in Schieflage gebrachten Unternehmen bilden nur die sichtbare Spitze dieses riesigen Eisbergs. Schon vor Beginn der Corona-Krise gab es nicht nur eine enorme Anzahl überschuldeter Unternehmen, die dank staatlicher Protektion vor dem Ableben geschützt waren. Hinzu kamen die vielen Unternehmen, die zwar noch nicht überschuldet gewesen waren, sich aber wegen jahrelanger Verluste auf dem Weg dorthin befanden. Ein Arbeitspapier der OECD kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland bereits im Jahr 2013 mehr als zwölf Prozent des Kapitalstocks in Zombieunternehmen gebunden war. Eine Untersuchung der unabhängigen Wirtschaftsauskunftei Creditreform ging davon aus, dass schon im Jahr 2016 – deutlich vor der Corona-Krise – etwa 15,4 Prozent der Unternehmen, also etwa jedes sechste, ein Zombie war. Unternehmen gelten als Zombies, wenn sie über mehrere Jahre keinen operativen Gewinn erzielt haben, der ausreicht, um die anfallenden Kreditzinsen zu bedienen. Diese Unternehmen arbeiten nicht profitabel, sind aber– anders als viele der von der Corona-Krise gebeutelten Unternehmen – nicht unbedingt überschuldet.
Im Zuge der Corona-Krise mutieren diese Zombieunternehmen. Viele werden durch die Corona-Krise zusätzlich geschwächt und entwickeln sich infolge entstehender Überschuldung zu Insolvenzkandidaten. Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie gab es einige Insolvenzen dieser Zombies. Einige waren so hinfällig, dass sie ihr Zombiedasein nicht mehr verschleiern konnten und ihnen die Qualifizierung für die staatlichen Corona-Hilfen misslang. Am 20. März musste die Restaurantkette Vapiano ihre Insolvenz erklären, nachdem sie einen „dringenden Appell an die Bundesregierung zur schnellen Umsetzung der wirtschaftlichen Hilfen in der Covid-19-Krise“ gerichtet hatte. Die Rettung erfolgte trotz der etwa 3.800 in Deutschland betroffenen Jobs nicht, denn es war allzu offensichtlich, dass die Schieflage des Unternehmens nicht auf die Corona-Pandemie zurückzuführen war.
Eine parlamentarische Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten und Finanzexperten Frank Schäffler, wie mit Hilfsanfragen von Unternehmen umgegangen werde, denen es schon vor der Corona-Krise schlecht ging, beantwortete das Bundesfinanzministerium mit einem beruhigenden Hinweis: Der Anteil der Unternehmen mit einer anhaltenden Ertragsschwäche in Deutschland dürfte „eine untergeordnete Rolle spielen“. Demnach würden die Corona-Hilfen, auch wenn sie den wenigen Zombies zuflössen, keinesfalls problematisch sein, da diese kein wirtschaftliches Gewicht hätten.
Dass das Problem der Zombieunternehmen kleingeredet wird, zeigt sich auch an der Insolvenzstatistik. Obwohl die Wirtschaft in diesem Jahr den kräftigsten Einbruch seit der Weltwirtschaftskrise 1929 durchmacht, haben die Unternehmensinsolvenzen den niedrigsten Stand seit 1994 erreicht. Im ersten Halbjahr 2020 ist die Anzahl der Insolvenzen gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 8,2 Prozent nochmals deutlich gesunken.
Vielen Unternehmen – egal ob Zombie oder profitabel – gelingt es, als Trittbrettfahrer von den Corona-Hilfen zu profitieren, obwohl ihr Geschäft nicht oder kaum von der Corona-Pandemie beeinträchtigt ist. Sie können dennoch Corona-Hilfen in Anspruch nehmen, weil es gelang, die Mitte 2019 eingetretene gesamtwirtschaftliche Rezession als Corona-Krise zu tarnen. Tatsächlich befand sich die Industrie schon damals in einem heftigen konjunkturellen Abschwung. Seit Anfang 2018 war die deutsche Industrieproduktion um 6 Prozent gefallen und die Automobilindustrie, die seit Jahrzehnten die wirtschaftliche Konjunktur trägt, verzeichnete sogar ein Produktionsminus von 20 Prozent.
Unternehmenszombies dürfen nicht sterben
Zwar reichen die den Zombieunternehmen zufließenden Corona-Hilfen in aller Regel nicht für deren Sanierung auf Staatskosten. Die Hilfen dienen in erster Linie dazu, deren Probleme auf die lange Bank zu schieben. Mit üppigen Corona-Hilfen kann zwar der wirtschaftliche Substanzverlust der Unternehmen gemindert, jedoch in aller Regel nicht aufgehalten werden. So tragen die Corona-Hilfen dazu bei, die vielen Zombieunternehmen, die bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie existierten, noch besser als zuvor über Wasser zu halten. Der Etikettenschwindel mit dem die gegenwärtige Krise, die für die meisten Wirtschaftsbereiche konjunkturelle Gründe hat, nun als Corona-Krise firmiert, ermöglicht die Rettung der Zombiewirtschaft. So wird das Ableben vieler Zombies vereitelt, indem staatliche Wirtschaftshilfen gewährt werden können, die ansonsten schwerer zu rechtfertigen wären. Die Corona-Pandemie kam für die Zombies zur richtigen Zeit.
Die Politik befürchtet in Anbetracht der durch die Corona-Pandemie entstehenden zusätzlichen existenziellen Probleme ganz zurecht eine Kettenreaktion, sollten Unternehmen – egal ob Zombie, von der Rezession oder der Corona-Pandemie betroffen – in großer Zahl insolvent werden. Ein Massensterben würde zudem auch gesunde Betriebe die mit Zombies im wirtschaftlichen Verkehr stehen, etwa Zulieferer oder Banken in die Bredouille bringen. Sie müssten Forderungen abschreiben, Verluste realisieren, würden obendrein ihre Kunden verlieren und drohten in die Tiefe gerissen zu werden.
Die gegenwärtige Rettung der Wirtschaft besteht daher im Kern in der Rettung der Zombieunternehmen. Wenn es gelingt, die schwächsten Unternehmen zu stabilisieren, sollten Unternehmenszusammenbrüche und Jobverluste ebenso limitiert bleiben wie soziale und politische Erdbeben. Das Problem dabei ist aber, dass sich die Zombiewirtschaft immer tiefer in die Wirtschaft hineinfrisst. Es ist längst eine Abwärtsspirale entstanden, in der immer mehr schwächelnde Unternehmen mittels staatlicher Protektion erhalten werden. Die Folge ist, dass der Staat – um kurzfristig drohendes Ungemach zu vermeiden – zum Schutzpatron einer wachsenden Zombiewirtschaft geworden ist.
Wegbereiter der Zombiewirtschaft
Die Zombiewirtschaft ist ein Produkt staatlichen Handelns und entwickelt sich seit Jahrzehnten schleichend. Die Wirtschaftspolitik kämpft seit den wirtschaftlichen Krisen, die in den 1970er Jahren auf das Wirtschaftswunder folgten, mit dem Problem, dass sich die wirtschaftliche Dynamik der Nachkriegszeit nicht auch nur annähernd wieder eingestellt hat. Heute profitieren wir von den damaligen Wohlstandszuwächsen, die auf massiven Unternehmensinvestitionen und den davon ausgehenden Produktivitätsfortschritten beruhten.
In nur zwei Jahrzehnten gelang es bis Mitte der 1970er, die Reallöhne auf das dreifache Niveau zu heben. Seitdem ist jedoch ein kontinuierlicher Niedergang eingetreten, so dass die Reallöhne seit Mitte der 1990er Jahre kaum noch ansteigen. Staatliche Institutionen reagieren auf diesen wirtschaftlichen Niedergang, der sich in niedrigen Investitionen und ausbleibenden Produktivitätssteigerungen zeigt, vor allem, indem sie den Unternehmen stützend unter die Arme greifen und die Wirtschaft zu stabilisieren suchen. Anstatt einen wirtschaftlichen Strukturwandel zu ermöglichen oder gar zu forcieren, stehen staatliche Institutionen auf der Bremse. Lieber irgendwie durchwursteln als Unternehmenszusammenbrüche oder Krisen riskieren.
So dominieren auch in Deutschland Wirtschaftshilfen und Marktabschottung zunehmend die Wirtschaftspolitik. Die Unternehmenssubventionen steigen in Deutschland seit Jahrzehnten, während sich die entwickelten Volkswirtschaften gleichzeitig einen Subventionswettbewerb sowie einen Kampf um niedrige Unternehmenssteuern liefern. Dabei geht in erster Linie darum, existierende Unternehmen und Geschäftsmodelle vor dem Niedergang zu bewahren. Ein typischer Ausfluss dieser staatlichen Orientierung, bei der Großunternehmen sogar Bestandsschutz genießen, ist das seit einem Jahr geltende industriepolitische Konzept von Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU). Ein weiteres wichtiges staatliches Fundament der Zombiewirtschaft ist die Niedrigzinspolitik, die die Fremdkapitalzinsen drückt und selbst hochverschuldeten und ansonsten unprofitablen Unternehmen das Fortbestehen erleichtert.
Die Abwärtsspirale der Rettungspolitik
Die Rettung der Zombiewirtschaft hat eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Ohne die Existenz der Zombiewirtschaft grundlegend in Frage zu stellen, ist kein Entkommen möglich. Es ist nicht möglich, die Niedrigzinspolitik wieder zurückzudrehen, ohne ein Massensterben bei Unternehmen auszulösen. Ähnliches gilt für Subventionen und „weiche Regulierung“. Daher müssen, sobald die Wirkung dieser Hilfen nachlässt, immer weitere Stützpfeiler gesucht werden, die die Stabilisierung einer im Niedergang befindlichen Wirtschaft ermöglichen.
Nachdem die Geldpolitik in den letzten Jahren nicht einmal mehr in der Lage war, ein minimales Wirtschaftswachstum zu gewährleisten und das Abgleiten in die Rezession zu vermeiden, zeichnete sich ab, dass die Staaten noch viel stärker als zuvor mit fiskalischen Mitteln agieren mussten und Deutschland eine zentrale Rolle zukommen würde, um die Wirtschaft und letztlich die gesamte Eurozone zu stabilisieren. Das zeigte sich bereits im letzten Jahr bei der eintretenden Rezession, als Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dies thematisierte und im Bundestag ankündigte, dass der Staat in Anbetracht voller Kassen „mit vielen, vielen Milliarden gegenhalten“ werde, wenn eine Wirtschaftskrise ausbreche. Die Corona-Pandemie ist daher eine willkommene Rechtfertigung für wirtschaftspolitische Eingriffe, die vordergründig die von der Pandemie getroffenen Unternehmen schützen sollen, aber auch auf den Erhalt der Zombieunternehmen in ganz Europa abzielen.
Nun fürchtet die Bundesregierung völlig zurecht, dass es trotz des verwässerten Insolvenzrechts zu einer Insolvenzwelle kommen könne, sofern die Insolvenzantragspflicht ab 1. Januar 2021 wieder gilt. Dem soll nun mit einem neuen Gesetz vorgebaut werden. Es zielt darauf ab, die Sanierung von Krisenunternehmen leichter zu ermöglichen, sprich: bevor sie in die Insolvenz rutschen. Zwar sind derartige Sanierungen schon heute möglich, können jedoch von einzelnen Gläubigern blockiert werden. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, eine Sanierung zukünftig auch gegen einen Teil der Gläubiger durchzusetzen, also notfalls zu deren wirtschaftlichen Lasten.
Deren „eigensinniges Verhalten“ heißt es im Referentenentwurf, soll durch einen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ zugunsten des sanierungswilligen Unternehmens unterbunden werden. Das neue Gesetz ist ein weiterer Baustein im stetigen Bemühen, Unternehmen vor dem endgültigen Aus zu bewahren, auch wenn dies profitable Unternehmen belastet und die Wirtschaft insgesamt schädigt. Das war bereits vor einigen Jahren das erklärte Ziel, als die Möglichkeit der Eigenverwaltung in der Insolvenz geschaffen wurde.
Diese „weiche Regulierung“, die in erster Linie die Unternehmen irgendwie am Leben erhalten soll, anstatt sie entweder ausscheiden zu lassen oder – sofern ihre Geschäftsmodelle das Geld wert sind – massiv zu rekapitalisieren, schädigt die gesamte Wirtschaft. Die Dummen sind aber letztlich die Arbeitnehmer, die Jobs in schwachen Unternehmen haben, die kaum attraktive Löhne zahlen können. Obendrein sind, wie ich in meinem Buch „Die Zombiewirtschaft“ zeige, auch die besser aufgestellten Unternehmen gelähmt und erreichen kaum noch Produktivitätsfortschritte, so dass Wohlstand und Reallöhne auf lange Sicht stagnieren.
Mit dem Beginn der Corona-Pandemie war die Zombiewirtschaft in Deutschland und Europa so weit fortgeschritten, dass die Politik nun keinen anderen Weg sieht, als sie weiter zu festigen. Eigentlich müsste der Staat nun zwischen denjenigen Unternehmen differenzieren, die ausschließlich durch die Corona-Pandemie oder den politischen Auflagen in die Bredouille geraten, und allen anderen Unternehmen. Genau das tut sie jedoch nicht, denn es geht der Politik ja gerade darum, den Unterschied zu verschleiern und die Corona-Pandemie als Vorwand zu nutzen, um die schwächsten der Schwachen durch die Rezession zu schleppen.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.