Tichys Einblick
Sie prügeln sich ums Geld

Spahn und Lauterbach verjubeln die Beiträge der Kassenpatienten

Die Beiträge für die Krankenkassen steigen und steigen. Zum 1. April gab es den nächsten Erhöhungsschub. Verantwortliche Politiker wie Jens Spahn und Karl Lauterbach verjubeln das Geld der Kassenversicherten mit System – etwa durch „Apps auf Rezept“.

IMAGO

„Apps auf Rezept“. Auf den ersten Blick scheint das ein typisches politisches Projekt dieser Tage zu sein: Irgendwas mit Digitalisierung, damit es gut klingt und einem einen Vorwand liefert, Geld unter ausgewählten Unternehmen zu verteilen. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich: Es ist irgendwas mit Digitalisierung, damit es gut klingt und einem einen Vorwand liefert, Geld unter ausgewählten Unternehmen zu verteilen – ohne jeden Nutzen für den, der es bezahlt. In dem Fall den Kassenpatienten.

Wobei in diesem Thema auch Überraschungen stecken: sinnloses Geld ausgeben, um befreundete Unternehmen zu beglücken … Das trägt ganz die Handschrift von Karl Lauterbach (SPD), der absoluten Killervariante für die Beitragsstabilität der Krankenkassen. Doch das Projekt stammt noch aus den Tagen, in denen Jens Spahn (CDU) Gesundheitsminister war. Diese Zeit verlief so verheerend, dass Spahn heute nicht mehr darauf angesprochen werden mag. Ein derart gescheiterter Politiker gilt als größter Favorit für ein Ministeramt unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) – aber das nur am Rande.

Die Apps auf Rezept „hinken auch nach mehr als vier Jahren ihren Möglichkeiten hinterher, die Versorgung maßgeblich zu verbessern“, teilt nun der Dachverband der Krankenkassen mit, die GKV. Die Gründe für das Scheitern des Projekts seien vielfältig: Es sei für die Unternehmer zu einfach gewesen, ihr Produkt zur Zulassung zu bringen. Sie hätten anfangs nicht mal nachweisen müssen, ob ihre App überhaupt etwas helfe. „Gleichzeitig steigen Ausgaben und Verordnungen kontinuierlich an“, sagt die GKV. Der Christdemokrat Spahn hat also für Missstände gesorgt und der Sozialdemokrat Lauterbach sie eskalieren lassen. Im Westen nichts Neues.

Nach drei Absätzen fragen sich Leser vielleicht, was Apps auf Rezept überhaupt sind und wie sie helfen sollen? Mit dieser Frage beweisen sie einerseits gesunden Menschenverstand und disqualifizieren sich andererseits für politische Ämter unter Führung der CDU oder der SPD: 861.000 „digitale Gesundheitsanwendungen“ (Diga) wurden laut GKV seit September 2020 in Anspruch genommen. Kölner Karnevalisten gehen mit Kamellen sorgsamer um als christ- und sozialdemokratische Gesundheitsminister mit dem Geld der Beitragszahler. Vor allem, wenn es so chic nach Digitalisierung klingt und man dabei so hervorragend den Onkel mit dem Scheck in der Hand spielen kann.

Aber wie funktionieren diese Apps nun? Welchen Sinn erfüllen sie? Nun, Letzteres lässt sich aus Mangel an Sinn nicht beschreiben – doch wir können ein Beispiel einer solchen „digitalen Gesundheitsanwendung“ näher betrachten. Achtung. Das ist weder eine Glosse noch ein verspäteter Aprilscherz. So sieht er aus, der politische Alltag unter Führung von CDU und SPD im Jahr 2025 nach Christi Geburt. Unser Beispiel ist die Seite „Edupression.com“. Der Name spielt auf den Verwendungszweck an. Den Kampf gegen Depressionen. Also allein die Marketingabteilung war schon mal ihr Geld wert: Edupression … Kennste den? Verstehste? Edupression? Gnihihihi.

Edupression „spielt täglich multimedial aufbereitete Informationen und Übungen aus der Psychoedukation zur Selbsthilfe aus“, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erklärt. Das Programm gebe den Nutzern erst ein „Wochenziel“ vor und dann Tipps, wie dieses Ziel zu erreichen sei. „Durch spielerische Elemente werden die Patientinnen und Patienten ermuntert und belohnt, der Gesundheitsanwendung weiter zu folgen“, schreibt das Bundesinstitut. Das Ziel des App-Betreibers ist also, dass ihm der Kunde erhalten bleibt. Nicht etwa die Überwindung der Depression?

Halt, halt. Für diese Überwindung der Therapie gibt es den Avatar namens Eddy. Diese digitale Kunstfigur „begleitet optisch in der Anwendung die Patientinnen und Patienten auf ihrem Weg“. Außerdem ist da noch eine Musterpatientin. Sie heißt Alice. Sie leidet an einer Depression und – immerhin – sie wird mit Edupression wieder gesund. Was auf den ersten Blick wie unnötiger Unfug aussieht, erweist sich bei näherem Hinblick als sehr unnötiger Unfug.

Rund 225 Euro kostet diese App, die einem den Tipp gibt, wie die fiktive Alice einfach die App zu nutzen und damit gesund zu werden. Ein echter Schnapper. Für 225 Euro ließen sich auch zehn Bücher mit Witzesammlungen bezahlen, die vermutlich einen vergleichbaren Effekt erzielen würden: ein herzhaftes Lachen auslösen. Dass die Hersteller selbst die Preise willkürlich festlegen dürfen und die Kassen ihnen die Auszahlung nicht verweigern dürfen, ist für die GKV einer der Webfehler von Spahns Gesetz.

Immerhin sorgt die Zusammenarbeit von Spahn und Lauterbach für das, wofür die Zusammenarbeit von CDU und SPD immer sorgt: davonlaufende Kosten. Bis Ende 2024 hat die GKV nach eigenen Angaben 234 Millionen Euro für die Apps bezahlen müssen. Allein zwischen 2023 und 2024 – also unter der Verantwortung von Karl Lauterbach – seien die Kosten um 71 Prozent gestiegen. Dabei habe es nicht mal ein Fünftel der Anwendungen geschafft, ihren Nutzen von Beginn an nachzuweisen. Vier von Anwendungen „kommen entsprechend zunächst nur testweise in die Versorgung“. Das Beispiel Edupression ist dauerhaft aufgenommen – vier Fünftel der angemeldeten Anwendungen sind folglich noch weniger hilfreich.

Der Dachverband GKV – selbst mit politischen Funktionären durchsetzt – verzweifelt an der politischen Führung: „Schon seit Beginn ihrer Einführung kritisieren wir den oftmals mangelnden Nutzen von DiGA für die Patientinnen und Patienten. Es ist ernüchternd, dass hier noch immer viel zu wenig Licht am Horizont zu erkennen ist.“ Zwar würden irgendwann die Apps ausgesiebt, die nachweislich keinen Nutzen mit sich brächten, doch das über 80 Prozent der Anwendungen es trotzdem erstmal auf die Smartphones der Patienten schaffe, sei frustrierend: „Das macht sie (die Patienten) zu Versuchskaninchen und sorgt für Unsicherheit und mangelnde Akzeptanz sowohl bei der verordnenden Ärzteschaft als auch bei den Patientinnen und Patienten selbst.“

Bis zu 2077 Euro pro App nehmen die Hersteller pro Produkt. Auch wenn es bisher nicht getestet wurde. Der durchschnittliche Preis sei in den vergangenen vier Jahren von 411 auf 541 Prozent gestiegen – satte 32 Prozent. „Die vom Gesetzgeber gewollte Preisgestaltung bei DiGA hat mittlerweile jede Bodenhaftung verloren“, teilt die GKV mit. Die Unternehmen nutzten das gesetzlich festgelegte Recht auf einen beliebig hohen Preis im ersten und teilweise auch im zweiten Jahr voll aus, verlangten teilweise „Phantasiepreise“.

Angesichts der Summen im Gesundheitswesen sind die Apps eher ein kleiner Fisch. Aber sie zeigen, wie es in dem Teich zugeht. Minister gehen hier mit dem Geld der Beitragszahler so sorglos um, wie diese es mit ihrem eigenen Geld niemals tun würden. Wer im Kleinen das Geld sinnlos raushaut, spart auch im Großen nicht. Und wer oft genug im Kleinen Geld verschossen hat, dem geht halt in der Summe auch das Pulver aus. Dann steigen die Beiträge für die Kassen und steigen und steigen – genauso, wie sie es aktuell tun.

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