Das größte Talent des Karl Lauterbachs scheint darin zu bestehen, sich einen schlanken Fuß zu machen, den schlankesten von allen. Heute Morgen im ARD Morgenmagazin plauderte er darüber, dass es ein Fehler war, die Schulen und Kitas solange geschlossen zu halten. Sicher, zu dieser Zeit war Lauterbach nicht Gesundheitsminister, doch war er als „das prägende Gesicht dieser Corona-Maßnahmen“, wie er im Morgenmagazin begrüßt wurde, der wichtigste Einpeitscher der Corona-Maßnahmen.
Nun also kann Karl Lauterbach nicht mehr anders, als zuzugeben, was auch der scheidende RKI-Präsident Lothar Wieler zugab, nämlich dass die lange Schließung der Schulen und Kitas ein Fehler war, und mehr noch, dass die Annahme, dass es in Schulen und Kitas gehäuft zu Infektionen komme, sich nicht „in dieser Form als richtig erwiesen haben.“ In welcher Form dann, könnte man den Arzt und Professor und vermeintlichen Wissenschaftler und Corona-Orakel Karl Lauterbach fragen?
Am 14.3.2021 berichtete das ZDF, dass Karl Lauterbach gefordert habe: „Ich appelliere an die Länder, alle Schulen bis Ostern wieder zu schließen, auch die Grundschulen.“ Er begründete seine Forderung damit, dass sich die Virusmutationen „insbesondere bei den Jüngeren rasant ausbreiten“ würden. Lauterbach sah es als Fehler an, „die Schulen ohne flächendeckend funktionierende Testabläufe zu öffnen.“ Das ZDF berichtete im März 2021 weiter: „Neben den Schulschließungen forderte Lauterbach zudem zwei weitere Maßnahmen, „um die Lage beherrschbar zu halten und die Krankenhäuser nicht zu überfordern“.
„1. Konsequenter Gebrauch der von Bund und Ländern beschlossenen „Notbremse“ bei einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100
2. Konsequente und zügige Durchführungen der Impfungen.“
Für Lauterbach stand fest, „dass wir trotz bestehender Lockdown-Regelungen Anfang April bundesweit diese Marke reißen werden. Es darf keine lokalen Ausnahmen bei der Notbremse geben“
Bereits im Mai 2020 hatte Lauterbach auf Twitter behauptet: „Praktisch bedeuten die Kinderstudien folgendes: Regulärer Unterricht fällt für mindestens 1 Jahr aus. Das kann jetzt als epidemiologisch sicher gelten. Daran ändern weder Apps noch Masken etwas. Es ist die Übertragung durch Aerosole und Kontakte im Klassenraum.“
Welche Kinderstudien Lauterbach studiert hat, weiß man nicht so genau, doch sicher ist, dass der mit Preisen überhäufte, von Merkel bis Lauterbach hofierte Virologe Christian Drosten der Mann der Stunde war, dessen Einschätzungen und Ratschläge kanonischen Rang besaßen. Andere Wissenschaftlerinnen, besonders aus der Zero Covid Abteilung folgten Drosten auf der erfolgversprechenden Strecke, die Einladungen in Talk Shows und Beraterposten einbrachte. Eine ergebnisoffene wissenschaftliche Diskussion fand kaum mehr statt. Nicht anhand wissenschaftlicher Argumente, sondern anhand politischer Korrektheit und politischer Opportunität wurde entschieden. Die Wissenschaft wurde zu einem Bestätigungsautomaten der Politik.
Es ist erschütternd, Karl Lauterbach im Morgenmagazin zu beobachten, wie er versucht sich einen schlanken Fuß zu machen, wie er versucht, die Verantwortung für auch seine Fehlentscheidung abzustreiten und sie auf die Wissenschaft zu schieben. Aus Lauterbachs Auftritt in der ARD muss man schlussfolgern, nicht die Kinder, nicht die Schüler wären die Opfer der „Pandemiemaßnahmen“ gewesen, sondern Karl Lauterbach, der sich nur auf „die Wissenschaft“ verlassen habe. Denn er habe ja nur auf die Experten gehört, deren Kenntnisstand „einfach nicht gut genug“ war. Die Schulschließung sei im Nachhinein ein Fehler, aber: „Damals wurde das von den Wissenschaftlern so angeraten“.
Verbuchen wir es einmal unter lässlicher Eitelkeit, dass Lauterbach damals den Anschein erweckte, dass er als Arzt ja selbst ein Fachmann, ein Experte wäre, dennoch ist es schlicht eine Lüge zu behaupten, dass damals die, also alle Experten der Ansicht gewesen waren, dass die Kitas und Schulen geschlossen werden müssen und die Schließungen erst „nach heutigem Wissen nicht nötig gewesen“ seien.
Im Mai 2020 teilte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. mit, dass ein pauschales Verbot von Präsenzunterricht „medizinisch nicht gerechtfertigt“ ist.
Andere widersprachen ebenfalls. Es stimmt einfach nicht, dass die arme Regierung und der noch ärmere Herr Lauterbach nicht anders handeln konnten, weil bedauerlicherweise die Experten keinen anderen Kenntnisstand hatten. Nur die von der Regierung ausgewählten Experten hatten keinen anderen Kenntnisstand.
Experten mit einem anderen Kenntnisstand hatte die Regierung erst gar nicht eingeladen bzw. aus ihren Positionen entfernt.
Ein Geheimnis war das damals schon nicht, denn es regte sich durchaus Kritik an der einseitigen Auswahl der Experten. Aber was wir in der Pandemie und auch in der Klimadiskussion lernen können, ist, dass wenn von der „Wissenschaft“ oder von den „Experten“ oder von den unabhängigen Gutachten gesprochen wird, dass dann oft nur diejenigen Wissenschaftler oder Experten gemeint sind und promotet werden, die mit wissenschaftlich klingenden Argumenten politische Entscheidungen begründen und vor allem dem Volk plausibel machen. Dass damit der größte Unfug getrieben werden kann, mit scheinrationalen Thesen irrationale Entscheidungen legitimiert werden sollen, ist eine historische Erfahrung, wie es weiter eine historische Erfahrung ist, dass auch die irrationalste Entscheidung durchaus auf rationalen Interessen beruhen kann.
Eine Entschuldigung lehnte Lauterbach im Morgenmagazin kategorisch ab. Entschuldigen müssten sich nur die, die an Masken-Bestellungen und Maskendeals verdient, die aus der Notlage persönliches Kapital geschlagen hätten. Wer jedoch ist schlimmer? Jemand, der in schäbiger Weise Geld verdient, aber kein Kind, kein Schüler psychisch, gesundheitlich, intellektuell geschädigt hat, oder derjenige, der sich für Maßnahmen eingesetzt hat, die bei vielen Schülern, bei vielen Kindern und Jugendlichen zu schweren psychosozialen Störungen geführt haben, zu Ängsten, Depressionen, zum Drogenmissbrauch, zu Einsamkeit und zu Bildungsdefiziten, was Defizite im Gebrauch von Bildungstechniken einschließt, obwohl er es besser hätte wissen können? Es mag juristisch anfechtbar sein, doch letztlich fallen 100 000 Euro mehr auf dem Konto eines Geschäftemachers politisch weniger ins Gewicht als die schweren psychosozialen Schäden, die durch die Schulschließungen versucht wurden. Den Dieb kann man vor ein Gericht stellen, das Geld kann man beschlagnahmen, doch wie hilft man den vielen Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern, die Opfer einer schon damals erkennbar falschen Politik geworden sind?
Im Januar 1990 machte eine Karikatur von Roland Beier die Runde, die einen zerknirschten Karl Marx zeigte, der die Hände tief in den Taschen vergraben hatte und sagte: „Tut mir leid, Jungs! War halt nur so ’ne Idee von mir . . .“ Wird es diese Karikatur auch von dem unschuldigen Karl Lauterbach geben, der gefragt nach den Schulschließungen, sagt: „Tut mir leid! War halt nur so ’ne Idee von den von mir bevorzugten Experten . . .“