Gesundheitsminister Prof. Dr. med., Sc.D. Karl Lauterbach (SPD) hat zugeschlagen. Diesmal nicht exekutiv durch die Ent-Schwärzung der RKI-Files. Jetzt hat er 240 Seiten lang das „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ (KHVVG) in den Bundestag eingebracht. Rechnerisch haben Lauterbachs Truppen in 30 Monaten (rund 900 Tage) also jeden Tag rund eine Viertelseite produziert. Lauterbach stand nun am 17. Oktober heftig gestikulierend im Bundestag, er saß also nicht in einer der üblichen Talkshows, wo er seit Jahren den Status einer unverkäuflichen Immobilie hat. Lauterbach hat diesmal rund ein Sechstel der wenigstens physisch anwesenden Abgeordneten als Opfer seiner 7-Minuten-Ausführungen auserkoren.
Herausgekommen ist … nix! In Gesetzesform gegossen. Es wird ein Kliniksterben geben, das gerade das „flache“ Land trifft. Aber das war immer schon Lauterbachs Credo in der Zeit, als er noch vor allem Lobbyist war: Seit Jahr und Tag will er aus den rund 1.700 Kliniken in Deutschland 800 bis 900 machen. Wenn man das KHVVG wenigstens weniger zungenbrecherisch „Gute-Klinik-Gesetz“ (GKG) benannt hätte. Ziel sollen gemäß Lauterbach eine bessere Behandlungsqualität, die Gewährleistung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung, die Steigerung der Effizienz und die Entbürokratisierung sein. So steht es in Lauterbachs KHVVG-Entwurf, den die Abgeordneten der Regierungskoalition nun beschlossen haben. Klar, in „Ampel“-Zeiten muss man auf Wagenburg machen. Das taten schließlich 373 „Ampelisten“. Wobei 40 „Ampel“-Abgeordnete keine Stimme abgegeben haben.
Selbst die sonst so regierungsfreundliche „Süddeutsche“ kommentiert: „Karl Lauterbach hat’s versemmelt.“ Und die nicht minder regierungsfreundliche „Frankfurter Rundschau“ schreibt: „Kritik aus allen Richtungen“. Stimmt: Die Kritik kommt nicht nur aus der Opposition und von den Bundesländern, sondern von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Bundespsychotherapeutenkammer, der Deutschen Stiftung Patientenschutz usw.
Dabei ist wahrlich seit Jahrzehnten eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens angezeigt. Immerhin verschlingt es pro Jahr mittlerweile 498 Milliarden, das heißt am Tag 1,36 Milliarden Euro. Nur 61 Prozent davon sind getragen durch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Welchen Anteil die Flüchtlinge ausmachen, vermag niemand genau zu sagen; oder will niemand auflisten. Immerhin informiert das u.a. über Bundesministerien finanzierte „handbookgermany“ detailliert über Leistungsansprüche.
Was Karl Lauterbach selbst vor den Kameras zum besten gibt, ist dann schon noch einmal ganz besonders bemerkenswert. Er spricht über das ihm unterstellte Bundesministerium so, als wäre er daran gänzlich unbeteiligt und die „letzten Jahre“ nicht im Amt des Bundesgesundheitsministers. Zudem – ganz wichtig – liege die größte Erhöhung der Krankenkassenbeiträge – aufgepasst – ja auch an Inflation und höheren Löhnen, nicht an der seit Jahrzehnten stetig zunehmenden Belastung durch immer mehr Menschen, die nie in das Gesundheitssystem eingezahlt haben.
Lauterbach sagt, er habe eine Reform angepackt, die jahrzehntelang verschleppt worden sei. Was er nicht sagt: In den 26 Jahren seit 1998 war die SPD 22 Jahre lang Teil der Bundesregierung, stellte mit Ulla Schmidt fast neun Jahre lang die Gesundheitsministerin. Lauterbach selbst ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter der SPD, die seit 2005 immerhin 15 Jahre lang im Bundeskabinett saß bzw. seither sitzt. Aber all die Jahre bis Ende 2021 war Lauterbach ja vor allem eins: Promoter seiner selbst und Lobbyist. Siehe unser TE-Portrait vom 1. Juni 2020:
Arzt war er eigentlich nie. Umso mehr frequentierte und frequentiert er die Talkshows. 2021, im Corona-Jahr Nr. 2, saß er 40-mal in einer der großen öffentlich-rechtlichen Quasselrunden. Klar, da konnte Olaf Scholz nicht umhin, Lauterbach zum Gesundheitsminister zu machen.
„Karlchen Überall“
Selbst in Parteikreisen gilt Lauterbach als „Karlchen Überall“ und als „die begnadetste Ich-AG des Bundestages“. Aber was hat dieser Mann wirklich drauf? 1992 machte er an der Universität Düsseldorf seinen „Dr. med.“ mit einer Arbeit zum Thema „Weiterentwicklung des Parametric Gammascopes auf der Grundlage von experimentellen und klinischen Studien“. Dazu wurden an achtzehn männlichen und sieben weiblichen Sportlern auf dem Fahrradergometer Pulsfrequenz, Sauerstoffaufnahme, Atemminutenvolumen, Laktatwerte usw. gemessen.
Von 1992 bis 1993 folgte ein „Fellowship“ in Harvard. Dieser Stiftung galt er als verbunden, war er doch bis 1999 Mitglied der CDU, ehe er 2001 in die SPD eintrat. Beruflich machte Lauterbach, der nie als Arzt tätig war und erst 2010 auf Antrag die Approbation als Arzt bekam, rasch Karriere. Die bis dahin vorgeschriebene 18-monatige Pflichtzeit als Arzt im Praktikum war 2004 entfallen. 1998 wurde er Direktor des neu gegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Universität zu Köln. Bis 2005 übte er dieses Amt aus.
Auch wenn er seit 2005 im Bundestag sitzt, blieb ihm genügend Zeit, sich zu inszenieren. Sternstunden sah Lauterbach für sich kommen, als er 2013 zum Kompetenzteam des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück avancierte und sich bereits als Gesundheitsminister sah, und als er sich mit Parteigenossin Nina Scheer 2019 um den SPD-Tandem-Vorsitz bewarb. Beide Male wurde nichts draus.
Karl Lauterbach war vom 18. Juli 2001 bis zum 4. Juni 2013 Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken AG. Was Lauterbach an Vergütung für seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat erhalten hat, wollte er lange gerne vernebeln. In einem Wortwechsel zwischen ihm und dem Journalisten Hajo Schumacher eierte Lauterbach in der ZDFneo-Sendung „Stuckrad Late Night“ vom 20. Januar 2011 endlos herum. Es entspann sich folgender Dialog. Schumacher: „Sie sind ja bei den Rhön-Kliniken im Aufsichtsrat … Was kriegt man da so im Jahr?“ Lauterbach: „… Es steht ja …. Ich veröffentliche diesen Wert Euro-genau seit jedem Jahr, seit zehn Jahren.“ Schumacher: Sagen Sie ihn doch noch mal …“ Lauterbach: „Ich weiß es jetzt auswendig nicht … Auf jeden Fall bei mir auf der Homepage kann jeder morgen nachgucken. Es schwankt. In einem schlechten Jahr 29.000 Euro, und dann geht’s auch schon mal hoch bis auf 55.000 oder so, aber es schwankt und ich veröffentliche es seit vielen Jahren, jedes Jahr.“
Fakt ist: Laut Geschäftsberichten der Rhön-Kliniken hat Lauterbach von 2001 bis 2013 für seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied jährlich zwischen 25.000 und 64.000 Euro erhalten. In der Summe sind dies 567.000 Euro. Im Jahr 2002 kamen dazu 77.000 Euro für „Beratungsleistungen“. Alles in allem also 644.000 Euro. In den offiziellen Veröffentlichungen des Bundestages kommt diese Summe nicht zum Tragen. Lauterbach hatte seine Nebeneinkünfte dort unter „Stufe 3“ der Richtlinien für Nebeneinkünfte von Abgeordneten angegeben. „Stufe 3“ bedeutet, dass die Einkünfte zwischen 7.000 und 15.000 Euro liegen.
Aber auch sonst ist Lauterbach kein Kostverächter. Der Bundestag weist bei ihm für die Legislaturperiode 2005 bis 2009 siebenmal „Entgeltliche Tätigkeiten“ zwischen 7.000 und 15.000 Euro aus, nämlich für wissenschaftliche Beratung. Seit 2013 kamen zum Beispiel mindestens zweimal „Entgeltliche Tätigkeiten“ der Stufe 4 (15.000 bis 30.000 Euro) hinzu, ebenfalls für „wissenschaftliche Beratung“. Diese „Beratung“ ließ Lauterbach zum Beispiel Krankenkassen, Kliniken oder Gesundheitsbehörden von Dubai oder Katar angedeihen.
Seit 2019 geht er hausieren mit der Forderung, mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäuser müsse geschlossen werden. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt, hat Lauterbach diese Forderung doch zusammen mit der Bertelsmann Stiftung erhoben. Einer Bertelsmann Stiftung, deren Vorstandsmitglied Brigitte Mohn von 2002 bis 2020 im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken saß.
Lauterbach und „Harvard“
1995 „baute“ Lauterbach in Harvard übrigens seinen zweiten Doktor, nämlich den „Scientiae Doctor“ (Sc.D.). Das Thema der Arbeit hieß: „Justice an the function of health care“. Mit diesem Harvard-Pfund geht Lauterbach seitdem gerne hausieren, und die Öffentlichkeit verneigt sich ehrfürchtig vor dem Harvard-Nimbus. Aber was ist die Arbeit wert? Rein äußerlich macht sie wenig her. Es sind 118 geräumig geschriebene Seiten, also rund 180.000 Zeichen mit Leerzeichen. In Buchform gedruckt, ergibt das je nach Format rund 70 Seiten. Eine medizinische Arbeit ist es nicht, eher ein dünnes quasi-politisch-philosophisches, sozialdemokratisches Sammelreferat.
Entsprechend ist die Qualität der Fachaufsätze und Bücher, die Lauterbach verfasste. Die Liste von Lauterbachs Veröffentlichungen wirkt imponierend, wenn man davon absieht, dass es sich – abgesehen von seinen populärwissenschaftlichen Büchern – meist um zwei-, drei-, maximal zehnseitige Beiträge in irgendwelchen Magazinen und nicht in renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschriften handelt, vor allem zu seinem Lieblingsthema „Bürgerversicherung“.
Und vernichtend fiel auch die Analyse aus, die von „W+D Wissenschaft + Dokumentation GmbH“ zu zwei Lauterbach-Büchern erstellt wurde, namentlich zu den Büchern „Der Zweiklassenstaat. Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren“ (2007) und „Gesund im kranken System. Ein Wegweiser“ (2009). Der W+D-Dienst wirft Lauterbach darin Hunderte von Fehlern und Ungenauigkeiten vor.
Lauterbach aber nimmt „Harvard“ für sich in Anspruch. In seinem Buch „Gesund im kranken System“ (2009) etwa schreibt er auf Seite 40: „Als Medizinstudent wurde ich erst in den Vereinigten Staaten darauf aufmerksam, dass die meisten unserer Operationen überflüssig waren. Ich arbeitete damals in der Herzchirurgie einer großen amerikanischen Universitätsklinik in San Antonio, Texas. Zu jener Zeit führte die Universität eine Studie zur Vermeidung der Krankheiten durch, die wir operierten (San Antonio Heart Study). Nach dem ersten Monat im OP musste ich feststellen, dass die Hälfte der Eingriffe, die ich gesehen hatte, durch eine bessere Vorbeugung hätte verhindert werden können. Deshalb entschloss ich mich, in diesem Bereich zu forschen.“ Lauterbach plustert seinen Lebenslauf auf: Die Formulierungen suggerieren eine Tätigkeit, die er nicht ausgeübt hat, er geriert sich als Experte, und nur im Nebensatz wird klar, dass er keinesfalls selbst operiert, sondern die Eingriffe nur „gesehen“ hat.
Mit derlei eitlem Imponiergehabe ist er am 8. Dezember 2021 via Talkshows im Ministersessel angekommen. Da sage noch einmal einer, Deutschland habe einen Mangel an Fachkräften.