Tichys Einblick
Lauterbach und der Impfstoffmangel

Am deutschen Pandemiewesen soll die ganze Welt genesen

Die deutsche Pandemiepolitik bleibt unter der Ampel widersprüchlich, parteipolitisch aufgeladen, nur begrenzt an der Wissenschaft interessiert, aber selbst davon überzeugt, dass am eigenen Wesen noch die ganze Welt genesen wird.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Rede zum Tagesordnungspunkt Impfprävention gegen COVID-19 bei der 7. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin

IMAGO / Political-Moments

Hat Deutschland, oder hat es nicht? Gestern verkündete Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dass die Bundesrepublik unter einem „Impfstoffmangel“ leide. Für das 1. Quartal 2022 würden Reserven und Bestellungen nicht ausreichen, bestätigte Lauterbach gegenüber der ARD. „Diesen Impfstoffmangel zu beseitigen, daran arbeite ich bereits seit Tagen“, sagte der SPD-Politiker. „Aber in der Tat, wir haben zu wenig Impfstoff. Das hat viele überrascht – mich auch.“

Alarmschlagen und Warnen sind auch eine Woche nach Amtseinführung die eigentlichen Kompetenzen des gebürtigen Düreners. Seit dem Wochenende sei er auf „allen Ebenen“ unterwegs, er nutze „alle Kanäle“, auch direkt zu den Unternehmen. Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zeigte sich darüber sichtlich irritiert: „Wir haben in Deutschland gerade Rekord-Tempo beim Impfen in den Praxen erreicht, da kommt diese Nachricht. Ein fatales Signal an alle, die gerade mit vollem Einsatz diese Pandemie bekämpfen.“

Lauterbach:
„Wir werden so lange boostern und impfen, bis wir die Pandemie zu Ende gebracht haben“
Für Lauterbachs Strategie spielt nicht so sehr die Qualität, denn die Quantität des Nachschubs eine Rolle. Bei Amtsantritt stellte er klar: „Wir werden so lange boostern und impfen, bis wir die Pandemie zu Ende gebracht haben.“ Eine Anfrage von TE, wie Lauterbach denn dieses Ende der Pandemie definiere, hat das Gesundheitsministerium bis heute nicht beantwortet. Lauterbach ist überzeugt, dass die geringe Wirksamkeit der mRNA- und Vektor-Impfstoffe ein dringender Grund zur Einführung der Impfpflicht sind. Bei Anne Will erklärte Lauterbach das so: Weil diese nur eine Wirksamkeit von 35 Prozent hätten, käme man selbst bei einer Impfquote von 90 Prozent nicht hin, sondern brauche eine Impfpflicht, um das Ziel zu erreichen. Immer mehr vom selben – so lautet die Devise. Wie hoch die Impfquote in Deutschland sein müsste, damit bei einer 35-prozentigen Wirksamkeit 90 Prozent geschützt sind, fragte natürlich niemand in der Runde.

Doch wie sieht es eigentlich aus mit dem Impfstoff-Engpass? Kaum gibt Lauterbach, der auf seinen Status als Wissenschaftler und Studienleser pocht, die neue Mahnung an die Nation aus, erhebt der Leugner sein grässliches Haupt. Dieses Mal eben der Impfstoff-Engpass-Leugner. Er manifestiert sich in der Form von Tino Sorge, dem Sprecher der Unionsfraktion. „Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass das ein durchsichtiges politisches Manöver ist, um die SPD von der großen Koalition abzusetzen und mit einer Kampagne gegen uns zu starten“, wirft er Lauterbach in einem Brief vor. „Karl Lauterbach ruft Feuer, um dann Feuerwehr zu spielen – obwohl er weiß, dass es gar nicht brennt.“ Es stünden 8,5 Millionen Biontech-Dosen und 20 Millionen Dosen Moderna bereit. Der Bund erwarte weitere 2 Millionen Dosen Biontech und weitere 20 Millionen Dosen Moderna. „Mithin also genug Impfstoff, um den 34 Millionen geimpften Erwachsenen, für die eine Booster-Impfung noch aussteht, kurzfristig ein entsprechendes Angebot machen zu können“, schreibt Sorge.

Professor Panik
Karl Lauterbach: Der Panik-Verbreiter als Gesundheitsminister
Der Vorfall zeigt symptomatisch die Traditionslinie der Pandemiepolitik der Bundesregierung auf. Einerseits ist da der überparteiliche Anspruch, zum Wohl des Landes zu regieren. Lauterbach wie Amtsvorgänger Jens Spahn betonten, dass dies die Priorität sei, parteipolitische Streitereien hätten keinen Platz. Doch was zeigt dieser Fall anderes denn parteipolitische Manöver? Entweder gibt es einen Impfstoffmangel – dann hat Lauterbach allerdings seinen Vorgänger mit zu vielen Lorbeeren überhäuft und die CDU-Politik im Ministerium war schlechter als ihr (sowieso angekratzter) Ruf. Oder Lauterbach verbreitet unbegründete Panik, um dem Amtsvorgänger und seiner Partei dezidiert zu schaden und sich selbst als Krisenlöser zu inszenieren.

Beides unterstreicht eine geheuchelte staatliche Verantwortung, die beide beschwören, de facto aber inexistent ist. Womit wir bei zwei weiteren Traditionslinien sind: der Widersprüchlichkeit der Pandemiepolitik und dem Anspruch, sich auf die Wissenschaft zu berufen, obwohl man nur einen kleinen Teil der Wissenschaft beachtet.

Lauterbach betont immer wieder, dass eine Booster-Impfung die einzige Lösung ist, die das Omikron-Problem bannen kann. In Talkshows wie in sozialen Netzwerken gilt es als unwidersprochene Tatsache und der Booster in der Gesundheitspolitik damit als alternativlos. Zusammen mit der angestrebten Impfpflicht hat das massive Folgen – auch für den Weltmarkt.

Lange ist es her, dass Spahn vor dem „Impfnationalismus“ der Deutschen warnte, als seine eigene Politik durch Impfstoffmangel gekennzeichnet war – und kaum waren Millionen Dosen überflüssig, da strebte er einen „Impfpatriotismus“ an. Andernorts sieht man solche Biegsamkeiten skeptisch. Beispielsweise in der WHO, auf die sich alle Gesundheitsminister immer wieder beziehen, so es denn in die Alltagspolitik passt. Die kritisiert nämlich die „Booster“ vehement. Aus weltpolitischer Sicht sind diese nämlich als sozial ungerecht zu werten.

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Was weiß Lauterbach?
„Wenn Gruppen mit einem geringen Risiko für eine schwere Erkrankung oder den Tod Auffrischungsimpfungen verabreicht bekommen, gefährdet das einfach das Leben von Menschen mit hohem Risiko, die wegen Versorgungsengpässen noch auf ihre ersten Impfdosen warten“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Dienstag. Reiche Länder hätten Millionen Impfdosen auf Lager, indes es in vielen armen Ländern nicht einmal genug für Erstimpfungen gebe. Diese Ungleichheit verlängere die Pandemie, warnte Tedros. Und vor allem: Es gebe keinen Nachweis, dass diese Impfungen gegen die Omikron-Variante helfen.

Das hat aber beispielsweise die Deutsche Welle nicht davon abgehalten, in einem „Fakten-Check“ zu behaupten, die These, der Booster helfe nicht gegen die Omikron-Variante, sei unbelegt. Und was gilt als Beleg? Genau der Tweet von Lauterbach, der das aussagt. Neben Widersprüchlichkeit, Parteipolitik und nur begrenzter wissenschaftlicher Perspektive kommt also noch ein weiterer, wohlbekannter Faktor in der deutschen Pandemiepolitik dazu: Provinzialität. Was interessieren schon die Erkenntnisse in der Welt, wenn wir Lauterbach haben.

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