Tichys Einblick
Hitzeschutzplan

Mit Lauterbach gegen den Hitzetod

Nach Corona und Klima hat die Republik ein neues Thema gefunden. Ohne Beschränkungen des öffentlichen Lebens verbrennt Deutschland in einem Glutofen. Es drohen schrumpfende Gehirne und Hitzetote. Wieder weist Lauterbach den Weg. Eine Sammlung.

MAGO / Political-Moments

Sie kennen die TE-Redaktion. Todesverachtend sehen wir in die Fratze des unausweichlichen Hitzetods. Dabei spürte man an diesem Freitag die Hitze im Hauptstadtbüro. Nicht wegen des Wetters. Zur Mittagszeit waren es in Berlin satte 25 Grad. Eher wegen der Panik, Hysterie und der noch mehr als sonst heiß ausgestoßenen Luft im Bundestag. Den Angstschweiß der Ampel konnte man in ganz Mitte riechen.

Es gehört zu der von der Natur eingerichteten Ironie, dass ausgerechnet in diesem vergleichsweise milden Sommer die Ampel den Hitzeschutz zu einem Hauptthema der gesundheitlichen Agenda macht. Verantwortlich ist dafür Karl Lauterbach. Kurz vor dem vermutlich schlimmsten Hitzeangriff der Weltgeschichte betätigt sich der Bundesgesundheitsminister wieder als Mahner und Warner. Die Hoffnung ist groß, Habeck und sein Heizungsgesetz nach dem Rüffel aus Karlsruhe aus den Charts der Aufregerthemen zu verdrängen.

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Im Internet kursiert bereits das Meme, dass ausgerechnet das Land auf einem der hintersten Weltränge bei den Durchschnittstemperaturen sich nun vor dem Hitzetod fürchtet. Den einfachsten Weg, schlicht Klimaanlagen einzubauen, ist den im Luftreich des Traums herrschenden Deutschen natürlich zu banal. Das war bereits bei der Energiewende der deutsche Sonderweg.

Dass nach mehr als einem Jahrzehnt Energiewende Deutschland mal zu wenig, mal zu viel Strom hat, aber bei den CO2-Emissionen weit hinter dem Nachbarland Frankreich liegt, überdecken einheimische Parteien mit dem Vorwurf, wenn mal wieder ein französisches Atomkraftwerk im Wartungsmodus ist. Schließlich ist man ja auf deren unzuverlässigen Strom angewiesen. Trotz Menetekel gab es Verkehrs- und Wärmewende, und nun also auch die Gesundheits- bzw. Hitzewende. Entweder wissen sie nicht, was sie tun, oder sie wissen es doch allzu gut.

Kehren wir zu den 25 Grad in Berlin inmitten der Julisommerhitze zurück. Nach Corona kann man endlich wieder vermelden: Das RKI warnt. Nicht zögerlich, nicht mit Vorbehalten, sondern in einer Art und Weise, wie man es seit einigen Monaten (nicht) vermisst hat. „Aufgrund der hohen Wochenmitteltemperatur (21,5°C) in KW 25 (19.-25.6.) gehen Auswertungen mittlerweile von bereits ~640 hitzebedingten Todesfällen in diesem Sommer aus“, erklärt es den bisher eher überschaubaren Temperaturverlauf zu einem Risiko. Spannend dabei: Hätte es das RKI nicht gesagt, niemand hätte etwas von der Gluthölle bemerkt, in der die Menschen wie Mücken in einer Leuchtfalle zugrunde gingen.

Das Institut hat dafür auch eine Erklärung. Aufgemerkt: „In einigen Fällen, zum Beispiel beim Hitzeschlag, führt die Hitzeeinwirkung unmittelbar zum Tod, während in den meisten Fällen die Kombination aus Hitzeexposition und bereits bestehenden Vorerkrankungen zum Tod führt. Daher wird Hitze auf dem Totenschein normalerweise nicht als die zugrunde liegende Todesursache angegeben.“ Auf Twitter erklärt das RKI: „Stattdessen müssen statistische Methoden angewendet werden, um das Ausmaß hitzebedingter Sterbefälle abzuschätzen.“

Wie gut, dass die Sprache aus der Corona-Zeit nicht überlebt hat, und auch die möglichen Einschränkungen nichts mit den Corona-Maßnahmen zu tun haben. Sonst könnte man denken, dass die alte Frage, ob nun jemand „an“ oder „mit“ Hitze gestorben ist, neuerlich aufgelegt wird. In diesem Fall nur mit umgekehrten Vorzeichen: Bisher steht Hitze als Todesursache nicht auf dem Totenschein, weil die Vorerkrankungen zum Tod führen.

Auch in anderen Fällen macht sich ein Déjà-vu breit. Die SPD in Schleswig-Holstein will das öffentliche Leben bei Hitze einschränken. Ausgerechnet Schleswig-Holstein, bekannt für sein sowieso schon von tropischer Hitze und erbarmungslos blauem Himmel geknechtetes Klima. Klingt nach Fake News, die bei Correctiv längst widerlegt worden sind, steht aber im Spiegel. Gut, das muss beim Spiegel nichts heißen, aber auch andere Medien berichten über den Vorstoß. Die Lauterbach-Partei hat einen Antrag in den Landtag eingebracht.

Viel zu spät, viel zu gefährlich würden da andere bereits Alarm schlagen. Das neue Phänomen „Sommer“ stellt die Bürger vor bisher unbekannte Herausforderungen, und Regierung wie Medien trauen der Bevölkerung nicht zu, wie sie mit dem großen, gestern entdeckten Gasball namens „Sonne“ umgehen sollen. Das ist auch verständlich, denn eine weitere Meldung dieser Tage hatte dafür eine Erklärung: Bei Hitze schrumpft das Gehirn. Bekanntlich hört das Leben dort auf, wo man nicht einmal mehr in Birkenstock-Sandalen und Tennissocken wandern kann. Ägypten, Babylonien, und Griechenland als Ausgangspunkt der Hochkulturen mit kleinen Gehirnen.

Häufig lesen wir dieser Tage auch immer wieder von den berüchtigten tropischen Nächten, die man zuvor noch nie gekannt hat und wegen Schlafstörungen ebenfalls gesundheitsschädlich sind. Bekanntlich könnte man bei Hitze kaum schlafen. Dass das Konzept der Siesta nicht nur in Spanien existiert, und allgemeinhin dafür bekannt ist, dass man gerade wegen der großen Hitze müde ist und ein Mittagsschläfchen einlegt – und zwar in der heißesten Phase des Tages – könnte diese Alltagsweisheit womöglich etwas erodieren lassen. Lebt der Spanier wegen der Hitze allgemein schlechter als der Deutsche? Haben Sizilianer deswegen eine schlechtere Lebenserwartung?

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Dass im Mittelalter die Menschen nicht nur einen Mittagsschlaf einlegten, sondern abends sogar zwei Schlafphasen hatten – im frühneuzeitlichen England wird es allgemein vorausgesetzt, dass es einen „first sleep“ von Sonnenuntergang bis etwa 23 Uhr gab, und einen „second sleep“ ab 1 Uhr – könnte darauf hindeuten, dass Schlaf und der Umgang damit kein rein biologisches Phänomen ist, sondern kulturelle Anpassungen existieren. Beispielsweise auch, weil verschiedene Kulturen in verschiedenen Klimazonen leben. Doch unter dem Weltuntergang macht man es in der modernen Wissenschaft nicht, weil es in Teilen Deutschlands bald so warm sein könnte wie in Verona. Dort herrscht im Juli eine Mitteltemperatur von rund 25 Grad. Das ist sogar 4 Grad über der Horrormitteltemperatur, die das RKI zur Ursache von Hitzetoten erklärt.

Noch einmal: Verona. Nicht Palermo. Die Temperatur in Deutschland wird selbst beim prognostizierten Klimawandel nicht afrikanische, nicht einmal südlich-mediterrane Temperaturen erreichen, sondern uns höchstens die Hitze der Po-Ebene bescheren. Statt sich zu freuen und jetzt in die Touristikbranche zu investieren („Warum nach Verona, wenn Augsburg so nah ist?“) wird so getan, als sei das Leben in der Lombardei eine Horrorvorstellung. Ein persönliches Wort: Als gebürtiger Lombarde, der seine Wahlheimat in Verona verortet, kann man das nur als German Angst werten.

Der Hitzezirkus hat dabei nicht einmal seinen (Temperatur-)Höhepunkt erreicht. Denn Lauterbach sitzt mit seinem Zirkel aus Verbänden zusammen, um die Umsetzung des Hitzeschutzes zu beraten. Geht es nach dem Minister, sollen noch in diesem Sommer erste Hitzemaßnahmen greifen. Den Bezug zu Corona stellt Lauterbach übrigens – wieder einmal – selber her. „Heute geht es mit allen Verbänden in der Pflege um die Umsetzung des Hitzeschutzes. Der Teamgeist der Pflege ist großartig. Diese Runde hat im Herbst 22 die Coronatoten in der Pflege deutlich gesenkt. Jetzt geht es gegen Hitzetod“, schreibt er auf Twitter.

Flankiert wird die Hitzehysterie von Experten wie Medien. Auch die Bild-Zeitung macht keine Ausnahme und warnt dieses Wochenende vor 40 Grad. In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund!

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