Tichys Einblick
Lauterbachs Gesetz

DAK warnt vor „Beitragssatz-Tsunami“ im nächsten Jahr

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Krankenkassen "konsolidieren". Für ihn heißt das: Rücklagen abbauen, Schulden machen und die Beiträge erhöhen. Die DAK warnt vor einem "Tsunami".

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Die Versicherten zahlen nächstes Jahr 0,3 Prozentpunkte ihres Einkommens mehr für ihre Krankenkasse. Trotzdem müssen die Kassen ihre Reserven abbauen und einen Kredit aufnehmen, von dem sie nicht wissen, wie sie diesen zurückzahlen sollen. „Konsolidieren“ nennt der zuständige Fachminister dieses Vorgehen. Die Kassen warnen Karl Lauterbach (SPD) indes: Kommt sein Finanzierungs-Gesetz wie geplant, droht ein regelrechter „Beitragssatz-Tsunami“, wie es die DAK-Gesundheit formuliert.

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Im ersten Halbjahr haben die Krankenkassen bereits jetzt 287 Millionen Defizit gemacht, wie das Gesundheitsministerium meldet. Doch nächstes Jahr wird Lauterbach 14 Milliarden Euro aus dem System rausziehen. Um diese Summe kürzt er den steuerlichen Zuschuss. Wobei die Formulierung trügt: Sie klingt nach staatlicher Wohltat gegenüber den Kassen. Doch diese erhalten das Geld dafür, dass sie wiederum Aufgaben finanzieren, die eigentlich staatlich wären. So zahlt der Staat den Kassen alleine 10 Milliarden Euro zu wenig von dem zurück, was Bezieher von Hartz IV die Kassen im Jahr kosten, wie der Dachverband der Kassen mitgeteilt hat.

Der Gesundheitsfonds – eine Art gemeinsames Konto der Kassen – machte im ersten Halbjahr 2,1 Milliarden Euro Verlust. Das sei saisonbedingt, sagt das Gesundheitministerium. Weil in der zweiten Jahreshälfte die Erträge aus dem Weihnachtsgeld dazukämen. Die Reserve im Gesundheitsfonds ist demnach unter 6 Milliarden Euro gesunken. Im nächsten Jahr bricht Lauterbach ein Tabu. Die Kassen müssen einen Kredit über 1 Milliarde Euro aufnehmen. Eigentlich ist ihnen das per Gesetz untersagt, aber Lauterbach hat einen rechtlichen Umweg gefunden. „Konsolidieren“ nennt er das. Auch die Pflegekasse hat er in diesem Sommer mit einem Kredit „konsolidiert“, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden.

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Die Krankenkassen selbst hatten laut Gesundheitsministerium Ende Juni noch eine Reserve von 9,6 Milliarden Euro. Das entspricht nicht einmal mehr der Hälfte dessen, was sie in einem Monat ausgeben. Die DAK spricht in diesem Zusammenhang davon, dass einige der bundesweit 97 Kassen gezwungen sein könnten, den Beitrag innerhalb des Jahres erneut zu erhöhen. Lauterbach will diese Rücklage aber weiter herunter „konsolidieren“, um die Lücke für 2023 notdürftig zu stopfen.

Die DAK warnt, das verlagere nur die Probleme. Im nächsten Jahr sei ein „Beitragssatz-Tsunami“ zu erwarten. Zumal die Kassen auch nicht wüssten, wie sie den Kredit zurückzahlen sollen. Für Versicherte bedeute das: Zu rasant steigenden Kosten für Gas, Strom und Lebensmittel kämen dann noch rasant steigende Kosten für die – staatlich vorgeschriebenen – Gesundheitskosten dazu. Laut seinem Haus dienen Lauterbachs Pläne aber dazu, „die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler vor zu hohen Belastungen zu schützen“.

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Die Kassen erzielten unterschiedliche Ergebnisse: Während es Knappschaft, Innungskrankenkassen und einigen kleineren Kassen gelang, ein Plus zu erwirtschaften, haute es bei den Ersatzkassen besonders stark rein: Sie kamen auf ein Defizit von 235 Millionen Euro, die AOKen machten 98 Millionen Euro Minus in einem Halbjahr und die Betriebskrankenkassen 56 Millionen Euro Minus.

Im ersten Halbjahr stiegen die Einnahmen der Kassen um 4,1 Prozent. Doch im Halbjahr davor waren viele Unternehmen wegen der Pandemie in der Kurzarbeit. Für die Zukunft sieht das Ministerium finanzielle Risiken. Sprich: Eine Insolvenzwelle könnte das Zahlenwerk noch dramatischer aussehen lassen. Das Gleiche gilt für eine Welle an Unternehmen, die rechtzeitig aufhören zu produzieren und zu verkaufen, bevor sie in die Insolvenz müssen.

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Kosten zu senken ist Lauterbach im ersten Halbjahr nicht geglückt. Im Gegenteil. Allein in einem Halbjahr sind die Ausgaben für Leistungen um 5,2 Prozent gestiegen. Überdurchschnittlich stark laufen dem Minister aus Leverkusen die Kosten für Medikamente davon: 6,7 Prozent. In einem halben Jahr. Die Ausgaben für Behandlungen in Krankenhäusern sind indes unterdurchschnittlich stark gestiegen: um 4,0 Prozent.

Der Verwaltungsrat der DAK hat angesichts dieser Politik eine Resolution verabschiedet: Der Gesetzesentwurf müsse so geändert werden, dass die Versicherten weniger belastet und der „Beitragssatz-Tsunami“ im kommenden Jahr verhindert würden. Das Aufsichtsgremium schlägt vor, dass der Staat für die Kosten von Hartz-IV-Empfängern voll aufkomme.

Insgesamt müssten die Zahlungen des Staates für kassenfremde Leistungen zuverlässiger werden. Zudem solle die Mehrwertssteuer auf Arznei von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden. Es könne nicht sein, dass der Staat Futter für Hunde besser fördere als Medizin für Menschen.

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