Gotthold Ephraim Lessing war nicht nur ein großer philosophischer Aufklärer und ein nach wie vor aktueller Dramatiker (siehe „Nathan“), sondern auch ein gefürchteter Literaturkritiker. Über ein Werk eines konkurrierenden Dichters schrieb er einmal: „Das Werk enthält Gutes und Neues. Aber das Gute ist nicht neu, und das Neue ist nicht gut.“
Diese Sentenz kommt einem in den Sinn, wenn man die aktuelle – und aus ihrem Munde erste – Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) anhört. Sie hielt diese Rede soeben am 12. September 2022 – also recht exakt ein Dreivierteljahr nach ihrem Amtsantritt und fast sieben Monate nach Putins Überfall auf die Ukraine. Und sie dachte sich diese 40-Minuten-Rede als Einstieg in den Entwurf einer „Nationalen Sicherheitsstrategie“. Ein hochtrabendes Vorhaben – zudem vorgetragen vor einem handverlesenen Publikum, auch wenn die Rede auf Phoenix übertragen wurde und auf Youtube verfügbar ist.
Zudem nicht nur am Rande: Mit „Nationale Sicherheitsstrategie“ tut die Bundesregierung so, als werde dies das erste (sic!) Dokument dieser Art für Deutschland. Offenbar haben die „Ampel“-Leute noch nie etwas von den „Weißbüchern“ gehört, die in etwa drei- bis fünfjährigem Abstand Deutschland seit eh und je regelmäßig sicherheitspolitisch vermessen haben.
Was ist das Gute, und was das Neue an der Rede?
Gut und richtig ist die Rede dort, wo Lambrecht eine Rückbesinnung der deutschen Sicherheitspolitik auf die Landes- und Bündnisverteidigung fordert. Ob Deutschland als Nicht-Atom-Macht dabei, wie die Verteidigungsministerin meint, eine „Führungsrolle in Europa“ einnehmen könne, lassen wir dahingestellt. Wir sehen auch darüber hinweg, dass Lambrecht erst für Mitte der 2030er Jahre „drei einsatzbereite, kampffähige Heeres-Divisionen, voll ausgestattet, mit jeweils drei Brigaden, plus Zusatzkräften“ zusagen wollte.
Gut und richtig ist auch, wenn Lambrecht sagt, Europa und Deutschland müssten sich mehr auf ihre eigenen militärischen Möglichkeiten besinnen, zumal sich die USA aus nachvollziehbaren Gründen (man denke an Chinas expansive Gelüste gegenüber Taiwan …) mehr und mehr auf den indopazifischen Raum konzentrieren.
Die Folgen sind bekannt: Die materielle Einsatzbereitschaft des „Geräts“ liegt nach wie vor zwischen 0 Prozent (U-Boote), 40 Prozent (Hubschrauber) und 80 Prozent (diverse Panzer usw.). Allein von daher konnte Deutschland der Ukraine gar nicht so viele Waffen liefern, wie es für die Ukraine wichtig gewesen wäre. Von dem Bestreben, Putin bloß nicht zu reizen, ganz zu schweigen. Denn sonst hätte die Bundesregierung längst das Angebot von „Rhein-Metall“ angenommen, hundert dort ausgemusterte und herumstehende Leo-Panzer zu reaktivieren und für die Ukraine zu ertüchtigen.
Dann wird Lambrecht bei den „2 Prozent“ sogar ziemlich vollmundig. Wörtlich sagte sie dazu: „Weniger wird es nicht werden, da lege ich mich fest. Da wird es keine Hintertüren geben und auch keine Relativierungen und Taschenspielertricks.“ Das könnte man übrigens als einen Seitenhieb gegen Außenministerin Baerbock verstehen, deren Partei ja seit eh und je auch internationale Hilfsprojekte in die 2 Prozent hineinrechnen wollte.
Wie auch immer man die 2 Prozent berechnet oder kosmetisch herrichtet: Wir haben hier auf TE referiert, dass die 2 Prozent über 2025 hinaus gar nicht möglich sind, weil dann nämlich die 100 Milliarden „Sondervermögen“ aufgebraucht bzw. jetzt schon voll verplant sind (siehe hier). Zuletzt war man mit einem 45,65-Milliarden-Haushalt (2020) bzw. einem 46,93-Milliarden-Etat (2021) für die Bundeswehr – je nach Berechnung – zwischen 1,4 und 1,5 Prozent BIP-Anteil hängengeblieben. Zwei Prozent aber, ohne das Sondervermögen zu stemmen, würde heißen: Der Etat für die Bundeswehr müsste auf jährlich etwa 65 bis 70 Milliarden aufgestockt werden. Für 2022 hat man Anfang Juni 2022 nun 50,4 Milliarden eingeplant. Und was ist ab 2025? Hier ist das von Lambrecht neu Datierte und Angekündigte wahrlich nicht gut, zumindest unseriös.
Schuldig blieb Lambrecht übrigens halbwegs konkrete Aussagen zu zwei nicht gerade marginalen Punkten. Erstens: Wie will die Bundeswehr den bis 2025 geplanten Aufwuchs der Personalstärke von aktuell 183.000 auf 203.000 bewerkstelligen, wo doch jetzt schon 20.000 Dienstposten nicht besetzt sind? Und zweitens: Welches Gewicht hat die von Kanzler Scholz kürzlich in Prag ventilierte Vorstellung, Deutschland solle zusammen mit anderen europäischen Nato-Partnern eine Art „Iron Dome“ (eine Eiserne Kugel als Raketenabwehrsystem) über Deutschland und andere Nato-Länder errichten (siehe hier).
Resümee zur Lambrecht-Rede: Zu einer „Zeitenwende“ gehört doch etwas mehr „Butter bei die Fische!“