Tichys Einblick
Was wird noch angezeigt?

Kriminalstatistik für 2017 Teil 1: Vertrauensverlust in den Staat?

Jubel von Innenminister Horst Seehofer: Die Kriminalität in Deutschland sinkt. Die Analyse zeigt: Es ist Desinformation. Gesunken ist die Bereitschaft, überhaupt noch Straftaten zur Anzeige zu bringen. Jochen Renz analysiert in mehreren Teilen die Polizeiliche Kriminalstatistik.

@ Odd Andersen/AFP/Getty Images

Wie man schon zwei Wochen vor Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2017 lesen konnte, ging die Kriminalität 2017 so stark zurück wie zuletzt Anfang der 90er Jahre, angeblich um fast 10%. Nachprüfen ließ sich dies zwar nicht, Zweifel gab es aber von allen Seiten, widerspricht dies doch stark dem empfundenen Anstieg von Kriminalität. Bevor wir die inzwischen öffentlich verfügbare PKS 2017  näher untersuchen, zunächst eine Analyse wie es sein kann, dass PKS und empfundene Kriminalität so weit ausseinandergehen können.

Ist es die Überlastung der Polizei?

Die PKS gliedert sich im wesentlichen in drei Teile: die begangenen Straftaten, die Opfer von Straftaten und die ermittelten Tatverdächtigen, d.h., diejenigen Personen, die nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen als Täter feststehen. Der offensichtlichste Grund für die Diskrepanz zwischen empfundener Kriminalität und der Anzahl Tatverdächtiger in der PKS könnte eine möglicherweise starke Überlastung der Polizei sein, die mit der Ermittlung von Tätern nicht mehr hinterherkommt. Können keine Tatverdächtigen ermittelt werden, so können sie auch nicht in der PKS auftauchen. Man liest immer öfter, dass die Polizei mit Großaufgeboten wie in Ellwangen anrücken muss und dass Polizeieinsätze viel häufiger sind als früher. Wie soll da Zeit bleiben für die Ermittlung von Tatverdächtigen, vor allem bei Straftaten, die eher als Bagatelldelikte bezeichnet werden können? Aber auch bei schweren Straftaten ist es nicht anders. Laut Meldung der BZ ist die Anzahl noch unbearbeiteter Fälle allein beim LKA Berlin, das sich nur um schwere Kriminalfälle in Berlin kümmert auf über 55.000 Straftaten angestiegen. Als häufigster Grund wird zu hohe Arbeitsbelastung genannt. Diese Fälle tauchen nicht in der Tatverdächtigenstatistik auf. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz geht von mindestens 20 bis 25 Millionen Straftaten statt der in der PKS gemeldet 5,7 Millionen aus.  Was kann diese Diskrepanz erklären.

Angst vor Rache und mangelndem Schutz?

Es ist  nicht nur die Anzahl der Tatverdächtigen, die angeblich zurückgeht, sondern auch die Anzahl der begangenen Straftaten. Dies beinhaltet allerdings wiederum nur die angezeigten Straftaten. Werden weniger Straftaten angezeigt, dann gibt es bei ungefähr gleichbleibender Aufklärungsquote natürlich auch weniger Tatverdächtige.

Eine weitere Erklärung für die Diskrepanz von empfundener Kriminalität und PKS könnte daher auch sein, dass weniger Straftaten angezeigt werden. Schaut man sich die mittlerweile täglichen Berichte über Gewalttaten von „Männern“ und „Jugendlichen“ an, so bekommt man den Eindruck, dass Flüchtlinge eine in Deutschland bisher nicht gekannte Brutalität und Skrupellosigkeit bei Straftaten zeigen, häufig Messer mit sich führen und auch einsetzen und ausserdem oft in Gruppen unterwegs sind. Es ist nachvollziehbar, dass dies die Bevölkerung verängstigt. Hinzu kommen sehr häufige Meldungen, dass Flüchtlinge selbst bei anscheinend schweren Straftaten nach Aufnahme der Personalien wieder freigelassen werden und nur selten bestraft werden. All dies hat selbstverständlich einen sehr starken Einfluss auf das Sicherheitsempfinden der Bürger und deren Anzeigebereitschaft.

Man stelle sich vor, man ist Opfer einer Straftat mit einem oder mehreren Flüchtlingen als Täter (oder einem anderen Nichtdeutschen, den man eventuell für einen Flüchtling hält). Wird man diese Straftat anzeigen oder nicht? Laut Professor Pfeiffer und einer Studie aus dem Jahr 2003, auf die er sich häufig bezieht, werden Deutsche seltener angezeigt als Nichtdeutsche. Diese Studie wurde aber offensichtlich vor dem oben beschriebenen Anstieg der wahrgenommenen Brutalität bei Straftaten durchgeführt. Es ist daher fraglich, ob die Ergebnisse heute noch reproduzierbar wären.

Warum werden Straftaten überhaupt angezeigt?

Wie ist es also heute? Ohne eine erneute wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen, kann man darüber nur spekulieren. Man kann aber analysieren, wieso Straftaten angezeigt werden, bzw., warum sie nicht angezeigt werden und dies mit der oben genannten derzeitigen öffentlichen Wahrnehmung in Verbindung setzen.

Daher zunächst die Frage: Warum zeigt man eine Straftat überhaupt an? Mögliche Antworten sind zum Beispiel folgende:

  1. Man möchte, dass der Täter für das, was er einem angetan hat, bestraft wird.
  2. Man möchte, dass der Täter in Zukunft keine ähnliche Straftat mehr begeht.
  3. Man möchte den erlittenen Schaden von einer Versicherung ersetzt bekommen.
  4. Man möchte, dass die Straftat registriert wird und in die Statistik eingeht.

Ebenso die Frage: Warum zeigt man eine Straftat nicht an? Auch hier gibt es verschiedene Antworten, hier einige Beispiele:

  1. Man glaubt, der Täter wird sowieso nicht gefasst.
  2. Man glaubt, der Täter wird sowieso nicht bestraft.
  3. Es gibt keinen grossen materiellen Schaden, den eine Versicherung ersetzen könnte.
  4. Es ist den Aufwand nicht wert, eine Anzeige aufzugeben.
  5. Man will nicht als Rassist gelten, wenn man einen Flüchtling anzeigt.
  6. Man möchte nicht Wasser auf die Mühlen der Rechten leiten.
  7. Man hat Mitleid oder Verständnis für den Täter.
  8. Man möchte die Erinnerung an die Tat verdrängen.
  9. Man hat Angst vor dem Täter.

Für jede einzelne Straftat muss das jeweilige Opfer nun für sich selbst entscheiden, welche Gründe letztlich überwiegen und ob man die Strafttat anzeigt oder nicht. In der derzeitigen Situation, Deutschland 2017/18, wo Flüchtlinge, wenn man unzähligen Zeitungsartikeln Glauben schenkt, sehr oft sofort wieder freigelassen und nicht bestraft werden, dann fallen die ersten beiden genannten Gründe für eine Anzeige in den meisten Fällen weg, wenn es sich beim Täter um einen möglichen Flüchtling handelt. Bei Bagatelldelikten rät laut verschiedener Zeitungsberichten selbst die Polizei inzwischen von einer Anzeige ab. Gibt es einen materiellen Schaden, der von einer Versicherung ersetzt werden soll, so ist immer noch die Frage, ob der Schaden gross genug ist, um die negativen Gründe aufzuwiegen.

Besonders die Angst vor dem Täter ist ein wichtiger Faktor, der durch die unzähligen Berichte über äusserst brutale und skrupellose „Männer“ und „Jugendliche“ mit Sicherheit stark an Bedeutung gewinnt. Wieso sollte ein Schaffner eine Gruppe von Flüchtlingen kontrollieren, wenn er Angst haben muss, von diesen angegriffen zu werden? Wieso sollte man einen Flüchtling anzeigen, wenn die Tat irgendwo passiert ist, wo man sich regelmässig aufhält, zum Beispiel auf dem Nachhauseweg oder in der Nähe der eigenen Wohnung? Man müsste lebensmüde sein, da man viel zu leicht wieder auffindbar ist und man beim nächsten Aufeinandertreffen vielleicht die Bekanntschaft mit einem Messer oder den Fäusten und Füssen einer grösseren Gruppe macht.

Wie aussagekräftig ist die Polizeiliche Kriminalstatistik?

Schaut man sich all diese Gründe für den Rückgang von Straftaten und den Rückgang von Tatverdächtigen an, und zieht in Betracht, dass sich die Persönlichkeit von Menschen normalerweise nicht stark verändert, aus Kriminellen also nicht über Nacht Waisenknaben werden, so ist dieser Rückgang vermutlich kein Grund zur Freude. Es ist wohl viel eher die Kapitulation vor der rücksichtslosen Gewalt, Brutalität und Skrupellosigkeit, die in Deutschland mittlerweile an der Tagesordnung ist. Es ist wohl viel eher der massive Vertrauensverlust in den Staat, Täter konsequent zu bestrafen und auszuweisen. Solange dies nicht geschieht und solange die Sicherheit der Bürger nicht wiederhergestellt wird, solange ist der scheinbare Rückgang der Kriminalität bedeutungslos und kein Grund zur Freude.

Referenzen: Jürgen Mansel, Günter Albrecht, Die Ethnie des Täters als ein Prädiktor für das Anzeigeverhalten von Opfern und Zeugen: Die private Strafanzeige als Form der Konfliktregulierung. Soziale Welt: Zeitschrift für Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis. Januar 2003.


© Tichys Einblick, Nachdruck nur mit Genehmigung

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