Über die unmenschliche Situation in den Altenheimen unter den neuen Corona-Gesetzen ist viel geschrieben worden. Die Tatsache, dass es sich bei den Betroffenen um die oftmals vortraumatisierte Kriegsgeneration handelt, spielt im Bewusstsein der Problematik jedoch kaum eine Rolle.
Mein Vater, Jahrgang 1934, ist ein Kriegskind des Zweiten Weltkrieges. Kurz vor der Corona-Krise kam er in ein Altenheim – eine Situation, in die er niemals kommen wollte und vor der er große Angst hatte. Wochenlang konnte ich meinen Vater aufgrund der rigorosen Besuchsverbote nicht sehen. Dieses dreiteilige Essay schreibe ich unter dem Eindruck – oder besser Schock – meines Erstbesuchs nach langer Pause. Im ersten Teil werde ich kurz den familiären Hintergrund beleuchten. Im zweiten Teil schildere ich das inhumane Prozedere meines Besuchs im Altenheim. Der dritte Teil gibt schließlich meine aktuelle Einschätzung zur Corona-Krise wieder.
Familiäre Vorgeschichte
Mein Vater hatte sein Leben lang so ziemlich alles unternommen, um nicht mehr an die Hamburger Bombennächte erinnert zu werden, in deren Folge seine Mutter starb. Arbeitssucht, exzessives Hobby und Alkohol sollten helfen, die innerpsychische Schieflage auszugleichen – mit mäßigem Erfolg. Die vielleicht tragischste Auswirkung seiner kindlichen Kriegstraumatisierung bestand jedoch darin, dass er keine echte Nähe zu seinen Liebsten aufbauen konnte. Seine Fürsorge für die Familie beschränkte sich auf die ökonomische Unterstützung; ansonsten zog sich mein Vater zeitlebens auf seinen Taubenschlag zurück.
Das Desinteresse meines Vaters an meiner Person führte in meiner ersten Lebenshälfte zu Orientierungslosigkeit und Selbstinfragestellung; in der Folge konnte ich erst spät im Leben Fuß fassen. Als Therapeut, Künstler und Autor beschäftige ich mich seit Langem mit der Problematik Transtrauma, denn, wie ich schmerzlich feststellen musste, betreffen Kriege immer auch die nachfolgenden Generationen (Stichwort „Kriegsenkel“). Das Verhältnis zu meinem Vater blieb Zeit meines Lebens distanziert. Substanzielle Gespräche oder körperliche Nähe fanden so gut wie niemals statt.
Nach der Scheidung von meiner Mutter lebte mein Vater zurückgezogen auf dem Land und widmete sich nun voll und ganz der Brieftaubenzucht. Im Umgang mit den Tieren war ihm eine gewisse Zuneigung und Nähe möglich; die Entwicklung seiner Kinder, meiner Schwester und mir, interessierte ihn hingegen kaum. Allenfalls zu Weihnachten oder zum Geburtstag war ihm ein gemeinsames Kaffeetrinken wichtig, denn formal gehörte es sich so. Bei diesen ein- oder zweimal im Jahr stattfindenden Treffen durften allerdings niemals substanzielle Gespräche aufkommen, denn dies hätte womöglich Nähe bedeutet. Sofern man dennoch dem Bedürfnis nachgab, ihn auf den Stand der Dinge bringen zu wollen, rutschte er unruhig auf dem Stuhl herum, schaute wie abwesend aus dem Fenster, um schließlich ostentativ das Thema zu wechseln. Der neue Rasenmäher oder die Winterreifen für den Golf schienen dann urplötzlich die wichtigsten Themen auf der Welt zu sein.
Von Jahr zu Jahr wurde das gemeinsame Kaffeetrinken schwieriger, denn spätestens nach einer Stunde gingen die unverfänglichen Themen aus. Obgleich wir uns nur selten sahen und sich mein Vater sogar irgendwie auf die Treffen freute, waren insgeheim alle Beteiligten erleichtert, sobald der Abschied nahte. Zum Schluss gab es eine kurze, distanzierte Umarmung, die sich vorsichtshalber in ein kumpelhaftes Klopfen auf den Rücken wandelte – dann hörte man monatelang nichts mehr voneinander.
Stattdessen flüchtete er sich in die fixe Idee einer erneuten Hüftoperation, von der er sich eine Verjüngung um viele Jahre erhoffte. Da mein Vater weder dement noch entmündigt war, blieb meiner Schwerster und mir nichts anderes übrig, als ratlos auf irgendeine Hiobsbotschaft zu warten. Früher oder später hielten wir einen schweren Sturz mit Oberschenkelhalsbruch für unausweichlich, zumal sich mein Vater zu dem täglichen Elend auf dem Taubenschlag jeden Abend eine mörderisch steile Stiege in sein Schlafzimmer hinauf quälte.
Vor gut einem Jahr traten schließlich drei Ereignisse ein, die zu einer Eskalation der Situation führten: Zum einen bestätigten die konsultierten Ärzte, dass eine erneute Hüftoperation – es wäre die dritte gewesen – aufgrund des fortgeschrittenen Muskelschwundes unmöglich geworden war. Zum anderen war mein Vater gezwungen, einen Großteil der Tauben abzugeben, da er sie schlichtweg nicht mehr artgerecht versorgen konnte. Zum Dritten baute meine Schwester sein Wohnzimmer mit einem altengerechten Bett, TV-Liftsessel und Sofa um, damit er sich nicht länger die steile Stiege in sein Schlafzimmer hinaufquälen musste – eine Treppe übrigens, die selbst gesunden und jungen Personen Respekt abverlangt.
Objektiv hätten diese Maßnahmen eine große Erleichterung der Lebenssituation bedeutet. Doch bereits in der ersten Nacht im nagelneuen Bett befielen meinen Vater dramatische Ängste, die sich unter keinen Umständen mildern ließen. In den darauffolgenden Tagen entwickelte er eine panische Angsterkrankung und Depression. Trotz Medikation potenter Psychopharmaka ließen sich die diffusen Ängste nicht mehr ambulant in den Griff bekommen. Nach angedrohtem Suizid und nächtlichen Anrufen bei ärztlichen Notdiensten folgten schließlich monatelange Klinikaufenthalte.
Im Vollbesitz aller geistigen Kräfte und ohne jegliche Demenz durchlebte er Tag für Tag und Stunde um Stunde nackte Angst, ohne ergründen zu können, worin diese Angst bestand. Nach Monaten aussichtsloser Therapieversuche wurde mein Vater schließlich in ein Pflegeheim überstellt. Am Zustand seiner Depression änderte sich nichts. Eine Rückkehr in sein Häuschen und damit zu seinen geliebten Tauben, die er bei einem Vereinskollegen in Pflege gegeben hatte, wurde gänzlich undenkbar. Dann kam Corona.
Besuch im Heim
Zu Beginn der Corona-Krise war mein Vater bereits so tief in seiner Depression gefangen, dass er keinerlei Medien mehr konsumierte. Weder Fernsehen noch Zeitungen, ja, nicht einmal persönliche Postkarten oder Briefe mochte er noch lesen. Auch telefonieren klappte nur noch bedingt. Ein eigens dafür installiertes altengerechtes Telefon nutzte er nicht mehr. Flach atmen, die Angstattacken im Griff halten und auf die abendliche Schlaftablette warten waren seine einzigen Beschäftigungen.
Die Pfleger im Heim verbuchten diesen Zustand kurzerhand als schwere Demenz – von einer Angsterkrankung hatten sie keine Ahnung. Die Vorstellung, mein Vater sei dement, machte den Umgang mit ihm leichter. Natürlich fühlt sich niemand berufen, einen Demenzkranken über Corona aufzuklären. In der Welt meines Vaters gab es kein Corona und weder die Bilder aus China noch aus Italien erreichten ihn. Dann kam das monatelange Besuchsverbot zum „Schutz der Risikogruppen“. Ohne Kenntnis der Lage musste mein Vater den Eindruck gewonnen haben, dass wir jegliche Besuche von uns aus eingestellt hatten. Irgendwann kam dann mein Erstbesuch nach langer Corona-Zwangspause.
Auf der Terrasse angekommen sah ich meinen Vater erstmals nach der langen Zwangspause. Bei meinem letzten Besuch war er noch in der Lage gewesen, selbstständig zu gehen, wenn auch an einem Rollator. Inzwischen lag er in einer Art Liegerollstuhl mit breiter Kopfstütze. Die Arme und Beine waren inzwischen so stark atrophiert, dass selbstständiges Gehen unmöglich geworden war. Ein Pfleger hatte ihm für den Besuch eine bunte Sportjacke angezogen, die ich zuvor noch nie bei ihm gesehen hatte. Zudem trug er einen breiten, braunen Mundschutz, was mich in Kombination mit dem Liegerollstuhl an den gefesselten Hannibal Lecter aus „Schweigen der Lämmer“ erinnerte.
Schwer atmend und mit angstgeweiteten Augen versuchte er, die Situation zu erfassen, denn bislang hatte man ihm weder einen Mundschutz verpasst, noch ihn auf die Terrasse geschoben. Dennoch war schnell war klar, dass mein Vater nicht im Ansatz dement war. Er erkannte mich sofort, obwohl auch ich eine Maske trug. „Ich werd’ verrückt! Ich werd’ verrückt!“, rief er aus, als er mich sah. Dann streckte er mir mit strahlenden Augen beide Arme entgegen, um mich herzlich zu umarmen. Eine derartige Geste hatte ich niemals zuvor bei ihm gesehen.
Noch bevor ich reagieren konnte, wurde ich von einem Pfleger abgedrängt. „Nein, kein Kontakt! Das ist verboten!“ Eine Pflegerin schob meinen Vater sofort auf den hinteren Teil der Terrasse. Er versuchte noch, sich zu mir umzudrehen, doch vergebens. „Zuerst die Formulare! Haben Sie ein Besucherformular mitgebracht?“
Am Eingang zur Außenterrasse des Altenheims stand ein improvisierter Empfangstresen, darauf Formulare, Kugelschreiber und Desinfektionsmittel. Obgleich hier natürlich jeder wusste, wer ich war, sollte ich erneut meine kompletten Personaldaten hinterlegen. Im nächsten Formular ging es um eidesstattliche Versicherungen: keinerlei Kontakte zu Covid-Patienten gehabt, keine Auslandsaufenthalte, gesundes Körpergefühl, keine Hustensymptomatik, keine erhöhte Temperatur … Gefühlt dauerte das Prozedere eine halbe Ewigkeit; währenddessen versuchte mein Vater vergeblich, Kontakt mit mir aufzunehmen.
Endlich durfte ich den hinteren Bereich der Terrasse betreten, auf den man meinen Vater geschoben hatte. Ich schaute mich um und stellte fest, dass es hier eigentlich recht nett aussah. Die Heimleitung hatte für die Angehörigentreffen sogar Biertischgarnituren aufgestellt. Erst auf den zweiten Blick wurde mir bewusst, dass die Biertische in der Langversion von 2,5 Meter nur aufgestellt wurden, um als Abstandshalter zu fungieren. Mein Vater wurde an einer Stirnseite des überlangen Tisches platziert, ich sollte auf einem Gartenstuhl an der anderen Stirnseite Platz nehmen. Anfangs hielt ich diese Installation für einen schlechten Scherz. Durch die halb liegende Position meines Vaters war er nun weit über drei Meter von mir entfernt. Direkt über seinem Kopf rauschte ein Ventilator, vermutlich von der Klimaanlage des Heimes.
Dann stellte die Pflegerin verwundert fest: „Oh, der fängt ja gleich an zu weinen. Bitte nicht weinen, sonst weine ich gleich noch mit.“ Nach mehr oder weniger erfolglosen Versuchen, über die lange Distanz und durch die Masken über den Tisch zu brüllen, stellten mein Vater und ich unsere Kommunikationsversuche ein. Irgendwann wurde klar, dass ihm das Liegen im Rollstuhl Schmerzen bereitete. Durch Gesten bedeutete er, Durst zu haben. Ich machte die Pflegerin aufmerksam, die daraufhin einen Pappbecher mit etwas Wasser holte.
Nachdem sie meinem Vater den Becher mit Wasser gereicht hatte, sagte sie zu mir: „Darf ich sie jetzt bitten aufzustehen und sich um weitere zwei Meter nach hinten zu setzen?“ Ich verstand den Sinn nicht. Warum sollte ich die ohnehin groteske Entfernung nun zusätzlich auf fünf Meter ausweiten? „Es ist nur … Sie müssen verstehen … Wir haben unsere Anweisungen. Sobald jemand etwas zu sich nimmt … Also, das Ganze darf keinesfalls nach einem Kaffeekränzchen aussehen!“
Ein alter Mann, der vermutlich ohnehin zu wenig trinkt, bekommt einen Pappbecher mit einem Schluck Wasser gereicht – und die größte Sorge einer Pflegerin besteht darin, es könnte nach einem Kaffeekränzchen aussehen? Was hat man mit Menschen wie dieser Pflegerin gemacht, dass sie derart brav die absurdesten staatlichen Vorgaben befolgen? Und dies sogar gegen die ureigensten Impulse zur Menschlichkeit. Noch vor wenigen Minuten hatte die Aufpasserin selbst Angst davor gehabt, die unmenschliche Situation könnte sie zu sehr emotionalisieren.
Da die Kommunikation mit meinem Vater ohnehin nicht möglich war, wandte ich mich an die Pflegerin und fragte, ob sie an den Sinn der Corona-Maßnahmen tatsächlich glaubt. „Ich weiß es ja auch nicht. Aber was man so im Fernsehen sieht. Und wenn sich hier nur einer ansteckt, ich meine, dann haben wir hier doch die Hölle!“ Ich erklärte ihr, ich hätte Corona anfänglich auch sehr ernst genommen, mich dann aber intensiv in das Thema eingelesen. Und mit jeder weiteren Studie und jedem weiteren Monat habe sich Corona immer mehr als Scheinriese entpuppt. Natürlich kann man niemanden, der nur Mainstreammedien konsumiert, in Kürze auf den Stand der Dinge bringen. Zumindest fragte ich die Frau, ob ihr bekannt sei, dass ungeachtet aller Horrorzahlen in ganz Deutschland bislang noch immer keine Übersterblichkeit herrsche.
Die erzwungene Distanz zu meinem Vater brachte mich ihm näher als jemals zuvor. Es zerriss mir das Herz zu sehen, dass nun, wo er endlich Nähe suchte und zulassen konnte, diese aufgrund der Corona-Gesetze nicht mehr möglich war. Auf dem Weg zum Parkplatz kam ich noch einmal an der Pflegerin vorbei, die gerade mit einer Kollegin sprach. Im Vorbeigehen schnappte ich einige Wortfetzen auf. „Viel gelesen hat er über Corona … Keine Übersterblichkeit, hat er gesagt … Hat man so was schon mal gehört …“
Am Auto angekommen konnte ich lange Zeit nicht losfahren. Zuerst musste ich meine Trauer und Wut beruhigen. Dabei wäre der Schmerz über das Geschehen um ein vielfaches erträglicher, wenn ich, wie noch Anfang März 2020, an die Gefährlichkeit von Corona und damit an den Sinn der Maßnahmen glauben würde. Doch bei meinem jetzigen Kenntnisstand empfinde ich das Geschehen nur noch als sinnlose Quälerei.
Corona-Glaube
Selbst wenn man an die dramatische Gefährlichkeit von Corona glaubt, müsste jeder humanistisch gebildete Mensch angesichts der Realität in den Altenheimen, Kitas und Schulen größte ethische Konflikte entwickeln. Wie es der deutsche Ethikrat anmahnt, muss zwischen der realen Virusgefahr und den psychologisch-sozialen und ökonomischen Folgen von Isolation und Lockdown abgewogen werden. Wie immer gilt: Eine Therapie darf niemals größeren Schaden anrichten als die Krankheit.
Die dramatische Ersteinschätzung bezüglich Corona unverändert bis in den Juni 2020 aufrechtzuerhalten, finde ich je nach Motivation ignorant, zynisch oder pathologisch. Zur Erinnerung: Der Rahmen dieser Ersteinschätzung, vertreten durch die WHO, das RKI, Prof. Drosten und führende Politiker, war folgender: Das neuartige Coronavirus ist hochansteckend und hat eine 10- bis 20-fach höhere Todesrate als eine schwere Grippe. Im günstigsten Fall und bei optimaler Vorbereitung sowie strengem Lockdown hat Deutschland eine Todesrate von mindestens 120.000 Toten zu erwarten. Im ungünstigen Fall und bei Überforderung des Gesundheitssystems wird es weit über eine Million Tote geben. Spätestens im Sommer 2020 wird jeder Bürger mindestens eine Person in der Familie oder im Freundeskreis kennen, die durch Corona ums Leben gekommen ist.
Zudem wird es höchstwahrscheinlich eine zweite oder dritte Welle geben, die dann noch dramatischer verläuft als die erste. Von allein wird diese schreckliche Krankheit nie mehr verschwinden; eine kausale Therapie gibt es nicht und die einzige Hoffnung der Menschheit besteht in der schnellen Entwicklung eines Impfstoffes. Angesichts der Gefährlichkeit von Corona kann es bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes für jeden Erdenbürger keine echten Freiheiten mehr geben.
Selbst wer sich in den letzten drei Monaten um keine weiteren Informationen bemüht hat, wird zugeben müssen: Das von Politik und Medien postulierte Horrorszenario trat in keiner Weise ein. Trotzdem labten sich die Medien über Monate auf geradezu kindische Weise an absoluten „Corona-Fallzahlen“, die ohne Bezugsgrößen nicht die geringste Aussagekraft haben. Und als habe es in den Redaktionsstuben nie so etwas wie wissenschaftlich denkende Mitarbeiter gegeben, werden bis heute absolute Fallzahlen gehandelt, ohne sie in Relation zu den durchgeführten Tests zu setzen.
Doch eine Frage müsste selbst Laien und Ignoranten stutzig machen, denn unter dem Strich und Butter bei die Fische: Wo sind denn nun die vielen Toten? Denn wie man es auch dreht und wendet – in Wirklichkeit belegen die hochoffiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Über den bisherigen Jahresverlauf hat es keine signifikante Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren gegeben. Auffällig ist allerdings, dass es in der Wintersaison 2019/20 so gut wie keine Grippetoten gab, dafür aber mehr „Corona-Tote“. Insgesamt sind aber nicht mehr Menschen gestorben als in den Jahren zuvor.
Die Liste der Professoren und Wissenschaftler, die sich angesichts der Fakten mit Vehemenz gegen die immer noch aufrechterhaltenen Corona-Maßnahmen stellen, wird demzufolge von Woche zu Woche länger. (Siehe dazu: „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V.“) Auch wer immer noch glaubt, einzig der Lockdown und das rigorose Durchgreifen der Regierung Merkel seien für den glimpflichen Verlauf verantwortlich, ist längst widerlegt. Sogar die Daten des RKI belegen: Die Pandemie war bereits vorbei, noch bevor die Maßnahmen greifen konnten. Außerdem stehen Länder ohne Lockdown nicht wesentlich schlechter da als jene mit Lockdown. Auch in Staaten, in denen es so gut wie keinen Lockdown gab, blieb die postulierte Katstrophe von Hundertausenden Toten aus.
Natürlich ist Corona trotzdem eine ernstzunehmende Viruserkrankung, insbesondere für die entsprechenden Risikogruppen. Inzwischen liegen jedoch weltweit belastbare Studien vor, die Corona in puncto Gefährlichkeit auf Grippeniveau heruntergestuft haben. Unbestreitbar hat es dennoch dramatische lokale Phänomene gegeben, die sich aber durchaus durch ungünstige Bedingungen vor Ort erklären lassen: Angst und Panik bei der älteren Bevölkerung (Nocebo-Effekt) und damit Überlastung der Krankenhäuser, Fehleinschätzung der neuen Krankheit und damit Fehlbehandlung (zum Beispiel zu frühe und zu häufige Intubation), lokal überforderte Gesundheitssysteme (Italien, New York), Überalterung der Bevölkerung, Umweltschäden, präventive Massenmedikation potenziell toxischer Medikamente, insbesondere des Malariamittels Hydroxychloroquin, und vieles mehr. Die Liste der lokalen, multifaktoriellen und iatrogenen Faktoren ist lang.
Zu Recht wird darüber spekuliert, ob gewisse Kräfte das Angst-Mem Corona bewusst lanciert und angeschoben haben. Vielleicht waren die Angstmacher sogar selbst überrascht, wie schnell der Zug Fahrt aufnahm, bis er durch die Leitplanken brach. Selbst etablierte Medien kritisieren, dass sich seit der Privatfinanzierung der WHO durch Pharmakonzerne viele Aufgabenschwerpunkte und vor allem die Pandemie-Definitionen verschoben haben. Nicht mehr real Erkrankte und Tote sind die Bezugsgrößen für eine Pandemie, sondern Labornachweise äußerst umstrittener PCR-Tests. Insgesamt liegt der neue Fokus der WHO jetzt auf monokausalen Ursachen für Krankheiten, vor allem Viruserkrankungen. Dabei ist lineares Ursache-Wirkungs-Denken eigentlich ein Rückschritt in das vorletzte Jahrhundert, da Gesundheit immer von komplexen, multikausalen Faktoren abhängig ist. Trotzdem scheint das mit dieser Simplifizierung verbundene Geschäftsmodell einer Massenimpfung – natürlich auf Staatskosten – überaus verlockend zu sein.
Trotz neuer Erkenntnisse über die tatsächliche Gefährlichkeit von Corona gibt es immer noch Protagonisten, die sich wider besseres Wissen dumm stellen. Ganz einfach, weil sie das Schlauerwerden Kopf und Kragen kosten würde. Viele Politiker und Journalisten gehören dazu. Historiker werden eines Tages dennoch festhalten, dass die „Corona-Krise“ weniger eine virale als eine mediale Pandemie war. Erstmals in der Menschheitsgeschichte konnte über die globale Vernetzung ein Massen-Mem zünden, das zu einem Teufelskreis ungeahnten Ausmaßes führte. Videobilder lokaler Phänomene sorgten für weltweite Panik. Etablierte Medien verstärkten den Handlungsdruck auf Politiker. Kaum ein verantwortlicher Entscheider hielt dem Druck seiner Bürger lange stand, sobald er den Eindruck bekam, ein Nachbarland schütze seine Bewohner dank rigoroser Maßnahmen besser.
Außerdem hat das Ego aller Beteiligten Blut geleckt. Verzicht und Kasteiung der Bürger wurden schließlich über viele Monate mit Pathos und Heroismus versüßt. „Wir bleiben zu Hause …, Wir stehen zusammen …, Gemeinsam und solidarisch gegen einen übermächtigen Feind …, Im Kampf vereint …, Unerschütterlich gegen das Virus …, Wir stellen uns auf den Balkon und klatschen für die Helden des Alltags …“ Für viele Menschen hat sich das verdammt gut angefühlt. Natürlich will nach diesem Heldentum und Verzicht am Ende niemand hören: „Sorry, Leute – wir haben uns geirrt. Das Ganze war ein dummes Missverständnis. Corona ist doch nicht viel mehr als eine saisonale Grippe. Echt blöd, dass ihr jetzt arbeitslos seid und die größte Rezession der Geschichte durchstehen müsst …“
Abgesehen davon geht es wie immer um Macht. Warum sollten die Merkel, Söder und Co. bei einer Verdopplung der CDU in wenigen Monaten irgendetwas an ihrer rigiden, paternalistischen Politik ändern? Ein Großteil der Deutschen will offenbar tatsächlich wie Kinder behandelt und erzogen werden. Die Infantilität weiter Teile der Generation Babyboomer ist eine Hauptfolge von Transtrauma und Bestandteil meiner Grundthese. Neben der Klima-, Gender- und Zuwanderungsdebatte zeigte sich dieser Mechanismus niemals deutlicher als in der Corona-Krise.
Gastautor Raymond Unger lebt als Autor und bildender Künstler in Berlin. In seinem jüngsten Buch „Die Wiedergutmacher – Das Nachkriegstrauma und die Flüchtlingsdebatte“ (Europa Verlag 2018) untersucht der Autor den Umgang deutscher Eliten aus Politik, Medien und Kultur mit der sogenannten Flüchtlingskrise. In seiner Familienchronik „Die Heimat der Wölfe“ (Europa Verlag 2016), beschäftigt sich der Autor mit der „transgenerationalen Weitergabe des Kriegstraumas“.