»Pfui und Igitt!«, sagte mein kleiner Sohn, als die Rede einmal auf die Liebe kam, und das süße Tochterlein ergänzte: »Und so peinlich!«
Nein, man kann die Liebe nicht erklären, die Lust nicht und das Verlangen ebensowenig. (Der schreibende Vater erwägt für einen Augenblick, dem Kind die Liebe wie folgt zu erklären: »Das ist wie wenn du Schokolade oder Eiscreme willst, nur eben mit Menschen!« – Der schreibende Vater spart sich für den Augenblick diese Erklärung, denn er fürchtet, dass es weit mehr verstören als erklären würde.)
Nein, die Liebe lässt sich nicht erklären. Man kann um sie herum Symphonien schreiben, man kann aus Liebe einen Taj Mahal am Ufer des Yamuna bauen (oder aus Baulust auch einen Taj Mahal aus Lego) oder einen Krieg um Ilios führen – doch erklären, nein, erklären lässt sie sich nicht (Tipp: Helenas Couple-Selfie von 1788 bietet etwas für beide Präferenzen).
Natürlich ist uns nicht nur die Liebe als treibende Kraft angeboren, auch das Gewissen ist angeboren, die Ethik sowieso, aber auch die Verantwortung.
Die guten Triebe erscheinen uns als grundlegend und selbstverständlich, da sie allen Menschen angeboren sind. Jedoch, so wie Menschen existieren, die ohne Beine geboren wurden, und andere, denen ein oder zwei Beine später abhanden kamen, so existieren – was denkt sich Gott dabei? – leider auch Menschen ohne die grundlegenden guten Triebe – manchen fehlt das Gute von Geburt an, manchen ist es später abhanden gekommen – man denke etwa an Psychopathen (haben kein Mitgefühl), Soziopathen (ignorieren ihr Mitgefühl) oder natürlich an Journalisten (sind Journalisten).
Einer jener guten Triebe, deren Zuteilung in schmerzhaft verschiedenen Portionen erfolgte, ist die Verantwortung.
Manche Menschen zerbrechen geradezu an ihrem Verantwortungsgefühl. Es hält sie wach und wiegt schwer auf ihren Schultern wie das Joch auf den Schultern des Ochsen. Doch dann gibt es die Leichtfüßigen und Unbeschwerten, denen Verantwortung gänzlich abgeht, deren Verhältnis zur Verantwortung dem Ihres Lieblingsessayisten zur Bescheidenheit ähneln könnte: Verantwortung ist eine Zier, doch leichter schwätzt sich’s ohne ihr!
Wo wir aber von Menschen ohne Verantwortungsgefühl reden, wären wir – Sie ahnen es, geschätzte Leser! – bei der Tagespolitik.
Die Richtung wechselnde Weiche
Michael Endes Scheinriese ist ein Riese der kleiner wird, je näher man ihm kommt. Berlin ist ein Möchtegernriese, der langweiliger wird, je näher man ihm kommt – oder verwirrter, wenn einem »langweilig« als Begriff hier nicht zusagt. An Kreuzberg ist abzulesen, wie die gesamte Propagandarepublik Deutschland aussehen könnte, wenn dieser Zug nicht sehr bald eine sehr eindeutig die Richtung wechselnde Weiche findet.
Es ist in gewissen Kreisen üblich, den »Fremden« die Schuld am eigenen Versagen aufzubürden – sie können sich ja kaum wehren, verstehen sie doch oft weder Sprache noch Anklage. Eine Dame, die das so treibt, ist Monika Herrmann, eine Grüne und als solche auch Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg. Viele Jahre hat Frau Herrmann die Schuld für den Dreck in dem von ihr verwalteten Bezirk auf die Fremden geschoben – natürlich nicht auf die »fremdländischen« Drogendealer im Görlitzer Park, sondern auf die Touristen.
Es ist Spätsommer 2020, der Tourismus ist weltweit erlahmt, auch in Berlin-Kreuzberg, dieser »bunten« Zukunft Deutschlands, und Frau Herrmann stellt fest, dass die Schuld an der »Verwahrlosung« des von ihr verantworteten Bereichs gar nicht die Schuld der »europäischen Touristen« ist, »die durch den Bezirk mäandern« (vergleiche welt.de, 2.9.2020).
Matthias Nikolaidis fragt bei Tichys Einblick:
Will sie einen nationalen Flügel bei den Hauptstadtgrünen aufbauen, nach dem Vorbild von Lafontaine und Wagenknecht? Oder wären ihr vielleicht Nicht-Europäer lieber? (tichyseinblick.de, 3.9.2020)
Die Touristen bleiben weg, auch aus Berlin-Kreuzberg, Vermüllung und Verwahrlosung aber werden mehr – während im Görlitzer Park längst nicht mehr »nur« Cannabis, sondern auch harte Sachen wie Heroin gedealt werden.
Immerhin hat Frau Herrmann geleistet, was nicht allen Ideologen gelingt – sie erkennt das schon lange nicht mehr zu Leugnende an, nämlich dass es ein Problem gibt. Frau Herrmann setzt jedoch zu einer Lösung an, wie sie unter Linksgrünen üblich ist: sie will mehr Geld (siehe morgenpost.de, 1.9.2020), von oben, vom Senat (und damit wahrscheinlich bezahlt von Leuten wie etwa den Bayern, welche erstens die Kreuzberger Probleme nicht haben (dafür eigene), und zweitens von Frau Herrmanns Wählerschaft wahrscheinlich zutiefst verachtet werden).
Das macht dich zum Grünen
Ein Mensch wie auch eine Gesellschaft können versuchen, ohne ihre angeborenen guten Triebe zu leben. Ohne Liebe zu leben, das macht dich zum Erkalteten. Ohne Hoffnung zu leben, das macht dich zum Zyniker. Und schließlich: Ohne Verantwortung zu leben, das macht dich zum Grünen.
Ich bin recht sicher, dass die Verantwortung dem Menschen angeboren ist, so anstrengend und belastend sie ist. (Kinder in die Welt setzen zu wollen ist uns ja auch angeboren, und was könnte anstrengender sein?)
Grüne, Gutmenschen und Gesinnungsethiker (was hier zusammenfällt) richten sich nach ihrem Bauchgefühl im Moment aus, und lehnen die Verantwortung für die tatsächlichen Folgen ihrer Handlungen ab (sonst wären sie ja das philosophische Gegenteil, nämlich Verantwortungsethiker).
Der Zustand des vermüllten und verwahrlosten Kreuzbergs ist die direkte Folge einer Lebensphilosophie, welche das angeborene Verantwortungsgefühl im Menschen unterdrückt.
Prototyp für alle Stadtteile
Die Verwahrlosung und Vermüllung Kreuzbergs lehrt uns, wie wichtig es ist, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenleben dürfen (was natürlich auch Grenzen braucht, die bei Bedarf robust durchgesetzt werden).
In Kreuzberg wird linksgrünes Denken praktisch ausprobiert. Ja, es entsteht Leid. Kinder, die in Kreuzberg groß werden, wachsen in der Gegenwart von Müll, Schmutz und Drogen auf – und das ist nicht fair. Unterschiedlichkeit kann (und wird wahrscheinlich) zu Ergebnissen führen, die sich unfair anfühlen, doch alle Menschen gleich grausamen Maßnahmen zu unterwerfen ist doch keine »Fairness«.
Wenn es nach linksgrünen Ideologen geht, wäre das vermüllte, verwahrloste Kreuzberg der Prototyp für alle Stadtteile im linksgrünen Propagandastaat Deutschland. »Pfui und Igitt!«, so sagt mancher, der nach Kreuzberg kommt, und: »Das ist so peinlich!«
Das Gegenteil und das Gegenstück zur linksgrünen Ideologie der gedankenlosen Gefühligkeit ist die gelebte Verantwortung.
Es ist uns angeboren, Verantwortung zu übernehmen. Dramatisch: Der Mensch ist zur Verantwortung geschaffen.
Linksgrünes Denken bekämpft und dämonisiert die Verantwortung für das eigene Handeln über den Moment hinaus. (Auf gewisse Weise sind alle Politiker »linksgrün«, denn sie stehen selten für die Folgen ihrer Handlungen ein, und vorm Tribunal in Den Haag enden längst nicht alle, die es verdienten.)
Ich bin nicht gegen Linke und Grüne, weil ich ein politischer Mensch wäre. Ich bin gegen Linke und Grüne, weil ich gegen das Leid bin, das gelebte Dummheit und politische Verantwortungslosigkeit immer und notwendigerweise nach sich ziehen.
Das Gegenteil und Gegenstück zu linksgrünem Handeln ist es, Verantwortung zu übernehmen, die Konsequenzen zu bedenken und gern bereit zu sein, für die Konsequenzen der eigenen Handlung geradezustehen.
Im Essay vom 7.11.2018 übersetzte und kommentierte ich das Gedicht »If_« von Rudyard Kipling (»Wenn du träumen kannst – und dennoch die Träume nicht über dich herrschen lässt; wenn du denken kannst – und dennoch mehr als nur Gedanken anstrebst…«). Ich denke dieser Tage wieder an jenes Gedicht. Kipling preist, ohne das sperrige Wort »Responsibility« zu bemühen, die Verantwortung.
Wir sind zur Liebe geboren, zum Guten und zum Schönen – und wir sind geboren um Verantwortung zu tragen.
Warum sollen wir Liebe geben und das Schöne suchen? Weil unser Leben und damit wir selbst sonst unvollständig wären. Warum sollen wir Verantwortung tragen, klug, fleißig und beständig? Aus demselben Grunde.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.