Die Kopftuchdebatte hat in den letzten Monaten wieder an Fahrt aufgenommen. Das liegt nicht zuletzt natürlich an der Asylkrise und der in diesem Zusammenhang grundsätzlich wieder aufgeflammten Diskussion über den Islam und seine Vereinbarkeit mit unseren freiheitlich-demokratischen Grundwerten. An vielen Stellen, nicht zuletzt gerade auch unter Frauen, wird das Kopftuch wieder zunehmend kritisch diskutiert. In der deutschen Presselandschaft hat man das längst wahrgenommen. Artikel an Artikel in SZ und Co., in denen junge muslimische Kopftuchträgerinnen davon erzählen, weshalb sie Kopftuch tragen und dass sie dies natürlich aus freien Stücken tun, reihen sich in den letzten Wochen wieder aneinander. Zurecht unterstellt man da eine freiwillige Selbstversklavung oder zumindest Selbstlimitierung der persönlichen Freiheit. An nichts lässt sich das so prägnant ablesen wie an der „freiwilligen“ Verschleierung von Frauen, die ihre patriarchalisch geprägte Sozialisierung, die sie zumeist erst zu dieser Einstellung führte, ernsthaft als selbstgewollt bezeichnen.
Wie ehrlich halten wir es mit unserer eigenen Freiheit?
Und dennoch wage ich es an dieser Stelle und frage mich kritisch, inwiefern auch wir westlich geprägten Frauen uns in Bezug auf unseren Körper, unsere Sexualität selbst begrenzen. Sind wir wirklich so offen und frei, wie wir vorgeben, oder ist uns die islamische Ideologie von der „unehrenhaften“ Frau auch in unserer Gesellschaft doch noch viel vertrauter, als wir es uns eingestehen wollen? Wie ehrlich halten wir es wirklich mit unserer Freiheit, Gleichberechtigung und sexuellen Selbstbestimmung? Und nein, damit soll das eine nicht mit dem anderen relativiert werden. Ich will vielmehr aufzeigen, wo wir selbst noch Nachholbedarf haben. Wer glaubwürdig die Freiheit der Frau gegenüber der Unterdrückung im Islam verteidigen will, der muss eben letztlich auch selbst wirklich frei sein und vor allem auch anderen diese Freiheit zugestehen.
Gerade Letzteres stellt in unserer Gesellschaft und speziell unter Frauen ein großes Problem dar. Zwar wird in der Regel nicht als „ehrenhafter“ angesehen, wer sich ein Tuch um den Kopf legt oder einen langen Kleidersack überstülpt – wie viel Stoff jemand trägt, stellt dennoch nur allzu oft auch bei uns ein Bewertungskriterium dar. Eine Frau, die Haut zeigt, die ihren Körper präsentiert, ist schnell unseriös oder billig. Seit Jahren bekomme ich das am eigenen Leib zu spüren, wenn es um den vermeintlichen Widerspruch zwischen meiner Model- und meiner journalistischen Tätigkeit geht. Nicht selten wird hierbei die Kritik laut, ich hätte es doch nicht nötig, meinen Körper zu zeigen, weil ich doch etwas im Kopf hätte und nicht selten wird es so gewertet, als würde das eine das andere schlechter machen. Als Frau darf man anscheinend nicht gerne Köpfchen und Körper zeigen. Schnell wird einem unterstellt, man hätte da „irgendwas nötig“.
Vermutlich muss ich an dieser Stelle nicht sagen, dass diese Form der Kritik vor allem von anderen Frauen kommt. Sicherlich gibt es auch den ein oder anderen Mann, der in das gleiche Horn bläst (manchmal vielleicht eher ein verkapptes Kompliment), aber Frauen sind hierbei zweifelsohne erheblich in der Überzahl – mit einem interessanten Effekt. Frauen limitieren sich gegenseitig. In der Folge sind viele verunsichert, wollen nicht unseriös oder gar billig herüberkommen und beschneiden sich daraufhin selbst in ihrer Freiheit. Gerade junge Mädchen, aber auch viele ältere Frauen trauen sich deshalb nicht, selbstbewusst zu sich zu stehen. Die Selbstlimitierung, die wir jungen Musliminnen, die sich verschleiern, unterstellen, greift – wenn auch deutlich subtiler – letztlich auch bei uns. Nirgends kann man diese Entwicklung besser beobachten als im Unterschied zwischen heutigem und klassischem Feminismus. Dass man im Feminismus der 1970er Jahre noch die sexuelle Befreiung mit viel Haut forderte, während der heutige Feminismus am liebsten über jede Bikini-Schönheit auf einem Plakat eine Burka werfen würde, ist hierfür ein mehr als anschauliches Beispiel. Mehr noch als der muslimischen Frau unterstellt man der deutschen Frau, die ihren Körper zeigt, Unfreiheit, eine durch das Patriarchat gestörte Selbstwahrnehmung, die sie dazu veranlasst, sich auszuziehen. Dass sie sich einfach wohl in ihrem Körper fühlt, dass sie die Schönheit des weiblichen Körpers zelebriert und die Exposition desselben wie ein politisches Statement gerade in diesen Zeiten vor sich herträgt? Unvorstellbar. Ja, auch wir „biodeutschen“ Frauen reden uns ein, nicht so viel Haut zeigen zu dürfen. Dass es „besser ankommt“, wenn wir unscheinbarer auftreten. Und vor allem in jungen Jahren gilt daneben auch: Bloß nicht zu viel Männerverschleiß, um nicht als Schlampe zu gelten. Ja, auch wir müssen zumindest nach außen immer noch allzu oft „anständig“, fast könnte man sagen „ehrenhaft“ sein. Und ohnehin schließen sich ja Köpfchen und Sexyness gegenseitig aus, weshalb man sich auf eine Sache festlegen sollte, um nicht unglaubwürdig zu wirken.
Die eigene Verhüllung
Sicherlich sind all diese Limitierungen nicht mit den Zwängen in der islamischen Kultur zu vergleichen, aber auch bei uns finden sich immer noch erhebliche Reste einer gesellschaftlichen Vorstellung von Frau, die nicht mehr in eine Zeit passt, wo wir so selbstbewusst und berechtigt Kritik am Islam üben. Interessant ist, dass die Einschränkung hierbei – und das hat man mit dem Islam gemein – nicht nur von außen kommt, sondern ganz oft auch von innen und von anderen Frauen. Wieso darf Frau nicht hübsch, sexy und intelligent zugleich sein? Wieso darf sie in der Vorstellung einiger nicht Model und Journalistin sein, wenn man zugleich heutzutage nicht einmal einen Widerspruch zwischen Kopftuch und Feminismus sieht? Dass man im heutigen Feminismus Frauen in Kleidersäcken und Kopftuch wie Kübra Gümüsay und andere eher für Feministinnen hält als Frauen, die selbstbewusst mit ihrer Sexualität und ihrem Körper umgehen, offenbart hierbei einmal mehr den tiefen ideologischen Irrweg des deutschen Neo-Feminismus. Was ihm fehlt ist schlicht das Liberale. Dass er Frau nicht sein lassen kann, wie sie will, sondern immer eine Vorstellung vor sich herträgt, wie sie sein muss und dass sie eher frei ist, wenn sie sich verhüllt, als wenn sie Haut zeigt. Für mich zeigt sich an dieser Stelle letztlich bloß die eigene Unzufriedenheit, die man in eine Ideologie verpackt, die eine Pseudo-Rechtfertigung dafür liefert, weshalb alle Frauen nur frei sein können, wenn sie ihren Körper nicht exponieren, sich nicht schminken, nicht hübsch zurechtmachen, kurzum: wenn sie genauso mittelmäßig und unscheinbar sind, wie man es selbst ist.
Diese Vorstellung, wie die Frau zu sein hat, betrifft aber nicht nur den Teilbereich des Feminismus. Er ist tief in unserer Gesellschaft verankert und löst sich nur langsam auf. Alle beschweren sich über die farblosen Gestalten in der Politik. Über die Künasts, die Roths, die Merkels. Selbst unsere Showbranche hierzulande ist voll von farblosen, unscheinbaren Frauen. Eine Beyoncé, eine Charlize Theron gibt es bei uns nicht. Weil das Mittelmaß den Ton angibt, weil wir Frauen immer noch limitieren und auf Schubladen reduzieren. Weil wir sie kritisieren oder komisch finden, wenn sie hübsch sind und politisch, wenn sie sexy sind und zugleich den Anspruch haben, Charakter zu zeigen. Wenn sie keine Lust mehr auf Schubladen haben oder dass ihnen eine Gesellschaft vorgibt, was anständig ist und wie man zu sein hat. Weil sie sich nicht mehr von Trockenpflaumen sagen lassen wollen, dass sie unfrei sind oder ein Bikinifoto ihre Reputation zerstört.
Ihr habt nichts von Freiheit verstanden. Und vermutlich wärt ihr die ersten, die sich im Bikini sexy vor der Kamera räkeln würden, wenn ihr nicht so schrecklich unzufrieden mit euch wärt. Wenn ihr eine wirkliche Ahnung davon hättet, was weibliches Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung wirklich bedeutet und dass es nichts damit zu tun hat, so zu sein wie ihr, sondern alles sein zu können, was man will und sich in seiner Haut wohl zu fühlen.
So lange man die Debatte um Gleichberechtigung und freie Selbstbestimmung jedoch von genau solchen Frauen bestimmen lässt, die sich und andere selbst limitieren, wird sich nichts ändern. Und so wird die politische Diskussion über den Islam weiter von jenen geführt, die genauso wenig Ahnung von Freiheit haben wie die Muslimin mit Kopftuch.